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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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vom Recht der Zukunft

auflebt. Spaltet der Kampf um die Fortbildung oder Vernichtung unserer
Staats- oder Gesellschaftsordnung das deutsche Volk nach dem Kriege von
neuem in Parteien, die kein gemeinsames Ideal kennen, so wird das künftige
Deutschland vielleicht mächtiger und prächtiger, aber keineswegs glücklicher sein.

Es wird nun behauptet, dieser Parteikampf müsse wieder ausleben, denn
in ihm spiegele sich der Kampf der Klassen, der mit Notwendigkeit aus dem
kapitalistischen Wirtschaftsleben erwachse.

Es mag sein, daß der Parteikampf wiederkehren muß, wenn nach dem
Kriege der Gegensatz einer besitzenden und einer besitzlosen Klasse fortbesteht.

Es fragt sich nur: muß nach dem Kriege der Gegensatz einer besitzenden
und einer besitzlosen Klasse fortbestehen?

Das ist, vom Standpunkt des Juristen betrachtet, die Frage nach dem
Recht der Zukunft.

Unsere heutige den Unterschied der Klassen bedingende Wirtschafts- und
Gesellschaftsordnung beruht auf dem Privatrecht. Ohne das Privateigentum
an den Produktionsmitteln, ohne Darlehns-, Gesellschafts- und Dienstverträge,
ohne Hypotheken und Wertpapiere, ohne Ehe- und Erbrecht, kurz ohne das
ganze, jetzt im bürgerlichen Gesetzbuch, im Handelsgesetzbuch und zahlreichen
Nebengesetzen geregelte Privatrecht könnte unsere Wirtschaftsordnung nicht be¬
stehen, würde es den Gegensatz einer besitzlosen, nur durch eigene Arbeit lebenden,
und einer besitzenden, nur oder auch durch fremde Arbeit lebenden Klasse nicht
geben.

So bietet sich folgerichtig als das Nächstliegende Mittel zur Beseitigung
des Klassenkampfes die Abschaffung des Privatrechts. Das ist das Programm
des Sozialismus strenger Observanz. Er will nicht wie der Anarchismus alles
Recht, also alle durch eine gemeinschaftliche Zwangsgewalt garantierten Gebote
aus der Welt schaffen. Er will nur das Privatrecht, abgesehen vielleicht von
kümmerlichen Überbleibseln, durch öffentliches Recht ersetzen. Das wichtigste
Ziel des Sozialismus besteht, wie es ein Jurist sozialistischer Richtung aus¬
gedrückt hat. darin, die Institute unseres Privatrechts in öffentliches Recht zu
verwandeln. An die Stelle der sachenrechtlichen, schnldrechtlichen, erbrechtlichen
Verhältnisse zwischen den Individuen, die zur Scheidung von Reich und Arm,
von Besitz und Besitzlosigkeit führen und führen müssen, soll die verwaltungs¬
rechtlich geregelte Vereinnehmung und Verteilung aller Produktionserträge durch
den Staat oder die Gemeinde treten.

Ohne Zweifel würde die Durchführung dieses Programms den Unterschied
zwischen Besitzenden und Besitzlosen und damit den Klassenkanipf verschwinden
lassen. Darüber, ob es durchführbar ist und ob seine Verwirklichung nicht auch
einige unerwünschte Wirkungen hervorrufen würde, darf heute kein Urteil ab¬
gegeben werden. Sicher ist, daß es noch weniger als bisher ohne schwere
Parteikämpfe zur Ausführung gebracht werden könnte. Bisher mochte man für
eine gerechtere Gestaltung des Volkslebens selbst einen Niedergang des National-


vom Recht der Zukunft

auflebt. Spaltet der Kampf um die Fortbildung oder Vernichtung unserer
Staats- oder Gesellschaftsordnung das deutsche Volk nach dem Kriege von
neuem in Parteien, die kein gemeinsames Ideal kennen, so wird das künftige
Deutschland vielleicht mächtiger und prächtiger, aber keineswegs glücklicher sein.

Es wird nun behauptet, dieser Parteikampf müsse wieder ausleben, denn
in ihm spiegele sich der Kampf der Klassen, der mit Notwendigkeit aus dem
kapitalistischen Wirtschaftsleben erwachse.

Es mag sein, daß der Parteikampf wiederkehren muß, wenn nach dem
Kriege der Gegensatz einer besitzenden und einer besitzlosen Klasse fortbesteht.

Es fragt sich nur: muß nach dem Kriege der Gegensatz einer besitzenden
und einer besitzlosen Klasse fortbestehen?

Das ist, vom Standpunkt des Juristen betrachtet, die Frage nach dem
Recht der Zukunft.

Unsere heutige den Unterschied der Klassen bedingende Wirtschafts- und
Gesellschaftsordnung beruht auf dem Privatrecht. Ohne das Privateigentum
an den Produktionsmitteln, ohne Darlehns-, Gesellschafts- und Dienstverträge,
ohne Hypotheken und Wertpapiere, ohne Ehe- und Erbrecht, kurz ohne das
ganze, jetzt im bürgerlichen Gesetzbuch, im Handelsgesetzbuch und zahlreichen
Nebengesetzen geregelte Privatrecht könnte unsere Wirtschaftsordnung nicht be¬
stehen, würde es den Gegensatz einer besitzlosen, nur durch eigene Arbeit lebenden,
und einer besitzenden, nur oder auch durch fremde Arbeit lebenden Klasse nicht
geben.

So bietet sich folgerichtig als das Nächstliegende Mittel zur Beseitigung
des Klassenkampfes die Abschaffung des Privatrechts. Das ist das Programm
des Sozialismus strenger Observanz. Er will nicht wie der Anarchismus alles
Recht, also alle durch eine gemeinschaftliche Zwangsgewalt garantierten Gebote
aus der Welt schaffen. Er will nur das Privatrecht, abgesehen vielleicht von
kümmerlichen Überbleibseln, durch öffentliches Recht ersetzen. Das wichtigste
Ziel des Sozialismus besteht, wie es ein Jurist sozialistischer Richtung aus¬
gedrückt hat. darin, die Institute unseres Privatrechts in öffentliches Recht zu
verwandeln. An die Stelle der sachenrechtlichen, schnldrechtlichen, erbrechtlichen
Verhältnisse zwischen den Individuen, die zur Scheidung von Reich und Arm,
von Besitz und Besitzlosigkeit führen und führen müssen, soll die verwaltungs¬
rechtlich geregelte Vereinnehmung und Verteilung aller Produktionserträge durch
den Staat oder die Gemeinde treten.

Ohne Zweifel würde die Durchführung dieses Programms den Unterschied
zwischen Besitzenden und Besitzlosen und damit den Klassenkanipf verschwinden
lassen. Darüber, ob es durchführbar ist und ob seine Verwirklichung nicht auch
einige unerwünschte Wirkungen hervorrufen würde, darf heute kein Urteil ab¬
gegeben werden. Sicher ist, daß es noch weniger als bisher ohne schwere
Parteikämpfe zur Ausführung gebracht werden könnte. Bisher mochte man für
eine gerechtere Gestaltung des Volkslebens selbst einen Niedergang des National-


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[0307] vom Recht der Zukunft auflebt. Spaltet der Kampf um die Fortbildung oder Vernichtung unserer Staats- oder Gesellschaftsordnung das deutsche Volk nach dem Kriege von neuem in Parteien, die kein gemeinsames Ideal kennen, so wird das künftige Deutschland vielleicht mächtiger und prächtiger, aber keineswegs glücklicher sein. Es wird nun behauptet, dieser Parteikampf müsse wieder ausleben, denn in ihm spiegele sich der Kampf der Klassen, der mit Notwendigkeit aus dem kapitalistischen Wirtschaftsleben erwachse. Es mag sein, daß der Parteikampf wiederkehren muß, wenn nach dem Kriege der Gegensatz einer besitzenden und einer besitzlosen Klasse fortbesteht. Es fragt sich nur: muß nach dem Kriege der Gegensatz einer besitzenden und einer besitzlosen Klasse fortbestehen? Das ist, vom Standpunkt des Juristen betrachtet, die Frage nach dem Recht der Zukunft. Unsere heutige den Unterschied der Klassen bedingende Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung beruht auf dem Privatrecht. Ohne das Privateigentum an den Produktionsmitteln, ohne Darlehns-, Gesellschafts- und Dienstverträge, ohne Hypotheken und Wertpapiere, ohne Ehe- und Erbrecht, kurz ohne das ganze, jetzt im bürgerlichen Gesetzbuch, im Handelsgesetzbuch und zahlreichen Nebengesetzen geregelte Privatrecht könnte unsere Wirtschaftsordnung nicht be¬ stehen, würde es den Gegensatz einer besitzlosen, nur durch eigene Arbeit lebenden, und einer besitzenden, nur oder auch durch fremde Arbeit lebenden Klasse nicht geben. So bietet sich folgerichtig als das Nächstliegende Mittel zur Beseitigung des Klassenkampfes die Abschaffung des Privatrechts. Das ist das Programm des Sozialismus strenger Observanz. Er will nicht wie der Anarchismus alles Recht, also alle durch eine gemeinschaftliche Zwangsgewalt garantierten Gebote aus der Welt schaffen. Er will nur das Privatrecht, abgesehen vielleicht von kümmerlichen Überbleibseln, durch öffentliches Recht ersetzen. Das wichtigste Ziel des Sozialismus besteht, wie es ein Jurist sozialistischer Richtung aus¬ gedrückt hat. darin, die Institute unseres Privatrechts in öffentliches Recht zu verwandeln. An die Stelle der sachenrechtlichen, schnldrechtlichen, erbrechtlichen Verhältnisse zwischen den Individuen, die zur Scheidung von Reich und Arm, von Besitz und Besitzlosigkeit führen und führen müssen, soll die verwaltungs¬ rechtlich geregelte Vereinnehmung und Verteilung aller Produktionserträge durch den Staat oder die Gemeinde treten. Ohne Zweifel würde die Durchführung dieses Programms den Unterschied zwischen Besitzenden und Besitzlosen und damit den Klassenkanipf verschwinden lassen. Darüber, ob es durchführbar ist und ob seine Verwirklichung nicht auch einige unerwünschte Wirkungen hervorrufen würde, darf heute kein Urteil ab¬ gegeben werden. Sicher ist, daß es noch weniger als bisher ohne schwere Parteikämpfe zur Ausführung gebracht werden könnte. Bisher mochte man für eine gerechtere Gestaltung des Volkslebens selbst einen Niedergang des National-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/307>, abgerufen am 04.07.2024.