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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Neue Bücher über Musik

der ersten italienischen Opern Mozarts ist es wichtig, seine Stellungnahme zu
berücksichtigen; denn sie können sich an dramatischer Schwungkraft nicht entfernt
mit den Werken Jommellis oder Hasses messen.

Merkwürdig ist es, wie sich Mozarts Vorliebe bald der italienischen, bald
der deutschen Oper zuzuneigen scheint. Dabei muß man wissen, daß zwischen
dem Stil beider Gattungen wesentliche Unterschiede bestanden. Die deutsche Oper,
damals noch fast völlig identisch mit dem Singspiel, hatte gesprochenen Dialog,
und die Grundlage ihrer Gesänge war die Liedform. Die italienische Oper
dagegen mit ihrem hochentwickelten Rezitativ war durchkomponiert, und die
hauptsächlichste ihrer geschlossenen Formen war die Arie, die in ihrer weiten
Anlage, ihrer Ausgestaltung im einzelnen und ihrem Gehalt geradezu einen
Gegensatz zum Lied bildete. Freilich wurde gerade durch Mozart das deutsche
Singspiel der italienischen Oper angenähert, ohne daß jedoch die stilistische Grund¬
verschiedenheit beseitigt worden wäre. Nun schreibt er aus München 1777, also
zu einer Zeit, da er. abgesehen von dem Jugendwerkchen "Baseler und Bastienne"
noch keine deutsche Oper komponiert hatte: "Ich bin hier sehr beliebt, und wie
würde ich erst beliebt werden, wenn ich der teutschen Nationalbühne in der
Musik emporhälfe? Und das würde durch mich gewiß geschehen; denn ich war
schon voll Begierde zu schreiben, als ich das teutsche Singspiel hörte." Aber
nur einige Monate später, als er einerseits daran dachte, sein Glück in Paris
zu versuchen, anderseits hoffte, mit der Sängerin Aloysta Weber Italien
bereisen und für sie Opern schreiben zu können, meint er, er komponiere lieber
französisch als deutsch, am liebsten aber italienisch. Dagegen zeigt er sich 1783,
also nachdem er bereits mit der "Entführung" alle bisherigen Singspiele in den
Schatten gestellt und eine wirkliche deutsche Oper geschaffen hatte, und in einer
Zeit, in welcher die Wiener Nationalbühne einige Aussicht auf Fortbestand bot,
wieder entschieden deutsch gesinnt: "Ich halte es auch mit den Teutschen; wenn
es mir schon mehr Mühe kostet, so ist es mir doch lieber: jede Nation hat
ihre Oper -- warum sollen wir Teutsche sie nicht haben? Ist die teutsche
Sprache nicht so gut singbar wie die französische und englische, nicht singbarer
als die russische? Nun ich schreibe itzt eine teutsche Opera für mich: ich habe
die Komödie von Goldoni ,Il servitoriz all ane paärvm' dazu gewählt." Dieser
Plan kam nicht zur Ausführung, vermutlich, weil die deutsche Oper einging,
und was Mozart in den nächsten sieben Jahren außer dem "Schauspieldirektor",
der kaum in Betracht kommt, wirklich vollendete, waren italienische Opern, darunter
"Figaro" und "Don Giovanni", also Werke, die allein genügen würden, ihn
unsterblich zu machen. Erst 1790 bot ihm Schikaneder durch den Auftrag, die
"Zauberflöte" in Musik zu setzen, Gelegenheit, sich auf dem Gebiet der deutschen
Oper noch höher emporzuschwingen als er es mit der "Entführung" getan hatte.
Wir sehen, sein scheinbares Schwanken, in welchem von Fall zu Fall die äußeren
Umstände den Ausschlag gaben, beruhte auf seiner Fähigkeit, in allen Stilarten
das Höchste zu leisten. Zweifellos hätte er auch eine vollendete französische Oper,


Neue Bücher über Musik

der ersten italienischen Opern Mozarts ist es wichtig, seine Stellungnahme zu
berücksichtigen; denn sie können sich an dramatischer Schwungkraft nicht entfernt
mit den Werken Jommellis oder Hasses messen.

Merkwürdig ist es, wie sich Mozarts Vorliebe bald der italienischen, bald
der deutschen Oper zuzuneigen scheint. Dabei muß man wissen, daß zwischen
dem Stil beider Gattungen wesentliche Unterschiede bestanden. Die deutsche Oper,
damals noch fast völlig identisch mit dem Singspiel, hatte gesprochenen Dialog,
und die Grundlage ihrer Gesänge war die Liedform. Die italienische Oper
dagegen mit ihrem hochentwickelten Rezitativ war durchkomponiert, und die
hauptsächlichste ihrer geschlossenen Formen war die Arie, die in ihrer weiten
Anlage, ihrer Ausgestaltung im einzelnen und ihrem Gehalt geradezu einen
Gegensatz zum Lied bildete. Freilich wurde gerade durch Mozart das deutsche
Singspiel der italienischen Oper angenähert, ohne daß jedoch die stilistische Grund¬
verschiedenheit beseitigt worden wäre. Nun schreibt er aus München 1777, also
zu einer Zeit, da er. abgesehen von dem Jugendwerkchen „Baseler und Bastienne"
noch keine deutsche Oper komponiert hatte: „Ich bin hier sehr beliebt, und wie
würde ich erst beliebt werden, wenn ich der teutschen Nationalbühne in der
Musik emporhälfe? Und das würde durch mich gewiß geschehen; denn ich war
schon voll Begierde zu schreiben, als ich das teutsche Singspiel hörte." Aber
nur einige Monate später, als er einerseits daran dachte, sein Glück in Paris
zu versuchen, anderseits hoffte, mit der Sängerin Aloysta Weber Italien
bereisen und für sie Opern schreiben zu können, meint er, er komponiere lieber
französisch als deutsch, am liebsten aber italienisch. Dagegen zeigt er sich 1783,
also nachdem er bereits mit der „Entführung" alle bisherigen Singspiele in den
Schatten gestellt und eine wirkliche deutsche Oper geschaffen hatte, und in einer
Zeit, in welcher die Wiener Nationalbühne einige Aussicht auf Fortbestand bot,
wieder entschieden deutsch gesinnt: „Ich halte es auch mit den Teutschen; wenn
es mir schon mehr Mühe kostet, so ist es mir doch lieber: jede Nation hat
ihre Oper — warum sollen wir Teutsche sie nicht haben? Ist die teutsche
Sprache nicht so gut singbar wie die französische und englische, nicht singbarer
als die russische? Nun ich schreibe itzt eine teutsche Opera für mich: ich habe
die Komödie von Goldoni ,Il servitoriz all ane paärvm' dazu gewählt." Dieser
Plan kam nicht zur Ausführung, vermutlich, weil die deutsche Oper einging,
und was Mozart in den nächsten sieben Jahren außer dem „Schauspieldirektor",
der kaum in Betracht kommt, wirklich vollendete, waren italienische Opern, darunter
„Figaro" und „Don Giovanni", also Werke, die allein genügen würden, ihn
unsterblich zu machen. Erst 1790 bot ihm Schikaneder durch den Auftrag, die
„Zauberflöte" in Musik zu setzen, Gelegenheit, sich auf dem Gebiet der deutschen
Oper noch höher emporzuschwingen als er es mit der „Entführung" getan hatte.
Wir sehen, sein scheinbares Schwanken, in welchem von Fall zu Fall die äußeren
Umstände den Ausschlag gaben, beruhte auf seiner Fähigkeit, in allen Stilarten
das Höchste zu leisten. Zweifellos hätte er auch eine vollendete französische Oper,


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[0296] Neue Bücher über Musik der ersten italienischen Opern Mozarts ist es wichtig, seine Stellungnahme zu berücksichtigen; denn sie können sich an dramatischer Schwungkraft nicht entfernt mit den Werken Jommellis oder Hasses messen. Merkwürdig ist es, wie sich Mozarts Vorliebe bald der italienischen, bald der deutschen Oper zuzuneigen scheint. Dabei muß man wissen, daß zwischen dem Stil beider Gattungen wesentliche Unterschiede bestanden. Die deutsche Oper, damals noch fast völlig identisch mit dem Singspiel, hatte gesprochenen Dialog, und die Grundlage ihrer Gesänge war die Liedform. Die italienische Oper dagegen mit ihrem hochentwickelten Rezitativ war durchkomponiert, und die hauptsächlichste ihrer geschlossenen Formen war die Arie, die in ihrer weiten Anlage, ihrer Ausgestaltung im einzelnen und ihrem Gehalt geradezu einen Gegensatz zum Lied bildete. Freilich wurde gerade durch Mozart das deutsche Singspiel der italienischen Oper angenähert, ohne daß jedoch die stilistische Grund¬ verschiedenheit beseitigt worden wäre. Nun schreibt er aus München 1777, also zu einer Zeit, da er. abgesehen von dem Jugendwerkchen „Baseler und Bastienne" noch keine deutsche Oper komponiert hatte: „Ich bin hier sehr beliebt, und wie würde ich erst beliebt werden, wenn ich der teutschen Nationalbühne in der Musik emporhälfe? Und das würde durch mich gewiß geschehen; denn ich war schon voll Begierde zu schreiben, als ich das teutsche Singspiel hörte." Aber nur einige Monate später, als er einerseits daran dachte, sein Glück in Paris zu versuchen, anderseits hoffte, mit der Sängerin Aloysta Weber Italien bereisen und für sie Opern schreiben zu können, meint er, er komponiere lieber französisch als deutsch, am liebsten aber italienisch. Dagegen zeigt er sich 1783, also nachdem er bereits mit der „Entführung" alle bisherigen Singspiele in den Schatten gestellt und eine wirkliche deutsche Oper geschaffen hatte, und in einer Zeit, in welcher die Wiener Nationalbühne einige Aussicht auf Fortbestand bot, wieder entschieden deutsch gesinnt: „Ich halte es auch mit den Teutschen; wenn es mir schon mehr Mühe kostet, so ist es mir doch lieber: jede Nation hat ihre Oper — warum sollen wir Teutsche sie nicht haben? Ist die teutsche Sprache nicht so gut singbar wie die französische und englische, nicht singbarer als die russische? Nun ich schreibe itzt eine teutsche Opera für mich: ich habe die Komödie von Goldoni ,Il servitoriz all ane paärvm' dazu gewählt." Dieser Plan kam nicht zur Ausführung, vermutlich, weil die deutsche Oper einging, und was Mozart in den nächsten sieben Jahren außer dem „Schauspieldirektor", der kaum in Betracht kommt, wirklich vollendete, waren italienische Opern, darunter „Figaro" und „Don Giovanni", also Werke, die allein genügen würden, ihn unsterblich zu machen. Erst 1790 bot ihm Schikaneder durch den Auftrag, die „Zauberflöte" in Musik zu setzen, Gelegenheit, sich auf dem Gebiet der deutschen Oper noch höher emporzuschwingen als er es mit der „Entführung" getan hatte. Wir sehen, sein scheinbares Schwanken, in welchem von Fall zu Fall die äußeren Umstände den Ausschlag gaben, beruhte auf seiner Fähigkeit, in allen Stilarten das Höchste zu leisten. Zweifellos hätte er auch eine vollendete französische Oper,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/296>, abgerufen am 04.07.2024.