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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Holland
Alfred Rnhemann von

es gedenke nicht in ein Wespennest zu stechen, weder in das
holländische, das über alle Maßen, und öfters ungerechtfertigt,
sehr empfindlich ist, noch in das der allgemeinen deutschen Meinung,
die leider viel zu sehr, und ohne ernstliche Prüfung dazu neigt,
der Ansicht Raum zu geben: wer nicht mit uns. ist gegen uns.
Außer den uns feindlich gegenüberstehenden Heeren, die eine Wirklichkeit darstellen,
sehen wir uns auf realpolitischem Gebiete nur Problemen, den schwierigsten und
gewaltigsten, die es je gegeben, gegenüber. Da sollten Vorsicht und Mäßigung
geboten sein, da sollte man doch die Einsicht haben, die Taktik unserer Diplomatie
und Heeresleitung nachzuahmen: erst wägen, dann wagen und -- schlagen.
Der geistige Schwung unseres Vaterlandes war im Beginn des Krieges ebenso
bewundernswert wie der soldatische. Was unsere Geistes- und politischen Größen
schrieben, sagten und dem Auslande verkündeten, stand auf dem festen Boden
gründlichen nationalen Wissens und Könnens. Mag nun die Länge der kriegerischen
Operationen manchen nervös gemacht und ihm die Unbefangenheit des Urteils
genommen haben -- fast scheint es, als ob wir stellenweise die in diesem
Augenblick uns mehr denn je notwendige Klarheit unserer Gedanken und
Überlegungen durch Ungeduld getrübt haben. Warum haben unser Heer und
seine Oberleitung Geduld, unendliche Geduld? Weil sie fühlen, daß diese Aus¬
dauer zum Ziele führen muß. Warum handeln wir nicht auf politischem Gebiete
ebenso? Warum beweisen wir nicht durch und an uns selbst, daß dem Zeichen
der Geduld der Sieg verbleiben muß? Der grüne Tisch der Diplomatie wird
hoffentlich in nicht allzuferner Zeit, dieselbe, ja eine noch einschneidendere
Bedeutung haben, als der, auf welchem heute die strategischen Pläne aus¬
gebreitet liegen. Um an ihm ebenso gebieten und unsere Kraft zur Geltung
bringen zu können, bedarf es eines ungeheuren Aufwandes geistiger Vor-


Grenzboten IV 1914 23


Holland
Alfred Rnhemann von

es gedenke nicht in ein Wespennest zu stechen, weder in das
holländische, das über alle Maßen, und öfters ungerechtfertigt,
sehr empfindlich ist, noch in das der allgemeinen deutschen Meinung,
die leider viel zu sehr, und ohne ernstliche Prüfung dazu neigt,
der Ansicht Raum zu geben: wer nicht mit uns. ist gegen uns.
Außer den uns feindlich gegenüberstehenden Heeren, die eine Wirklichkeit darstellen,
sehen wir uns auf realpolitischem Gebiete nur Problemen, den schwierigsten und
gewaltigsten, die es je gegeben, gegenüber. Da sollten Vorsicht und Mäßigung
geboten sein, da sollte man doch die Einsicht haben, die Taktik unserer Diplomatie
und Heeresleitung nachzuahmen: erst wägen, dann wagen und — schlagen.
Der geistige Schwung unseres Vaterlandes war im Beginn des Krieges ebenso
bewundernswert wie der soldatische. Was unsere Geistes- und politischen Größen
schrieben, sagten und dem Auslande verkündeten, stand auf dem festen Boden
gründlichen nationalen Wissens und Könnens. Mag nun die Länge der kriegerischen
Operationen manchen nervös gemacht und ihm die Unbefangenheit des Urteils
genommen haben — fast scheint es, als ob wir stellenweise die in diesem
Augenblick uns mehr denn je notwendige Klarheit unserer Gedanken und
Überlegungen durch Ungeduld getrübt haben. Warum haben unser Heer und
seine Oberleitung Geduld, unendliche Geduld? Weil sie fühlen, daß diese Aus¬
dauer zum Ziele führen muß. Warum handeln wir nicht auf politischem Gebiete
ebenso? Warum beweisen wir nicht durch und an uns selbst, daß dem Zeichen
der Geduld der Sieg verbleiben muß? Der grüne Tisch der Diplomatie wird
hoffentlich in nicht allzuferner Zeit, dieselbe, ja eine noch einschneidendere
Bedeutung haben, als der, auf welchem heute die strategischen Pläne aus¬
gebreitet liegen. Um an ihm ebenso gebieten und unsere Kraft zur Geltung
bringen zu können, bedarf es eines ungeheuren Aufwandes geistiger Vor-


Grenzboten IV 1914 23
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[0365] [Abbildung] Holland Alfred Rnhemann von es gedenke nicht in ein Wespennest zu stechen, weder in das holländische, das über alle Maßen, und öfters ungerechtfertigt, sehr empfindlich ist, noch in das der allgemeinen deutschen Meinung, die leider viel zu sehr, und ohne ernstliche Prüfung dazu neigt, der Ansicht Raum zu geben: wer nicht mit uns. ist gegen uns. Außer den uns feindlich gegenüberstehenden Heeren, die eine Wirklichkeit darstellen, sehen wir uns auf realpolitischem Gebiete nur Problemen, den schwierigsten und gewaltigsten, die es je gegeben, gegenüber. Da sollten Vorsicht und Mäßigung geboten sein, da sollte man doch die Einsicht haben, die Taktik unserer Diplomatie und Heeresleitung nachzuahmen: erst wägen, dann wagen und — schlagen. Der geistige Schwung unseres Vaterlandes war im Beginn des Krieges ebenso bewundernswert wie der soldatische. Was unsere Geistes- und politischen Größen schrieben, sagten und dem Auslande verkündeten, stand auf dem festen Boden gründlichen nationalen Wissens und Könnens. Mag nun die Länge der kriegerischen Operationen manchen nervös gemacht und ihm die Unbefangenheit des Urteils genommen haben — fast scheint es, als ob wir stellenweise die in diesem Augenblick uns mehr denn je notwendige Klarheit unserer Gedanken und Überlegungen durch Ungeduld getrübt haben. Warum haben unser Heer und seine Oberleitung Geduld, unendliche Geduld? Weil sie fühlen, daß diese Aus¬ dauer zum Ziele führen muß. Warum handeln wir nicht auf politischem Gebiete ebenso? Warum beweisen wir nicht durch und an uns selbst, daß dem Zeichen der Geduld der Sieg verbleiben muß? Der grüne Tisch der Diplomatie wird hoffentlich in nicht allzuferner Zeit, dieselbe, ja eine noch einschneidendere Bedeutung haben, als der, auf welchem heute die strategischen Pläne aus¬ gebreitet liegen. Um an ihm ebenso gebieten und unsere Kraft zur Geltung bringen zu können, bedarf es eines ungeheuren Aufwandes geistiger Vor- Grenzboten IV 1914 23

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/365>, abgerufen am 04.07.2024.