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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Holland

schon einen Feind, mit dem es rechnen muß, der stärker ist, weil er ver¬
schlagen und rachsüchtig ist. Hinzu kommt sür die Erschwerung der holländischen
Neutralität nach dem Kriege die Frage: wie wird die Welt bei Friedensschluß aus¬
sehen? Ist nicht vielleicht die Unvermeidlichkeit einer Einkreisung aller solcher
Staaten, die sich bisher in einer "prächtigen Isolierung" gefallen konnten, zu
erwarten? Ich hege eine zu große Achtung vor der staatsmännischen Klugheit
der Königin Wilhelmine und ihrer Ratgeber, sowie der holländischen Volks¬
vertreter, als daß ich sie verdächtigen könnte, sie handelten blindlings und
nur aus Selbstsucht, sie stellten sich nicht bereits jetzt vor, daß der Krieg die
Welt aus den Angeln gehoben hat, in die die bisherige kosmopolitische Tür, weil
morsch geworden, nie wieder hineinpassen wird. Auf der anderen Seite kann ich mir
nicht vorstellen, daß die Holländer, so ausgezeichnete Kaufleute und Rechner sie auch
sind, ihre Neutralität nur als bequemes Aushängeschild benutzt haben, um in
Gemütsruhe den Ausgang des blutigen Konfliktes abzuwarten und sich dann
dem jeweiligen Sieger in die Arme zu werfen. Holland meint es mit seiner
politischen Würde und Selbständigkeit jedenfalls ernst, nur schädigt es sich,
wenn es auch in kommenden Tagen seine unnahbare Stellung weiter be¬
wahren will, die heute ein Gebot nationaler Pflicht und Würde gewesen sein
mag. Buche als Schutzmittel gegen jede politische und wirtschaftliche Ein¬
kreisung noch das viel besprochene Fabeltier des Bundes der Neutralen zu berück¬
sichtigen und zu empfehlen. Ein solcher Bund wäre Belgien, zumBeispiel, vor dem
Kriege sehr willkommen gewesen; hätte dieser eine so große Schutzkraft besessen, daß er
den Krieg hätte abwehren und vereiteln können, so wäre der von Belgien begangene
Bruch seiner Neutralität noch des weiteren unentdeckt geblieben. Holland aber
hätte seinen Beitritt zu einem Schutzverbande der neutralen Staaten eher als
das Eingeständnis der eigenen politischen und wirtschaftlichen Schwäche, denn
als ein Mittel der Selbsterhaltung und des Widerstandes gegenüber Anmaßungen
der Großmächte aufgefaßt. Wie wenig ihm solch ein Bund willkommen und
praktisch dünkte, geht aus dem einen einzigen Umstände bereits hervor, daß es
die ebenfalls neutralen, ebenfalls den Rachegelüsten Englands und einer späteren
Einkreisungsgefahr in beinahe ebenso bedenklichem Maße ausgesetzten skandina¬
vischen Länder fast brüskierte, indem es der gemeinsamen Vorstellung wegen
der Verletzung des Völkerrechts und der neutralen Seefahrtsrechte durch England
selbständiges Vorgehen vorzog. Holland ist sich demnach seiner Stellung noch
sicher. Ob es sich aber auch aller Konsequenzen bewußt ist?

Es heißt den nationalen Charakter der Holländer völlig verkennen, behauptet
man, wie es jetzt kurzsichtigerweise wiederholt geschehen ist, daß sie ein naives
Volk sind; bereit, demjenigen in die Falle zu gehen, der ihm am besten zu
schmeicheln weiß. Wer es bei seiner ruhigen, emsigen Tätigkeit, bei seinen
geistigen Verrichtungen und in seiner Lebensweise gesehen und kennen gelernt
hat, in der keine Nervosität, dagegen eine Gelassenheit zu finden ist, die
alle Dinge vom Gesichtswinkel einer nicht aus der Ruhe zu bringenden


Holland

schon einen Feind, mit dem es rechnen muß, der stärker ist, weil er ver¬
schlagen und rachsüchtig ist. Hinzu kommt sür die Erschwerung der holländischen
Neutralität nach dem Kriege die Frage: wie wird die Welt bei Friedensschluß aus¬
sehen? Ist nicht vielleicht die Unvermeidlichkeit einer Einkreisung aller solcher
Staaten, die sich bisher in einer „prächtigen Isolierung" gefallen konnten, zu
erwarten? Ich hege eine zu große Achtung vor der staatsmännischen Klugheit
der Königin Wilhelmine und ihrer Ratgeber, sowie der holländischen Volks¬
vertreter, als daß ich sie verdächtigen könnte, sie handelten blindlings und
nur aus Selbstsucht, sie stellten sich nicht bereits jetzt vor, daß der Krieg die
Welt aus den Angeln gehoben hat, in die die bisherige kosmopolitische Tür, weil
morsch geworden, nie wieder hineinpassen wird. Auf der anderen Seite kann ich mir
nicht vorstellen, daß die Holländer, so ausgezeichnete Kaufleute und Rechner sie auch
sind, ihre Neutralität nur als bequemes Aushängeschild benutzt haben, um in
Gemütsruhe den Ausgang des blutigen Konfliktes abzuwarten und sich dann
dem jeweiligen Sieger in die Arme zu werfen. Holland meint es mit seiner
politischen Würde und Selbständigkeit jedenfalls ernst, nur schädigt es sich,
wenn es auch in kommenden Tagen seine unnahbare Stellung weiter be¬
wahren will, die heute ein Gebot nationaler Pflicht und Würde gewesen sein
mag. Buche als Schutzmittel gegen jede politische und wirtschaftliche Ein¬
kreisung noch das viel besprochene Fabeltier des Bundes der Neutralen zu berück¬
sichtigen und zu empfehlen. Ein solcher Bund wäre Belgien, zumBeispiel, vor dem
Kriege sehr willkommen gewesen; hätte dieser eine so große Schutzkraft besessen, daß er
den Krieg hätte abwehren und vereiteln können, so wäre der von Belgien begangene
Bruch seiner Neutralität noch des weiteren unentdeckt geblieben. Holland aber
hätte seinen Beitritt zu einem Schutzverbande der neutralen Staaten eher als
das Eingeständnis der eigenen politischen und wirtschaftlichen Schwäche, denn
als ein Mittel der Selbsterhaltung und des Widerstandes gegenüber Anmaßungen
der Großmächte aufgefaßt. Wie wenig ihm solch ein Bund willkommen und
praktisch dünkte, geht aus dem einen einzigen Umstände bereits hervor, daß es
die ebenfalls neutralen, ebenfalls den Rachegelüsten Englands und einer späteren
Einkreisungsgefahr in beinahe ebenso bedenklichem Maße ausgesetzten skandina¬
vischen Länder fast brüskierte, indem es der gemeinsamen Vorstellung wegen
der Verletzung des Völkerrechts und der neutralen Seefahrtsrechte durch England
selbständiges Vorgehen vorzog. Holland ist sich demnach seiner Stellung noch
sicher. Ob es sich aber auch aller Konsequenzen bewußt ist?

Es heißt den nationalen Charakter der Holländer völlig verkennen, behauptet
man, wie es jetzt kurzsichtigerweise wiederholt geschehen ist, daß sie ein naives
Volk sind; bereit, demjenigen in die Falle zu gehen, der ihm am besten zu
schmeicheln weiß. Wer es bei seiner ruhigen, emsigen Tätigkeit, bei seinen
geistigen Verrichtungen und in seiner Lebensweise gesehen und kennen gelernt
hat, in der keine Nervosität, dagegen eine Gelassenheit zu finden ist, die
alle Dinge vom Gesichtswinkel einer nicht aus der Ruhe zu bringenden


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[0368] Holland schon einen Feind, mit dem es rechnen muß, der stärker ist, weil er ver¬ schlagen und rachsüchtig ist. Hinzu kommt sür die Erschwerung der holländischen Neutralität nach dem Kriege die Frage: wie wird die Welt bei Friedensschluß aus¬ sehen? Ist nicht vielleicht die Unvermeidlichkeit einer Einkreisung aller solcher Staaten, die sich bisher in einer „prächtigen Isolierung" gefallen konnten, zu erwarten? Ich hege eine zu große Achtung vor der staatsmännischen Klugheit der Königin Wilhelmine und ihrer Ratgeber, sowie der holländischen Volks¬ vertreter, als daß ich sie verdächtigen könnte, sie handelten blindlings und nur aus Selbstsucht, sie stellten sich nicht bereits jetzt vor, daß der Krieg die Welt aus den Angeln gehoben hat, in die die bisherige kosmopolitische Tür, weil morsch geworden, nie wieder hineinpassen wird. Auf der anderen Seite kann ich mir nicht vorstellen, daß die Holländer, so ausgezeichnete Kaufleute und Rechner sie auch sind, ihre Neutralität nur als bequemes Aushängeschild benutzt haben, um in Gemütsruhe den Ausgang des blutigen Konfliktes abzuwarten und sich dann dem jeweiligen Sieger in die Arme zu werfen. Holland meint es mit seiner politischen Würde und Selbständigkeit jedenfalls ernst, nur schädigt es sich, wenn es auch in kommenden Tagen seine unnahbare Stellung weiter be¬ wahren will, die heute ein Gebot nationaler Pflicht und Würde gewesen sein mag. Buche als Schutzmittel gegen jede politische und wirtschaftliche Ein¬ kreisung noch das viel besprochene Fabeltier des Bundes der Neutralen zu berück¬ sichtigen und zu empfehlen. Ein solcher Bund wäre Belgien, zumBeispiel, vor dem Kriege sehr willkommen gewesen; hätte dieser eine so große Schutzkraft besessen, daß er den Krieg hätte abwehren und vereiteln können, so wäre der von Belgien begangene Bruch seiner Neutralität noch des weiteren unentdeckt geblieben. Holland aber hätte seinen Beitritt zu einem Schutzverbande der neutralen Staaten eher als das Eingeständnis der eigenen politischen und wirtschaftlichen Schwäche, denn als ein Mittel der Selbsterhaltung und des Widerstandes gegenüber Anmaßungen der Großmächte aufgefaßt. Wie wenig ihm solch ein Bund willkommen und praktisch dünkte, geht aus dem einen einzigen Umstände bereits hervor, daß es die ebenfalls neutralen, ebenfalls den Rachegelüsten Englands und einer späteren Einkreisungsgefahr in beinahe ebenso bedenklichem Maße ausgesetzten skandina¬ vischen Länder fast brüskierte, indem es der gemeinsamen Vorstellung wegen der Verletzung des Völkerrechts und der neutralen Seefahrtsrechte durch England selbständiges Vorgehen vorzog. Holland ist sich demnach seiner Stellung noch sicher. Ob es sich aber auch aller Konsequenzen bewußt ist? Es heißt den nationalen Charakter der Holländer völlig verkennen, behauptet man, wie es jetzt kurzsichtigerweise wiederholt geschehen ist, daß sie ein naives Volk sind; bereit, demjenigen in die Falle zu gehen, der ihm am besten zu schmeicheln weiß. Wer es bei seiner ruhigen, emsigen Tätigkeit, bei seinen geistigen Verrichtungen und in seiner Lebensweise gesehen und kennen gelernt hat, in der keine Nervosität, dagegen eine Gelassenheit zu finden ist, die alle Dinge vom Gesichtswinkel einer nicht aus der Ruhe zu bringenden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/368>, abgerufen am 04.07.2024.