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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Reste germanischen volkstmns in Nordfrankreich

Ein Blatt voll stolzer und erschütternder Erinnerungen liegt vor uns
aufgeschlagen, wenn wir von den Türmen von Laon nach dem Soissonnais,
hinüberschauen, wo Chlodwigs Frankenreich gegründet wurde, nach den Burgen
und Städten, wo das Herrenvolk der Franken seine Blüte erlebte. Der Spruch
des Schloßherrn auf dem nahen Coucy fällt uns ein, der das Denken dieses
Herrengeschlechtes zeigt:


Ko^ ne su^
t>le primas, ne vue
!^"z Lomts suffi
suis Is Lire cZe Lona^,

Es war die Zeit, da die fünf Meter dicken Mauern seines Schlosses diesen
fränkischen Gaugrafen zum unumschränkten und unbesieglichen Herren in seinem
Gebiet machten. Die nachgeborenen Söhne dieser Grafengeschlechter saßen aus
den Bischofsitzen der Städte und bemühten sich, ihren Reichtum und ihre Macht
durch stolze Kirchenbauten zu bezeugen. Sie bemühten sich um so mehr, als
sie durch solche und andere Unternehmungen, namentlich Kreuzzüge, ihre unruhigen
Untertanen in den zur Macht emporwachsenden Städten zu beschäftigen wußten.
Deren Galliertemperament hatte ja schon Tacitus mit dem Ausdruck "nach
neuen Dingen gierig" getroffen.

Drei Jahrhunderte später, als des vierten Heinrichs Kanonen sprachen,
war es mit der Herrlichkeit des "Sire" von Coucy vorbei. Der galanteste
der Könige, "stets einen Witz oder einen Kuß auf den Lippen", wußte sich hier
einen besonders guten Scherz zu leisten und machte diese stärkste der Trutzburgen
des fränkischen Adels zum Heim der Liebe und zur Wochenstube seines Schätzchens
Gabrielle, die hier den bekannten LöZ^r cle Venciome gebar.

Das Selbstbestimmungsrecht des fränkischen Adels war gebrochen, er durfte
nur noch die Schranzen für den Königshof liefern, der für politische Aufgaben
gefügigere Werkzeuge, vor allen Italiener, vorzog. Auch die Führung in der
Kunst ging auf die Italiener über. Die Kunst der heimischen Steinmetzen wird
verachtet und vernachlässigt, sie müssen unter Führung der Südländer umlernen.
Die Baukunst des fränkischen Nordens, die einst bis weit in die welschen und
slawischen Lande ihre Herrschaft ausdehnte, wird als "gotisches" Barbarenwerk
von den italienischen Höflingen verspottet, köstliche Zeugen dieser Kunst werden
vernichtet und verstümmelt, schon ehe die große Revolution, der Narrentanz des
von allen Fesseln befreiten Galliertums, unzählige andere Zeugen der fränkischen
Kunst des Mittelalters im sinnlosen bilderstürmenden Wüten vernichtete. Was
die Kriege der älteren und neueren Zeit Frankreichs Kathedralen geschadet
haben ist gering gegenüber den ungeheuren Schäden, die die Priester des
"höchsten Wesens" in der Revolutionszeit durch planmäßige Vernichtung und
die solgenden Geschlechter durch unbarmherzige Vernachlässigung angerichtet haben.
Auch in Reims kann durch den Brand des Dachstuhls kaum ein Schaden
entstanden sein, der nicht wieder auszubessern wäre, denn die oberen Teile des


Reste germanischen volkstmns in Nordfrankreich

Ein Blatt voll stolzer und erschütternder Erinnerungen liegt vor uns
aufgeschlagen, wenn wir von den Türmen von Laon nach dem Soissonnais,
hinüberschauen, wo Chlodwigs Frankenreich gegründet wurde, nach den Burgen
und Städten, wo das Herrenvolk der Franken seine Blüte erlebte. Der Spruch
des Schloßherrn auf dem nahen Coucy fällt uns ein, der das Denken dieses
Herrengeschlechtes zeigt:


Ko^ ne su^
t>le primas, ne vue
!^«z Lomts suffi
suis Is Lire cZe Lona^,

Es war die Zeit, da die fünf Meter dicken Mauern seines Schlosses diesen
fränkischen Gaugrafen zum unumschränkten und unbesieglichen Herren in seinem
Gebiet machten. Die nachgeborenen Söhne dieser Grafengeschlechter saßen aus
den Bischofsitzen der Städte und bemühten sich, ihren Reichtum und ihre Macht
durch stolze Kirchenbauten zu bezeugen. Sie bemühten sich um so mehr, als
sie durch solche und andere Unternehmungen, namentlich Kreuzzüge, ihre unruhigen
Untertanen in den zur Macht emporwachsenden Städten zu beschäftigen wußten.
Deren Galliertemperament hatte ja schon Tacitus mit dem Ausdruck „nach
neuen Dingen gierig" getroffen.

Drei Jahrhunderte später, als des vierten Heinrichs Kanonen sprachen,
war es mit der Herrlichkeit des „Sire" von Coucy vorbei. Der galanteste
der Könige, „stets einen Witz oder einen Kuß auf den Lippen", wußte sich hier
einen besonders guten Scherz zu leisten und machte diese stärkste der Trutzburgen
des fränkischen Adels zum Heim der Liebe und zur Wochenstube seines Schätzchens
Gabrielle, die hier den bekannten LöZ^r cle Venciome gebar.

Das Selbstbestimmungsrecht des fränkischen Adels war gebrochen, er durfte
nur noch die Schranzen für den Königshof liefern, der für politische Aufgaben
gefügigere Werkzeuge, vor allen Italiener, vorzog. Auch die Führung in der
Kunst ging auf die Italiener über. Die Kunst der heimischen Steinmetzen wird
verachtet und vernachlässigt, sie müssen unter Führung der Südländer umlernen.
Die Baukunst des fränkischen Nordens, die einst bis weit in die welschen und
slawischen Lande ihre Herrschaft ausdehnte, wird als „gotisches" Barbarenwerk
von den italienischen Höflingen verspottet, köstliche Zeugen dieser Kunst werden
vernichtet und verstümmelt, schon ehe die große Revolution, der Narrentanz des
von allen Fesseln befreiten Galliertums, unzählige andere Zeugen der fränkischen
Kunst des Mittelalters im sinnlosen bilderstürmenden Wüten vernichtete. Was
die Kriege der älteren und neueren Zeit Frankreichs Kathedralen geschadet
haben ist gering gegenüber den ungeheuren Schäden, die die Priester des
„höchsten Wesens" in der Revolutionszeit durch planmäßige Vernichtung und
die solgenden Geschlechter durch unbarmherzige Vernachlässigung angerichtet haben.
Auch in Reims kann durch den Brand des Dachstuhls kaum ein Schaden
entstanden sein, der nicht wieder auszubessern wäre, denn die oberen Teile des


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[0326] Reste germanischen volkstmns in Nordfrankreich Ein Blatt voll stolzer und erschütternder Erinnerungen liegt vor uns aufgeschlagen, wenn wir von den Türmen von Laon nach dem Soissonnais, hinüberschauen, wo Chlodwigs Frankenreich gegründet wurde, nach den Burgen und Städten, wo das Herrenvolk der Franken seine Blüte erlebte. Der Spruch des Schloßherrn auf dem nahen Coucy fällt uns ein, der das Denken dieses Herrengeschlechtes zeigt: Ko^ ne su^ t>le primas, ne vue !^«z Lomts suffi suis Is Lire cZe Lona^, Es war die Zeit, da die fünf Meter dicken Mauern seines Schlosses diesen fränkischen Gaugrafen zum unumschränkten und unbesieglichen Herren in seinem Gebiet machten. Die nachgeborenen Söhne dieser Grafengeschlechter saßen aus den Bischofsitzen der Städte und bemühten sich, ihren Reichtum und ihre Macht durch stolze Kirchenbauten zu bezeugen. Sie bemühten sich um so mehr, als sie durch solche und andere Unternehmungen, namentlich Kreuzzüge, ihre unruhigen Untertanen in den zur Macht emporwachsenden Städten zu beschäftigen wußten. Deren Galliertemperament hatte ja schon Tacitus mit dem Ausdruck „nach neuen Dingen gierig" getroffen. Drei Jahrhunderte später, als des vierten Heinrichs Kanonen sprachen, war es mit der Herrlichkeit des „Sire" von Coucy vorbei. Der galanteste der Könige, „stets einen Witz oder einen Kuß auf den Lippen", wußte sich hier einen besonders guten Scherz zu leisten und machte diese stärkste der Trutzburgen des fränkischen Adels zum Heim der Liebe und zur Wochenstube seines Schätzchens Gabrielle, die hier den bekannten LöZ^r cle Venciome gebar. Das Selbstbestimmungsrecht des fränkischen Adels war gebrochen, er durfte nur noch die Schranzen für den Königshof liefern, der für politische Aufgaben gefügigere Werkzeuge, vor allen Italiener, vorzog. Auch die Führung in der Kunst ging auf die Italiener über. Die Kunst der heimischen Steinmetzen wird verachtet und vernachlässigt, sie müssen unter Führung der Südländer umlernen. Die Baukunst des fränkischen Nordens, die einst bis weit in die welschen und slawischen Lande ihre Herrschaft ausdehnte, wird als „gotisches" Barbarenwerk von den italienischen Höflingen verspottet, köstliche Zeugen dieser Kunst werden vernichtet und verstümmelt, schon ehe die große Revolution, der Narrentanz des von allen Fesseln befreiten Galliertums, unzählige andere Zeugen der fränkischen Kunst des Mittelalters im sinnlosen bilderstürmenden Wüten vernichtete. Was die Kriege der älteren und neueren Zeit Frankreichs Kathedralen geschadet haben ist gering gegenüber den ungeheuren Schäden, die die Priester des „höchsten Wesens" in der Revolutionszeit durch planmäßige Vernichtung und die solgenden Geschlechter durch unbarmherzige Vernachlässigung angerichtet haben. Auch in Reims kann durch den Brand des Dachstuhls kaum ein Schaden entstanden sein, der nicht wieder auszubessern wäre, denn die oberen Teile des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/326>, abgerufen am 04.07.2024.