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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Das "baltische" Rußland

teilen und die mehr oder weniger fruchtbaren Gebiete zusammenfassen, die
fetten Lehmboden, die Mergelgebiete, die Sande, die Kiesflächen, die an¬
moorigen Böden usw. spiegeln in ihrer Verbremmg auch hier den Ertrag der
Landwirtschaft wieder. Neuerdings hat Prof. Dr. K. Glinka, der Direktor des
landwirtschaftlichen Instituts Kaiser Peters des Ersten in Woronesh. in seinem
Buche "Die Typen der Bodenbildung, ihre Klassifikation und geographische
Verbreitung" (Berlin, 1914, Gebr. Borntraeger) eine ausführliche Charakteristik
der verschiedenen Bodenzonen Rußlands gegeben.

Im allgemeinen kann man das baltische Rußland als ein Landwirtschafts-
gebiet bezeichnen, in dem ähnliche Bodenverhältnisse wie in Norddeutschland
vorliegen. Das litauische Land, das verhältnismäßig dünn bevölkert ist, reicht
bei den gegenwärtigen primitiven Wirtschastsmethoden mit seinen Produkten des
Brotgetreides gerade für den eigenen Bedarf der Landbewohner aus; dasselbe
gilt von den Ostseeprovinzen. Dort müssen die Städte, z. B. Riga sogar Getreide
zulaufen. Viel günstiger und ertragsreicher ist die Landwirtschaft im nördlichen
Polen, aber auch Polen vermag kein Getreide auszuführen, da hier die Bevölkerung
viel dichter ist, vor allem in den Industriebezirken von Warschau, Lodz usw.
So ist also dieses ganze Gebiet außerhalb der Schwarzerde Südrußlands kein
Getreideexportland, sondern eher ein Einsuhrgebiet für Brotfrüchte, nur Polen
und Litauen kommen vielleicht mit eigenem Getreide aus. Überblickt man jedoch
die niedrigen kulturellen Verhältnisse der spezifisch russischen und polnischen
Bauernhöfe in den Gebieten, wo der segensreiche Einfluß deutscher Bauernwirtschaft
bisher fehlte, so wird man nicht bezweifeln können, daß der Felderertrag in
manchen Gegenden noch ganz erheblich gesteigert werden könnte und daß
anderseits große Waldbestände, Moore und sonstiges Ödland noch dem Körnerbau
dienstbar gemacht werden könnten, so daß, mit anderen Worten, eine viel größere
Bevölkernngsmenge sich im baltischen Rußland von der eigenen Scholle zu ernähren
imstande wäre. Vergrößert sich doch beispielsweise auch in unseren norddeutschen
Provinzen durch systematische Moorkultur die Bebauungsfläche von Jahr zu
Jahr nicht unerheblich.

In vieler Beziehung interessant ist das inhaltreiche Werk, das das russische
Ministerium des Handels und der Industrie auf Grund reichen statistischen
Materials herausgegeben hat. Es ist betitelt: "Handel und Industrie in verschiedenen
Regionen des europäischen Rußlands" und wird begleitet von einer großen Handels¬
und Jndustriekarte im Maßstab 1:1680000 in 24 Farben. 28 Nebenkarten und
Kartogrammen und einer Übersichtskarte im Maßstab 1:6300000. Die
Bearbeiter des 1903 bis 1911 in Se. Petersburg erschienenen Werkes sind Benjamin
Semenow'Tianschanskij und Nikolaus Strupp. Für uns ist sein Inhalt bequem
zugänglich durch ein Referat von Alexander Woeikof in "Petermanns Geogr.
Mitteilungen" 1913, 2. Halbhart, dem eine vorzügliche, auf dem Maßstab
1:7500000 reduzierte bunte Karte der Wirtschaftszonen Rußlands beigegeben
ist. B. Semenow-Tianschanskij teilt das europäische Rußland in zwölf Wirtschafts-


Das „baltische" Rußland

teilen und die mehr oder weniger fruchtbaren Gebiete zusammenfassen, die
fetten Lehmboden, die Mergelgebiete, die Sande, die Kiesflächen, die an¬
moorigen Böden usw. spiegeln in ihrer Verbremmg auch hier den Ertrag der
Landwirtschaft wieder. Neuerdings hat Prof. Dr. K. Glinka, der Direktor des
landwirtschaftlichen Instituts Kaiser Peters des Ersten in Woronesh. in seinem
Buche „Die Typen der Bodenbildung, ihre Klassifikation und geographische
Verbreitung" (Berlin, 1914, Gebr. Borntraeger) eine ausführliche Charakteristik
der verschiedenen Bodenzonen Rußlands gegeben.

Im allgemeinen kann man das baltische Rußland als ein Landwirtschafts-
gebiet bezeichnen, in dem ähnliche Bodenverhältnisse wie in Norddeutschland
vorliegen. Das litauische Land, das verhältnismäßig dünn bevölkert ist, reicht
bei den gegenwärtigen primitiven Wirtschastsmethoden mit seinen Produkten des
Brotgetreides gerade für den eigenen Bedarf der Landbewohner aus; dasselbe
gilt von den Ostseeprovinzen. Dort müssen die Städte, z. B. Riga sogar Getreide
zulaufen. Viel günstiger und ertragsreicher ist die Landwirtschaft im nördlichen
Polen, aber auch Polen vermag kein Getreide auszuführen, da hier die Bevölkerung
viel dichter ist, vor allem in den Industriebezirken von Warschau, Lodz usw.
So ist also dieses ganze Gebiet außerhalb der Schwarzerde Südrußlands kein
Getreideexportland, sondern eher ein Einsuhrgebiet für Brotfrüchte, nur Polen
und Litauen kommen vielleicht mit eigenem Getreide aus. Überblickt man jedoch
die niedrigen kulturellen Verhältnisse der spezifisch russischen und polnischen
Bauernhöfe in den Gebieten, wo der segensreiche Einfluß deutscher Bauernwirtschaft
bisher fehlte, so wird man nicht bezweifeln können, daß der Felderertrag in
manchen Gegenden noch ganz erheblich gesteigert werden könnte und daß
anderseits große Waldbestände, Moore und sonstiges Ödland noch dem Körnerbau
dienstbar gemacht werden könnten, so daß, mit anderen Worten, eine viel größere
Bevölkernngsmenge sich im baltischen Rußland von der eigenen Scholle zu ernähren
imstande wäre. Vergrößert sich doch beispielsweise auch in unseren norddeutschen
Provinzen durch systematische Moorkultur die Bebauungsfläche von Jahr zu
Jahr nicht unerheblich.

In vieler Beziehung interessant ist das inhaltreiche Werk, das das russische
Ministerium des Handels und der Industrie auf Grund reichen statistischen
Materials herausgegeben hat. Es ist betitelt: „Handel und Industrie in verschiedenen
Regionen des europäischen Rußlands" und wird begleitet von einer großen Handels¬
und Jndustriekarte im Maßstab 1:1680000 in 24 Farben. 28 Nebenkarten und
Kartogrammen und einer Übersichtskarte im Maßstab 1:6300000. Die
Bearbeiter des 1903 bis 1911 in Se. Petersburg erschienenen Werkes sind Benjamin
Semenow'Tianschanskij und Nikolaus Strupp. Für uns ist sein Inhalt bequem
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Mitteilungen" 1913, 2. Halbhart, dem eine vorzügliche, auf dem Maßstab
1:7500000 reduzierte bunte Karte der Wirtschaftszonen Rußlands beigegeben
ist. B. Semenow-Tianschanskij teilt das europäische Rußland in zwölf Wirtschafts-


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[0347] Das „baltische" Rußland teilen und die mehr oder weniger fruchtbaren Gebiete zusammenfassen, die fetten Lehmboden, die Mergelgebiete, die Sande, die Kiesflächen, die an¬ moorigen Böden usw. spiegeln in ihrer Verbremmg auch hier den Ertrag der Landwirtschaft wieder. Neuerdings hat Prof. Dr. K. Glinka, der Direktor des landwirtschaftlichen Instituts Kaiser Peters des Ersten in Woronesh. in seinem Buche „Die Typen der Bodenbildung, ihre Klassifikation und geographische Verbreitung" (Berlin, 1914, Gebr. Borntraeger) eine ausführliche Charakteristik der verschiedenen Bodenzonen Rußlands gegeben. Im allgemeinen kann man das baltische Rußland als ein Landwirtschafts- gebiet bezeichnen, in dem ähnliche Bodenverhältnisse wie in Norddeutschland vorliegen. Das litauische Land, das verhältnismäßig dünn bevölkert ist, reicht bei den gegenwärtigen primitiven Wirtschastsmethoden mit seinen Produkten des Brotgetreides gerade für den eigenen Bedarf der Landbewohner aus; dasselbe gilt von den Ostseeprovinzen. Dort müssen die Städte, z. B. Riga sogar Getreide zulaufen. Viel günstiger und ertragsreicher ist die Landwirtschaft im nördlichen Polen, aber auch Polen vermag kein Getreide auszuführen, da hier die Bevölkerung viel dichter ist, vor allem in den Industriebezirken von Warschau, Lodz usw. So ist also dieses ganze Gebiet außerhalb der Schwarzerde Südrußlands kein Getreideexportland, sondern eher ein Einsuhrgebiet für Brotfrüchte, nur Polen und Litauen kommen vielleicht mit eigenem Getreide aus. Überblickt man jedoch die niedrigen kulturellen Verhältnisse der spezifisch russischen und polnischen Bauernhöfe in den Gebieten, wo der segensreiche Einfluß deutscher Bauernwirtschaft bisher fehlte, so wird man nicht bezweifeln können, daß der Felderertrag in manchen Gegenden noch ganz erheblich gesteigert werden könnte und daß anderseits große Waldbestände, Moore und sonstiges Ödland noch dem Körnerbau dienstbar gemacht werden könnten, so daß, mit anderen Worten, eine viel größere Bevölkernngsmenge sich im baltischen Rußland von der eigenen Scholle zu ernähren imstande wäre. Vergrößert sich doch beispielsweise auch in unseren norddeutschen Provinzen durch systematische Moorkultur die Bebauungsfläche von Jahr zu Jahr nicht unerheblich. In vieler Beziehung interessant ist das inhaltreiche Werk, das das russische Ministerium des Handels und der Industrie auf Grund reichen statistischen Materials herausgegeben hat. Es ist betitelt: „Handel und Industrie in verschiedenen Regionen des europäischen Rußlands" und wird begleitet von einer großen Handels¬ und Jndustriekarte im Maßstab 1:1680000 in 24 Farben. 28 Nebenkarten und Kartogrammen und einer Übersichtskarte im Maßstab 1:6300000. Die Bearbeiter des 1903 bis 1911 in Se. Petersburg erschienenen Werkes sind Benjamin Semenow'Tianschanskij und Nikolaus Strupp. Für uns ist sein Inhalt bequem zugänglich durch ein Referat von Alexander Woeikof in „Petermanns Geogr. Mitteilungen" 1913, 2. Halbhart, dem eine vorzügliche, auf dem Maßstab 1:7500000 reduzierte bunte Karte der Wirtschaftszonen Rußlands beigegeben ist. B. Semenow-Tianschanskij teilt das europäische Rußland in zwölf Wirtschafts-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/347>, abgerufen am 04.07.2024.