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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Reste germanischen volkstums in Nordfrankreich

Größere und bedeutsamere Denkmäler als diese bescheidenen Wohnbauten
hat ja allerdings der germanische Herrenstamm in den Kirchenbauten des Mittel¬
alters geschaffen.

Für den deutschen Kulturforscher ist die Gegend, in die der nördliche
deutsche Heeresflügel nach dem Durchbrechen der Sperrlinie Laon--La Före
eindrang, voll von Denkmälern von unvergleichlichen Wert. Hier grüßt zuerst
auf gewaltigem Felsrücken, der unmittelbar aus den weiten Ebenen des nörd¬
lichen Tieflandes aufsteigt, die Kathedrale von Laon, das stolzeste und herbste
Werk fränkisch-germanischen Bauschaffens. Welch ein Riesenwerk steht vor uns,
wenn wir uns diesen Bau mit seinen sieben ragenden Türmen vollendet denken,
wie er, die jetzt verschwundenen Mauern der gewaltigen mittelalterlichen Berg¬
festung überragend, das von Wäldern bedeckte Tiefland beherrschte. Noch heute,
wo in dieser Gegend alles zahm und kultiviert geworden ist, wo eine flache,
nüchterne, dürftige Bauweise die Abhänge des mächtigen Felsens verunziert, ist
dieses Stadtbild überwältigend in seiner Großartigkeit.

Keine der späteren reicheren und feiner durchgebildeten Kathedralen steht
dem deutschen Empfinden näher als dieses erhabene, männlich-ernste Werk.
Kein Wunder, daß wir seinen stolzen und starken, dabei bis ins kleinste edlen
und ausdrucksvollen Gliederbau in so manchen deutschen Tochterkirchen wieder¬
finden/ In Naumburg und Limburg finden wir die schönsten und bekanntesten
unter ihnen; besonders die letztere ist dem Vorbild auch an Schönheit der Lage
ähnlich. Allerdings darf man nicht an einen Vergleich mit den riesigen Ab¬
messungen des Vorbildes in Laon denken, die den bescheidenen Mitteln der
deutschen Stifter nicht erreichbar waren.

In der Gestaltung der Fassade von Laon tritt das Streben, eine für
sich bestehende, der Repräsentation entgegenkommende Front auf Kosten des
Zusammenhanges mit dem übrigen Baukörper zu schaffen, noch ganz bescheiden
auf. Die Hauptfront entwickelt sich klar und folgerichtig aus ihren Bestand¬
teilen: den drei mächtigen Eingangsbauten, den beiden über den Seitenschiffen
errichteten Türmen und dem Zwischenbau, dessen große Rose das hochgewölbte
Mittelschiff anßen wiederspiegelt. Die gewaltigen, männlich-gedrungenen Formen
der Turmbauten sind in der Schönheit ihrer Umrisse und in der Folgerichtigkeit
ihres Aufbaues gleich vollendet. Der mächtige Umriß des ganzen Bauwerkes
Zeigt sich am schönsten in der Ferne, wenn man den burgartigen hochragenden
Bau aus der weiten Ebene im Norden oder aus dem freundlichen Hügelland
der Aisne im Süden erblickt. So steht dieses Riesenwerk der Frühzeit fränkischer
Kulturblüte als erste der großen Kathedralen vor dem Reisenden, der von
Osten kommt. Sie leitet hinüber zu all den großen und vielbewunderten
Bauten, die eine hochbegabte germanische Oberschicht in diesem Land geschaffen
hat, ein Herrengeschlecht, dem später nach Jahrhunderten der Entartung und
des Niederganges die große Revolution des Romanentums und Keltentums ein
blutiges Ende bereitete.


Reste germanischen volkstums in Nordfrankreich

Größere und bedeutsamere Denkmäler als diese bescheidenen Wohnbauten
hat ja allerdings der germanische Herrenstamm in den Kirchenbauten des Mittel¬
alters geschaffen.

Für den deutschen Kulturforscher ist die Gegend, in die der nördliche
deutsche Heeresflügel nach dem Durchbrechen der Sperrlinie Laon—La Före
eindrang, voll von Denkmälern von unvergleichlichen Wert. Hier grüßt zuerst
auf gewaltigem Felsrücken, der unmittelbar aus den weiten Ebenen des nörd¬
lichen Tieflandes aufsteigt, die Kathedrale von Laon, das stolzeste und herbste
Werk fränkisch-germanischen Bauschaffens. Welch ein Riesenwerk steht vor uns,
wenn wir uns diesen Bau mit seinen sieben ragenden Türmen vollendet denken,
wie er, die jetzt verschwundenen Mauern der gewaltigen mittelalterlichen Berg¬
festung überragend, das von Wäldern bedeckte Tiefland beherrschte. Noch heute,
wo in dieser Gegend alles zahm und kultiviert geworden ist, wo eine flache,
nüchterne, dürftige Bauweise die Abhänge des mächtigen Felsens verunziert, ist
dieses Stadtbild überwältigend in seiner Großartigkeit.

Keine der späteren reicheren und feiner durchgebildeten Kathedralen steht
dem deutschen Empfinden näher als dieses erhabene, männlich-ernste Werk.
Kein Wunder, daß wir seinen stolzen und starken, dabei bis ins kleinste edlen
und ausdrucksvollen Gliederbau in so manchen deutschen Tochterkirchen wieder¬
finden/ In Naumburg und Limburg finden wir die schönsten und bekanntesten
unter ihnen; besonders die letztere ist dem Vorbild auch an Schönheit der Lage
ähnlich. Allerdings darf man nicht an einen Vergleich mit den riesigen Ab¬
messungen des Vorbildes in Laon denken, die den bescheidenen Mitteln der
deutschen Stifter nicht erreichbar waren.

In der Gestaltung der Fassade von Laon tritt das Streben, eine für
sich bestehende, der Repräsentation entgegenkommende Front auf Kosten des
Zusammenhanges mit dem übrigen Baukörper zu schaffen, noch ganz bescheiden
auf. Die Hauptfront entwickelt sich klar und folgerichtig aus ihren Bestand¬
teilen: den drei mächtigen Eingangsbauten, den beiden über den Seitenschiffen
errichteten Türmen und dem Zwischenbau, dessen große Rose das hochgewölbte
Mittelschiff anßen wiederspiegelt. Die gewaltigen, männlich-gedrungenen Formen
der Turmbauten sind in der Schönheit ihrer Umrisse und in der Folgerichtigkeit
ihres Aufbaues gleich vollendet. Der mächtige Umriß des ganzen Bauwerkes
Zeigt sich am schönsten in der Ferne, wenn man den burgartigen hochragenden
Bau aus der weiten Ebene im Norden oder aus dem freundlichen Hügelland
der Aisne im Süden erblickt. So steht dieses Riesenwerk der Frühzeit fränkischer
Kulturblüte als erste der großen Kathedralen vor dem Reisenden, der von
Osten kommt. Sie leitet hinüber zu all den großen und vielbewunderten
Bauten, die eine hochbegabte germanische Oberschicht in diesem Land geschaffen
hat, ein Herrengeschlecht, dem später nach Jahrhunderten der Entartung und
des Niederganges die große Revolution des Romanentums und Keltentums ein
blutiges Ende bereitete.


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[0325] Reste germanischen volkstums in Nordfrankreich Größere und bedeutsamere Denkmäler als diese bescheidenen Wohnbauten hat ja allerdings der germanische Herrenstamm in den Kirchenbauten des Mittel¬ alters geschaffen. Für den deutschen Kulturforscher ist die Gegend, in die der nördliche deutsche Heeresflügel nach dem Durchbrechen der Sperrlinie Laon—La Före eindrang, voll von Denkmälern von unvergleichlichen Wert. Hier grüßt zuerst auf gewaltigem Felsrücken, der unmittelbar aus den weiten Ebenen des nörd¬ lichen Tieflandes aufsteigt, die Kathedrale von Laon, das stolzeste und herbste Werk fränkisch-germanischen Bauschaffens. Welch ein Riesenwerk steht vor uns, wenn wir uns diesen Bau mit seinen sieben ragenden Türmen vollendet denken, wie er, die jetzt verschwundenen Mauern der gewaltigen mittelalterlichen Berg¬ festung überragend, das von Wäldern bedeckte Tiefland beherrschte. Noch heute, wo in dieser Gegend alles zahm und kultiviert geworden ist, wo eine flache, nüchterne, dürftige Bauweise die Abhänge des mächtigen Felsens verunziert, ist dieses Stadtbild überwältigend in seiner Großartigkeit. Keine der späteren reicheren und feiner durchgebildeten Kathedralen steht dem deutschen Empfinden näher als dieses erhabene, männlich-ernste Werk. Kein Wunder, daß wir seinen stolzen und starken, dabei bis ins kleinste edlen und ausdrucksvollen Gliederbau in so manchen deutschen Tochterkirchen wieder¬ finden/ In Naumburg und Limburg finden wir die schönsten und bekanntesten unter ihnen; besonders die letztere ist dem Vorbild auch an Schönheit der Lage ähnlich. Allerdings darf man nicht an einen Vergleich mit den riesigen Ab¬ messungen des Vorbildes in Laon denken, die den bescheidenen Mitteln der deutschen Stifter nicht erreichbar waren. In der Gestaltung der Fassade von Laon tritt das Streben, eine für sich bestehende, der Repräsentation entgegenkommende Front auf Kosten des Zusammenhanges mit dem übrigen Baukörper zu schaffen, noch ganz bescheiden auf. Die Hauptfront entwickelt sich klar und folgerichtig aus ihren Bestand¬ teilen: den drei mächtigen Eingangsbauten, den beiden über den Seitenschiffen errichteten Türmen und dem Zwischenbau, dessen große Rose das hochgewölbte Mittelschiff anßen wiederspiegelt. Die gewaltigen, männlich-gedrungenen Formen der Turmbauten sind in der Schönheit ihrer Umrisse und in der Folgerichtigkeit ihres Aufbaues gleich vollendet. Der mächtige Umriß des ganzen Bauwerkes Zeigt sich am schönsten in der Ferne, wenn man den burgartigen hochragenden Bau aus der weiten Ebene im Norden oder aus dem freundlichen Hügelland der Aisne im Süden erblickt. So steht dieses Riesenwerk der Frühzeit fränkischer Kulturblüte als erste der großen Kathedralen vor dem Reisenden, der von Osten kommt. Sie leitet hinüber zu all den großen und vielbewunderten Bauten, die eine hochbegabte germanische Oberschicht in diesem Land geschaffen hat, ein Herrengeschlecht, dem später nach Jahrhunderten der Entartung und des Niederganges die große Revolution des Romanentums und Keltentums ein blutiges Ende bereitete.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/325>, abgerufen am 04.07.2024.