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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Die deutschen Gewerkschaftsorganisationen und der Krieg

hatte am 5. September 1914 68329 und am 3. Oktober 1914 nur noch
45335 Arbeitslose zu verzeichnen.

Leider mußten in den gewerkschaftlichen Berichten auch Fälle erwähnt werden,
wo trotz der Schwere der Zeit die Arbeitslosigkeit selbst verschuldet war. So
kritisiert der Grundstein, das Organ des Deutschen Bauarbeiterverbandes, in
seiner Nummer 40 bei einer Besprechung der Bautätigkeit unter dem Kriegs¬
zustande, daß es "geradezu beschämend sei, daß es arbeitslose Arbeiter gäbe,
die sich um Befestigungsarbeiten drückten, wo doch ein großer Teil unserer
Arbeitsbrüder seit Wochen draußen im Felde stehen und im Kugel- und Granat¬
regen ihr Leben aufs Spiel setzen".

Ein kurzer Einblick in die diesbezüglichen Verhältnisse der anderen krieg¬
führenden Staaten dürste hier wohl von Interesse sein. Von Österreich-
Ungarn, unseren treuen Bundesgenossen, ist erfreulicherweise zu berichten, daß
in den Kreisen der dortigen Gewerkschaftler -- gleich wie bei den deutschen --
guter Mut herrscht und die starke Hoffnung vorhanden ist, daß es schließlich
doch gelingen wird, der gegenwärtigen Schwierigkeiten ohne dauernden Schaden
Herr zu werden. Ganz anders klingen die Berichte aus Frankreich. Die
dortigen Arbeitervereinigungen betonen fast ausnahmslos, daß bei den überaus
geringen Mitteln der Organisationen und der Größe des Elends die Hilfs¬
tätigkeit der Gewerkschaften sehr schwierig sei. Unhaltbar sind nach den vor¬
liegenden Berichten die diesbezüglichen Verhältnisse in Rußland. Hier war im
letzten Jahre schon -- also in normalen Zeiten -- eine geradezu unerträgliche
Arbeitslosigkeit nachzuweisen. Trostlos muß es auch nach den vorliegenden
Berichten in England aussehen. Nach Londoner Berichten gibt es jetzt in
England viele Hunderttausende von Männern und Frauen, die so wenig Stunden
in der Woche Beschäftigung haben, daß ihr Lohn nicht ausreicht, um davon
leben zu können.

Die Haltung der deutschen Arbeiterorganisationen während des Krieges
hat nun auch allgemeine Anerkennung gefunden. So weist beispielsweise ein
Erlaß des kommandierender Generals des VII. Armeekorps ausdrücklich darauf
hin, daß bei Ausrufer zur Werbung von Arbeitern im Dienst der Heeresver-
verwaltung niemand deshalb ausgeschlossen werden darf, weil er sich in Friedens¬
zeiten Organisationen irgendwelcher Art angeschlossen hat. Von anderen Stellen
wurde ähnliches berichtet.

Hand in Hand mit den Militärbehörden gingen die Zivilbehörden im
Interesse unserer deutschen Arbeiterschaft. So schritt beispielsweise das Negierungs-
präsidium von Minden energisch gegen eine Firma ein, die deutsche Arbeiter
entlassen hatte und belgische weiter beschäftigte.

Dieses tapfere und einsichtsvolle Zusammenarbeiten der gesamten deutschen
Arbeiterschaft und ihren Oganisationen mit allen anderen Körperschaften sind
höchst erfreuliche Erscheinungen, von denen man hofft, daß sie auch dann, wenn
wieder friedliche Zustände eintreten, nicht verschwinden werden. Die gegenseitige


Die deutschen Gewerkschaftsorganisationen und der Krieg

hatte am 5. September 1914 68329 und am 3. Oktober 1914 nur noch
45335 Arbeitslose zu verzeichnen.

Leider mußten in den gewerkschaftlichen Berichten auch Fälle erwähnt werden,
wo trotz der Schwere der Zeit die Arbeitslosigkeit selbst verschuldet war. So
kritisiert der Grundstein, das Organ des Deutschen Bauarbeiterverbandes, in
seiner Nummer 40 bei einer Besprechung der Bautätigkeit unter dem Kriegs¬
zustande, daß es „geradezu beschämend sei, daß es arbeitslose Arbeiter gäbe,
die sich um Befestigungsarbeiten drückten, wo doch ein großer Teil unserer
Arbeitsbrüder seit Wochen draußen im Felde stehen und im Kugel- und Granat¬
regen ihr Leben aufs Spiel setzen".

Ein kurzer Einblick in die diesbezüglichen Verhältnisse der anderen krieg¬
führenden Staaten dürste hier wohl von Interesse sein. Von Österreich-
Ungarn, unseren treuen Bundesgenossen, ist erfreulicherweise zu berichten, daß
in den Kreisen der dortigen Gewerkschaftler — gleich wie bei den deutschen —
guter Mut herrscht und die starke Hoffnung vorhanden ist, daß es schließlich
doch gelingen wird, der gegenwärtigen Schwierigkeiten ohne dauernden Schaden
Herr zu werden. Ganz anders klingen die Berichte aus Frankreich. Die
dortigen Arbeitervereinigungen betonen fast ausnahmslos, daß bei den überaus
geringen Mitteln der Organisationen und der Größe des Elends die Hilfs¬
tätigkeit der Gewerkschaften sehr schwierig sei. Unhaltbar sind nach den vor¬
liegenden Berichten die diesbezüglichen Verhältnisse in Rußland. Hier war im
letzten Jahre schon — also in normalen Zeiten — eine geradezu unerträgliche
Arbeitslosigkeit nachzuweisen. Trostlos muß es auch nach den vorliegenden
Berichten in England aussehen. Nach Londoner Berichten gibt es jetzt in
England viele Hunderttausende von Männern und Frauen, die so wenig Stunden
in der Woche Beschäftigung haben, daß ihr Lohn nicht ausreicht, um davon
leben zu können.

Die Haltung der deutschen Arbeiterorganisationen während des Krieges
hat nun auch allgemeine Anerkennung gefunden. So weist beispielsweise ein
Erlaß des kommandierender Generals des VII. Armeekorps ausdrücklich darauf
hin, daß bei Ausrufer zur Werbung von Arbeitern im Dienst der Heeresver-
verwaltung niemand deshalb ausgeschlossen werden darf, weil er sich in Friedens¬
zeiten Organisationen irgendwelcher Art angeschlossen hat. Von anderen Stellen
wurde ähnliches berichtet.

Hand in Hand mit den Militärbehörden gingen die Zivilbehörden im
Interesse unserer deutschen Arbeiterschaft. So schritt beispielsweise das Negierungs-
präsidium von Minden energisch gegen eine Firma ein, die deutsche Arbeiter
entlassen hatte und belgische weiter beschäftigte.

Dieses tapfere und einsichtsvolle Zusammenarbeiten der gesamten deutschen
Arbeiterschaft und ihren Oganisationen mit allen anderen Körperschaften sind
höchst erfreuliche Erscheinungen, von denen man hofft, daß sie auch dann, wenn
wieder friedliche Zustände eintreten, nicht verschwinden werden. Die gegenseitige


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/390>, abgerufen am 04.07.2024.