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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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vom Recht der Zukunft

Hilfe des Privatrechts die Volkswirtschaft zu reformieren, fehlte leider die Veran¬
lassung, die Einwirkungen des Privatrechts auf die Volkswirtschaft zu studieren.

An die Möglichkeit, durch zweckbewußte Veränderungen des Privatrechts
die Volkswirtschaft und die Gesellschaftsordnung zu reformieren, konnte man
aber kaum denken. Ein römischer Jurist hat vor mehr als 1500 Jahren aus¬
gesprochen: öffentliches Recht ist das Recht, das die öffentlichen Interessen wahr¬
nimmt, Privatrecht das Recht, das der nenn^ sinZuIorum, den Privat-
interessen dient. Damit erscheint als für alle Zeiten begrifflich festgestellt, daß
das Privatrecht mit der Gesellschaftsordnung und der Volswirtschaft nichts zu
tun hat. Freilich hat jener römische Jurist vielleicht unter öffentlichem und
Privatrecht etwas wesentlich anderes verstanden, als wir darunter seit dem Anfang
des neunzehnten Jahrhunderts verstehen. Freilich haben wir uns von der Herr¬
schaft des römischen Rechts mit dem Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts frei
gemacht, und es ist nicht abzusehen, warum wir uns von einem Ausspruch aus
der Zeit des hinkenden Römertums als von einem ewigen und jedem Zweifel
entrückten Dogma beherrschen lassen müßten. Es ist aber auch gar nicht zu
bezweifeln, daß das Recht, das wir Privatrecht nennen, nicht bloß zur Zeit
Ulpians, sondern bis zur Gegenwart sast ausschließlich zum Nutzen dieser oder
jener Privatinteressen geschaffen und gestaltet ist. Es fragt sich nur, ob die
Wirkungen menschlicher Einrichtungen immer und vollständig den Zwecken und
Absichten der Menschen entsprechen, die sie ins Werk gesetzt haben. Längst
bekannt ist, um auf den vorher gebrauchten Vergleich zurückzugreifen, daß Ufer¬
bauten, die Fischer, Müller oder Landwirte zu ihren Zwecken vornehmen,
beträchtliche Einwirkungen auf den Flußlauf und damit auf die Schiffahrt
ausüben können. Sähe die Rechtsgeschichte ihre Aufgabe darin, nicht bloß die
Änderungen des Rechts und ihrer Faktoren, sondern auch ihre Wirkungen auf¬
zudecken, so wüßten wir längst, in welchem Umfang Wandlungen des Privat¬
rechts umgestaltend in die Volkswirtschaft und die Ordnung der Gesellschaft
eingegriffen haben, obwohl diejenigen, die an diesen Wandlungen mitgearbeitet
haben, nur Interessen einzelner Volkskreise zu befriedigen bezweckten.

Daß eine zweckbewußte Verwaltung des Privatrechts zur Heilung gesellschaft¬
licher Schäden noch sehr viel stärker eingreifen könnte, ist allerdings wahrscheinlich.

Selbstverständlich wird man auch von einer zweckbcmußten Umbildung des
Privatrechts nichts Unmögliches erwarten dürfen. Die Strombaukunst kann nicht
oder nur in bescheidenem Maße erzielen, daß ein Fluß bergauf fließt. Ist es
nicht, auch wenn die Bedeutung des Privatrechts höher zu veranschlagen ist,
als die herrschende Anschauung gelten läßt, von vornherein unmöglich, durch
Änderungen im Privatrecht den Gegensatz einer besitzenden und einer besitzlosen
Klasse aus der Welt zu schaffen.

Ich bitte wohl zu beachten: ich spreche von dem Gegensatz einer besitzenden
und einer besitzlosen Klasse, nicht von dein Gegensatz zwischen Besitzenden und
Besitzlosen.


vom Recht der Zukunft

Hilfe des Privatrechts die Volkswirtschaft zu reformieren, fehlte leider die Veran¬
lassung, die Einwirkungen des Privatrechts auf die Volkswirtschaft zu studieren.

An die Möglichkeit, durch zweckbewußte Veränderungen des Privatrechts
die Volkswirtschaft und die Gesellschaftsordnung zu reformieren, konnte man
aber kaum denken. Ein römischer Jurist hat vor mehr als 1500 Jahren aus¬
gesprochen: öffentliches Recht ist das Recht, das die öffentlichen Interessen wahr¬
nimmt, Privatrecht das Recht, das der nenn^ sinZuIorum, den Privat-
interessen dient. Damit erscheint als für alle Zeiten begrifflich festgestellt, daß
das Privatrecht mit der Gesellschaftsordnung und der Volswirtschaft nichts zu
tun hat. Freilich hat jener römische Jurist vielleicht unter öffentlichem und
Privatrecht etwas wesentlich anderes verstanden, als wir darunter seit dem Anfang
des neunzehnten Jahrhunderts verstehen. Freilich haben wir uns von der Herr¬
schaft des römischen Rechts mit dem Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts frei
gemacht, und es ist nicht abzusehen, warum wir uns von einem Ausspruch aus
der Zeit des hinkenden Römertums als von einem ewigen und jedem Zweifel
entrückten Dogma beherrschen lassen müßten. Es ist aber auch gar nicht zu
bezweifeln, daß das Recht, das wir Privatrecht nennen, nicht bloß zur Zeit
Ulpians, sondern bis zur Gegenwart sast ausschließlich zum Nutzen dieser oder
jener Privatinteressen geschaffen und gestaltet ist. Es fragt sich nur, ob die
Wirkungen menschlicher Einrichtungen immer und vollständig den Zwecken und
Absichten der Menschen entsprechen, die sie ins Werk gesetzt haben. Längst
bekannt ist, um auf den vorher gebrauchten Vergleich zurückzugreifen, daß Ufer¬
bauten, die Fischer, Müller oder Landwirte zu ihren Zwecken vornehmen,
beträchtliche Einwirkungen auf den Flußlauf und damit auf die Schiffahrt
ausüben können. Sähe die Rechtsgeschichte ihre Aufgabe darin, nicht bloß die
Änderungen des Rechts und ihrer Faktoren, sondern auch ihre Wirkungen auf¬
zudecken, so wüßten wir längst, in welchem Umfang Wandlungen des Privat¬
rechts umgestaltend in die Volkswirtschaft und die Ordnung der Gesellschaft
eingegriffen haben, obwohl diejenigen, die an diesen Wandlungen mitgearbeitet
haben, nur Interessen einzelner Volkskreise zu befriedigen bezweckten.

Daß eine zweckbewußte Verwaltung des Privatrechts zur Heilung gesellschaft¬
licher Schäden noch sehr viel stärker eingreifen könnte, ist allerdings wahrscheinlich.

Selbstverständlich wird man auch von einer zweckbcmußten Umbildung des
Privatrechts nichts Unmögliches erwarten dürfen. Die Strombaukunst kann nicht
oder nur in bescheidenem Maße erzielen, daß ein Fluß bergauf fließt. Ist es
nicht, auch wenn die Bedeutung des Privatrechts höher zu veranschlagen ist,
als die herrschende Anschauung gelten läßt, von vornherein unmöglich, durch
Änderungen im Privatrecht den Gegensatz einer besitzenden und einer besitzlosen
Klasse aus der Welt zu schaffen.

Ich bitte wohl zu beachten: ich spreche von dem Gegensatz einer besitzenden
und einer besitzlosen Klasse, nicht von dein Gegensatz zwischen Besitzenden und
Besitzlosen.


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[0310] vom Recht der Zukunft Hilfe des Privatrechts die Volkswirtschaft zu reformieren, fehlte leider die Veran¬ lassung, die Einwirkungen des Privatrechts auf die Volkswirtschaft zu studieren. An die Möglichkeit, durch zweckbewußte Veränderungen des Privatrechts die Volkswirtschaft und die Gesellschaftsordnung zu reformieren, konnte man aber kaum denken. Ein römischer Jurist hat vor mehr als 1500 Jahren aus¬ gesprochen: öffentliches Recht ist das Recht, das die öffentlichen Interessen wahr¬ nimmt, Privatrecht das Recht, das der nenn^ sinZuIorum, den Privat- interessen dient. Damit erscheint als für alle Zeiten begrifflich festgestellt, daß das Privatrecht mit der Gesellschaftsordnung und der Volswirtschaft nichts zu tun hat. Freilich hat jener römische Jurist vielleicht unter öffentlichem und Privatrecht etwas wesentlich anderes verstanden, als wir darunter seit dem Anfang des neunzehnten Jahrhunderts verstehen. Freilich haben wir uns von der Herr¬ schaft des römischen Rechts mit dem Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts frei gemacht, und es ist nicht abzusehen, warum wir uns von einem Ausspruch aus der Zeit des hinkenden Römertums als von einem ewigen und jedem Zweifel entrückten Dogma beherrschen lassen müßten. Es ist aber auch gar nicht zu bezweifeln, daß das Recht, das wir Privatrecht nennen, nicht bloß zur Zeit Ulpians, sondern bis zur Gegenwart sast ausschließlich zum Nutzen dieser oder jener Privatinteressen geschaffen und gestaltet ist. Es fragt sich nur, ob die Wirkungen menschlicher Einrichtungen immer und vollständig den Zwecken und Absichten der Menschen entsprechen, die sie ins Werk gesetzt haben. Längst bekannt ist, um auf den vorher gebrauchten Vergleich zurückzugreifen, daß Ufer¬ bauten, die Fischer, Müller oder Landwirte zu ihren Zwecken vornehmen, beträchtliche Einwirkungen auf den Flußlauf und damit auf die Schiffahrt ausüben können. Sähe die Rechtsgeschichte ihre Aufgabe darin, nicht bloß die Änderungen des Rechts und ihrer Faktoren, sondern auch ihre Wirkungen auf¬ zudecken, so wüßten wir längst, in welchem Umfang Wandlungen des Privat¬ rechts umgestaltend in die Volkswirtschaft und die Ordnung der Gesellschaft eingegriffen haben, obwohl diejenigen, die an diesen Wandlungen mitgearbeitet haben, nur Interessen einzelner Volkskreise zu befriedigen bezweckten. Daß eine zweckbewußte Verwaltung des Privatrechts zur Heilung gesellschaft¬ licher Schäden noch sehr viel stärker eingreifen könnte, ist allerdings wahrscheinlich. Selbstverständlich wird man auch von einer zweckbcmußten Umbildung des Privatrechts nichts Unmögliches erwarten dürfen. Die Strombaukunst kann nicht oder nur in bescheidenem Maße erzielen, daß ein Fluß bergauf fließt. Ist es nicht, auch wenn die Bedeutung des Privatrechts höher zu veranschlagen ist, als die herrschende Anschauung gelten läßt, von vornherein unmöglich, durch Änderungen im Privatrecht den Gegensatz einer besitzenden und einer besitzlosen Klasse aus der Welt zu schaffen. Ich bitte wohl zu beachten: ich spreche von dem Gegensatz einer besitzenden und einer besitzlosen Klasse, nicht von dein Gegensatz zwischen Besitzenden und Besitzlosen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/310>, abgerufen am 02.10.2024.