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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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vom Recht der Huknnfi

Mensch nicht machen und zu seinen Zwecken benutzen wollen, Wenn das Recht
auch nicht mehr unmittelbar von der Gottheit abgeleitet und deshalb für ewig
und unabänderlich erklärt wird, so dcrrs es doch nur aus der geheimnisvollen
Tiefe des Volksgeistes geschöpft werden -- Volkesstimme ist Gottesstimme.
Der Volksgeist, unbewußt und zwecklos wirkend wie in der Volkssprache oder
Volkslied, mag das Recht umfassen wie der Fluß sein Bett. Ein durch zweck¬
bewußtes Menschenwerk umgebildetes Recht wäre nicht bloß häßlich wie öde
Ufermauern, sondern es wäre eine Profanation.

Freilich ist diese Anschauung, auf der die historische Schule in der Rechts¬
wissenschaft beruhte, nicht mehr in anerkannter Herrschaft.

Auf manchen Gebieten des öffentlichen Rechts mag sie als aufgegeben
gelten. Wir sind längst daran gewöhnt, daß das Staatsrecht nach den
Bedürfnissen des Tages umgewandelt wird. Wenn wir von dem Staatsrecht
des alten heiligen Reiches lesen, so lächeln wir wohl über die sonderbare Scheu,
mit der unsere Vorväter jenen wunderlichen Antiquitäten gegenüberstanden.
Uns enthält ja das Staatsrecht kaum noch das Heilige, das wir nicht, wenn
es uns unbequem und merkwürdig erscheint, durch Zweckmäßigeres ersetzen
dürften. Über den Gesetzen unseres neuen Reiches steht zwar immer noch
geschriebein Wir Wilhelm von Gottes Gnaden, aber man kennt die Herkunft
der darunter verkündeten ftaats- und verwaltungsrechtlichen Vorschriften zu gut,
als daß man ihnen eine höhere Autorität als die menschliche Vernunft beilegen
möchte. Man befolgt diese Gebote, weil und solange hinter ihnen die Zwangs¬
oder Strafgewalt der Obrigkeit steht, ohne noch als Schlußgrund hinzuzudenken,
daß alle Obrigkeit von Gott sei.

Um das Privatrecht steht es anders. Auch da fehlt es nicht an Neuerungen,
die offensichtlich ökonomischer und sozialer Theologie ihren Ursprung verdanken.
Aber daneben haben wir eine Fülle alter Normen, die entweder nie aus Zweck¬
erwägungen hervorgegangen sind oder deren Herkunft aus Zweckerwägungen
längst vergessen ist. Allerdings erscheinen auch sie im Kleid moderner Gesetzes¬
paragraphen. Aber ihr Inhalt ist alt und ehrwürdig. Manche unter ihnen
lassen ihre Abstammung bis zu den römischen zwölf Tafeln oder in germanische
Vorzeit zurückverfolgen. Diesem alten und durch das Alter geheiligten Bestände
ist die Sympathie der Rechtswissenschaft zugewandt auch in Kreisen, die von
der Romantik der historischen Schule nichts mehr wissen wollen. Das ist
begreiflich. Das vom Alter geheiligte Recht kann ohne Zweifel ein höheres
Ansehen beanspruchen, als ein Recht, das in seiner Zweckmäßigkeit seine Recht¬
fertigung suchen muß. Darum bemüht sich die rechtsgeschichtliche Forschung mit
Vorliebe, das Privatrecht aus ferner und fernster Vergangenheit herzuleiten,
darum findet die juristische Dogmatik Befriedigung darin, daß sie den aus
Zweckerwägungen hervorgegangenen modernen Zutaten einen Anteil an der
Würde des altgewordenen Rechts verschafft, indem sie altes und neues Recht
zu einem frei von aller Theologie in sich selbst ruhenden System verschmilzt.


vom Recht der Huknnfi

Mensch nicht machen und zu seinen Zwecken benutzen wollen, Wenn das Recht
auch nicht mehr unmittelbar von der Gottheit abgeleitet und deshalb für ewig
und unabänderlich erklärt wird, so dcrrs es doch nur aus der geheimnisvollen
Tiefe des Volksgeistes geschöpft werden — Volkesstimme ist Gottesstimme.
Der Volksgeist, unbewußt und zwecklos wirkend wie in der Volkssprache oder
Volkslied, mag das Recht umfassen wie der Fluß sein Bett. Ein durch zweck¬
bewußtes Menschenwerk umgebildetes Recht wäre nicht bloß häßlich wie öde
Ufermauern, sondern es wäre eine Profanation.

Freilich ist diese Anschauung, auf der die historische Schule in der Rechts¬
wissenschaft beruhte, nicht mehr in anerkannter Herrschaft.

Auf manchen Gebieten des öffentlichen Rechts mag sie als aufgegeben
gelten. Wir sind längst daran gewöhnt, daß das Staatsrecht nach den
Bedürfnissen des Tages umgewandelt wird. Wenn wir von dem Staatsrecht
des alten heiligen Reiches lesen, so lächeln wir wohl über die sonderbare Scheu,
mit der unsere Vorväter jenen wunderlichen Antiquitäten gegenüberstanden.
Uns enthält ja das Staatsrecht kaum noch das Heilige, das wir nicht, wenn
es uns unbequem und merkwürdig erscheint, durch Zweckmäßigeres ersetzen
dürften. Über den Gesetzen unseres neuen Reiches steht zwar immer noch
geschriebein Wir Wilhelm von Gottes Gnaden, aber man kennt die Herkunft
der darunter verkündeten ftaats- und verwaltungsrechtlichen Vorschriften zu gut,
als daß man ihnen eine höhere Autorität als die menschliche Vernunft beilegen
möchte. Man befolgt diese Gebote, weil und solange hinter ihnen die Zwangs¬
oder Strafgewalt der Obrigkeit steht, ohne noch als Schlußgrund hinzuzudenken,
daß alle Obrigkeit von Gott sei.

Um das Privatrecht steht es anders. Auch da fehlt es nicht an Neuerungen,
die offensichtlich ökonomischer und sozialer Theologie ihren Ursprung verdanken.
Aber daneben haben wir eine Fülle alter Normen, die entweder nie aus Zweck¬
erwägungen hervorgegangen sind oder deren Herkunft aus Zweckerwägungen
längst vergessen ist. Allerdings erscheinen auch sie im Kleid moderner Gesetzes¬
paragraphen. Aber ihr Inhalt ist alt und ehrwürdig. Manche unter ihnen
lassen ihre Abstammung bis zu den römischen zwölf Tafeln oder in germanische
Vorzeit zurückverfolgen. Diesem alten und durch das Alter geheiligten Bestände
ist die Sympathie der Rechtswissenschaft zugewandt auch in Kreisen, die von
der Romantik der historischen Schule nichts mehr wissen wollen. Das ist
begreiflich. Das vom Alter geheiligte Recht kann ohne Zweifel ein höheres
Ansehen beanspruchen, als ein Recht, das in seiner Zweckmäßigkeit seine Recht¬
fertigung suchen muß. Darum bemüht sich die rechtsgeschichtliche Forschung mit
Vorliebe, das Privatrecht aus ferner und fernster Vergangenheit herzuleiten,
darum findet die juristische Dogmatik Befriedigung darin, daß sie den aus
Zweckerwägungen hervorgegangenen modernen Zutaten einen Anteil an der
Würde des altgewordenen Rechts verschafft, indem sie altes und neues Recht
zu einem frei von aller Theologie in sich selbst ruhenden System verschmilzt.


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[0313] vom Recht der Huknnfi Mensch nicht machen und zu seinen Zwecken benutzen wollen, Wenn das Recht auch nicht mehr unmittelbar von der Gottheit abgeleitet und deshalb für ewig und unabänderlich erklärt wird, so dcrrs es doch nur aus der geheimnisvollen Tiefe des Volksgeistes geschöpft werden — Volkesstimme ist Gottesstimme. Der Volksgeist, unbewußt und zwecklos wirkend wie in der Volkssprache oder Volkslied, mag das Recht umfassen wie der Fluß sein Bett. Ein durch zweck¬ bewußtes Menschenwerk umgebildetes Recht wäre nicht bloß häßlich wie öde Ufermauern, sondern es wäre eine Profanation. Freilich ist diese Anschauung, auf der die historische Schule in der Rechts¬ wissenschaft beruhte, nicht mehr in anerkannter Herrschaft. Auf manchen Gebieten des öffentlichen Rechts mag sie als aufgegeben gelten. Wir sind längst daran gewöhnt, daß das Staatsrecht nach den Bedürfnissen des Tages umgewandelt wird. Wenn wir von dem Staatsrecht des alten heiligen Reiches lesen, so lächeln wir wohl über die sonderbare Scheu, mit der unsere Vorväter jenen wunderlichen Antiquitäten gegenüberstanden. Uns enthält ja das Staatsrecht kaum noch das Heilige, das wir nicht, wenn es uns unbequem und merkwürdig erscheint, durch Zweckmäßigeres ersetzen dürften. Über den Gesetzen unseres neuen Reiches steht zwar immer noch geschriebein Wir Wilhelm von Gottes Gnaden, aber man kennt die Herkunft der darunter verkündeten ftaats- und verwaltungsrechtlichen Vorschriften zu gut, als daß man ihnen eine höhere Autorität als die menschliche Vernunft beilegen möchte. Man befolgt diese Gebote, weil und solange hinter ihnen die Zwangs¬ oder Strafgewalt der Obrigkeit steht, ohne noch als Schlußgrund hinzuzudenken, daß alle Obrigkeit von Gott sei. Um das Privatrecht steht es anders. Auch da fehlt es nicht an Neuerungen, die offensichtlich ökonomischer und sozialer Theologie ihren Ursprung verdanken. Aber daneben haben wir eine Fülle alter Normen, die entweder nie aus Zweck¬ erwägungen hervorgegangen sind oder deren Herkunft aus Zweckerwägungen längst vergessen ist. Allerdings erscheinen auch sie im Kleid moderner Gesetzes¬ paragraphen. Aber ihr Inhalt ist alt und ehrwürdig. Manche unter ihnen lassen ihre Abstammung bis zu den römischen zwölf Tafeln oder in germanische Vorzeit zurückverfolgen. Diesem alten und durch das Alter geheiligten Bestände ist die Sympathie der Rechtswissenschaft zugewandt auch in Kreisen, die von der Romantik der historischen Schule nichts mehr wissen wollen. Das ist begreiflich. Das vom Alter geheiligte Recht kann ohne Zweifel ein höheres Ansehen beanspruchen, als ein Recht, das in seiner Zweckmäßigkeit seine Recht¬ fertigung suchen muß. Darum bemüht sich die rechtsgeschichtliche Forschung mit Vorliebe, das Privatrecht aus ferner und fernster Vergangenheit herzuleiten, darum findet die juristische Dogmatik Befriedigung darin, daß sie den aus Zweckerwägungen hervorgegangenen modernen Zutaten einen Anteil an der Würde des altgewordenen Rechts verschafft, indem sie altes und neues Recht zu einem frei von aller Theologie in sich selbst ruhenden System verschmilzt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/313>, abgerufen am 04.07.2024.