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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Neue Bücher über Musik

zurück. Aber 1781 in Wien, wohin der Erzbischof einen Teil seiner Kapelle
mitgenommen hatte, kam es zum Bruch. Er ließ Mozart nicht nur an der
Bediententafel speisen, sondern hinderte ihn auch, wo er konnte, sich in Wien
hervorzutun und bekannt zu machen, und als der gekränkte Meister persönlich
bei ihm vorstellig wurde, beschimpfte er ihn in der gemeinsten Weise. Nur die
Sorge um den Vater, der ja gleichfalls in erzbischöflichen Diensten stand, hielt
Mozart ab, aus diesem Auftritt die Konsequenz zu ziehen. Nachdem aber noch
zwei ähnliche Auftritte gefolgt waren, stand sein Entschluß sest, diesem Manne
nicht länger zu dienen, und als man es ihm unmöglich gemacht hatte, sein
Entlassungsgesuch anzubringen, kümmerte er sich nicht mehr um den Erzbischof,
sondern blieb als freier Mann in Wien. Alle Vorwürfe und Vorstellungen des
Vaters -- dessen Briefe aus jener Zeit sind nicht erhalten, aber ihr Inhalt
spiegelt sich in denjenigen des Sohnes wieder -- vermochten nicht, ihn in irgend¬
einem Punkte zum Rückzug zu bewegen.

Daß sich mit einer so tief gewurzelten inneren Harmonie beglückender, ja
geradezu kindlicher Frohsinn vereinigte, der dem Meister von Jugend an bis in
seine letzten Jahre treu blieb -- man vergleiche besonders die Briefe an feine
Gattin --, wird nicht überraschen. Auch besaß er, wenn Not und Sorge an
ihn herantraten, die ja namentlich gegen Ende seines Lebens seine steten Begleiter
waren, eine unverwüstliche Hoffnung auf bessere Tage. Seine Eltern hielten
ihn für zu abhängig von dem ersten Gedanken, der ihm komme, namentlich
dann, wenn es sich darum handle, neuen Bekannten Wohltaten zu erweisen.
Diese Beurteilung scheint der Wahrheit zu entsprechen. Er besaß eben die dem
außenstehenden Betrachter so wohltuende Impulsivität des Künstlers und eines
warmen Herzens, die aber im praktischen Leben nicht immer das Richtige ergreift.

Haben wir uns bisher bemüht, von dem Charakter Mozarts wenigstens
in seinen Grundzügen aus den Briefen eine Vorstellung zu gewinnen, so müssen
wir dieselben jetzt nach dem befragen, was über sein Künstlertum und seine
künstlerische Entwicklung aus ihnen hervorgeht. AIs echter Musiker kommt er
namentlich auf seine schöpferische Tätigkeit nur selten zu sprechen; aber die
Ausbeute ist darum doch wichtig genug. Freilich will ich nicht verschweigen,
daß die meisten der hier in Betracht kommenden Äußerungen schon vor Ver¬
öffentlichung der vorliegenden Ausgabe bekannt und ausgenützt waren. Trotzdem
muß hier einiges herausgegriffen werden. Wie bereits H. Kretzschmar hervorhob,
ist es von Bedeutung, daß der junge Mozart auf seiner ersten italienischen
Reise, 1770. über Jommellis "Armida" schrieb: "Sie ist schön, aber zu gescheut
und zu altväterisch fürs Theater." Das beweist, daß er sich der damals neuen
Richtung, die man jetzt die Neuneapolitanische nennt, anschloß, einer Richtung,
welche auf eingängliche Melodik weit mehr Gewicht legte als auf dramatischen
Ausdruck. Jommelli dagegen gehörte der älteren neapolitanischen Schule an,
fand aber, als er nach dreizehnjährigen Aufenthalt in Stuttgart, 1769, nach
Italien zurückgekehrt war, dort kein Verständnis mehr. Zur richtigen Beurteilung


Neue Bücher über Musik

zurück. Aber 1781 in Wien, wohin der Erzbischof einen Teil seiner Kapelle
mitgenommen hatte, kam es zum Bruch. Er ließ Mozart nicht nur an der
Bediententafel speisen, sondern hinderte ihn auch, wo er konnte, sich in Wien
hervorzutun und bekannt zu machen, und als der gekränkte Meister persönlich
bei ihm vorstellig wurde, beschimpfte er ihn in der gemeinsten Weise. Nur die
Sorge um den Vater, der ja gleichfalls in erzbischöflichen Diensten stand, hielt
Mozart ab, aus diesem Auftritt die Konsequenz zu ziehen. Nachdem aber noch
zwei ähnliche Auftritte gefolgt waren, stand sein Entschluß sest, diesem Manne
nicht länger zu dienen, und als man es ihm unmöglich gemacht hatte, sein
Entlassungsgesuch anzubringen, kümmerte er sich nicht mehr um den Erzbischof,
sondern blieb als freier Mann in Wien. Alle Vorwürfe und Vorstellungen des
Vaters — dessen Briefe aus jener Zeit sind nicht erhalten, aber ihr Inhalt
spiegelt sich in denjenigen des Sohnes wieder — vermochten nicht, ihn in irgend¬
einem Punkte zum Rückzug zu bewegen.

Daß sich mit einer so tief gewurzelten inneren Harmonie beglückender, ja
geradezu kindlicher Frohsinn vereinigte, der dem Meister von Jugend an bis in
seine letzten Jahre treu blieb — man vergleiche besonders die Briefe an feine
Gattin —, wird nicht überraschen. Auch besaß er, wenn Not und Sorge an
ihn herantraten, die ja namentlich gegen Ende seines Lebens seine steten Begleiter
waren, eine unverwüstliche Hoffnung auf bessere Tage. Seine Eltern hielten
ihn für zu abhängig von dem ersten Gedanken, der ihm komme, namentlich
dann, wenn es sich darum handle, neuen Bekannten Wohltaten zu erweisen.
Diese Beurteilung scheint der Wahrheit zu entsprechen. Er besaß eben die dem
außenstehenden Betrachter so wohltuende Impulsivität des Künstlers und eines
warmen Herzens, die aber im praktischen Leben nicht immer das Richtige ergreift.

Haben wir uns bisher bemüht, von dem Charakter Mozarts wenigstens
in seinen Grundzügen aus den Briefen eine Vorstellung zu gewinnen, so müssen
wir dieselben jetzt nach dem befragen, was über sein Künstlertum und seine
künstlerische Entwicklung aus ihnen hervorgeht. AIs echter Musiker kommt er
namentlich auf seine schöpferische Tätigkeit nur selten zu sprechen; aber die
Ausbeute ist darum doch wichtig genug. Freilich will ich nicht verschweigen,
daß die meisten der hier in Betracht kommenden Äußerungen schon vor Ver¬
öffentlichung der vorliegenden Ausgabe bekannt und ausgenützt waren. Trotzdem
muß hier einiges herausgegriffen werden. Wie bereits H. Kretzschmar hervorhob,
ist es von Bedeutung, daß der junge Mozart auf seiner ersten italienischen
Reise, 1770. über Jommellis „Armida" schrieb: „Sie ist schön, aber zu gescheut
und zu altväterisch fürs Theater." Das beweist, daß er sich der damals neuen
Richtung, die man jetzt die Neuneapolitanische nennt, anschloß, einer Richtung,
welche auf eingängliche Melodik weit mehr Gewicht legte als auf dramatischen
Ausdruck. Jommelli dagegen gehörte der älteren neapolitanischen Schule an,
fand aber, als er nach dreizehnjährigen Aufenthalt in Stuttgart, 1769, nach
Italien zurückgekehrt war, dort kein Verständnis mehr. Zur richtigen Beurteilung


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[0295] Neue Bücher über Musik zurück. Aber 1781 in Wien, wohin der Erzbischof einen Teil seiner Kapelle mitgenommen hatte, kam es zum Bruch. Er ließ Mozart nicht nur an der Bediententafel speisen, sondern hinderte ihn auch, wo er konnte, sich in Wien hervorzutun und bekannt zu machen, und als der gekränkte Meister persönlich bei ihm vorstellig wurde, beschimpfte er ihn in der gemeinsten Weise. Nur die Sorge um den Vater, der ja gleichfalls in erzbischöflichen Diensten stand, hielt Mozart ab, aus diesem Auftritt die Konsequenz zu ziehen. Nachdem aber noch zwei ähnliche Auftritte gefolgt waren, stand sein Entschluß sest, diesem Manne nicht länger zu dienen, und als man es ihm unmöglich gemacht hatte, sein Entlassungsgesuch anzubringen, kümmerte er sich nicht mehr um den Erzbischof, sondern blieb als freier Mann in Wien. Alle Vorwürfe und Vorstellungen des Vaters — dessen Briefe aus jener Zeit sind nicht erhalten, aber ihr Inhalt spiegelt sich in denjenigen des Sohnes wieder — vermochten nicht, ihn in irgend¬ einem Punkte zum Rückzug zu bewegen. Daß sich mit einer so tief gewurzelten inneren Harmonie beglückender, ja geradezu kindlicher Frohsinn vereinigte, der dem Meister von Jugend an bis in seine letzten Jahre treu blieb — man vergleiche besonders die Briefe an feine Gattin —, wird nicht überraschen. Auch besaß er, wenn Not und Sorge an ihn herantraten, die ja namentlich gegen Ende seines Lebens seine steten Begleiter waren, eine unverwüstliche Hoffnung auf bessere Tage. Seine Eltern hielten ihn für zu abhängig von dem ersten Gedanken, der ihm komme, namentlich dann, wenn es sich darum handle, neuen Bekannten Wohltaten zu erweisen. Diese Beurteilung scheint der Wahrheit zu entsprechen. Er besaß eben die dem außenstehenden Betrachter so wohltuende Impulsivität des Künstlers und eines warmen Herzens, die aber im praktischen Leben nicht immer das Richtige ergreift. Haben wir uns bisher bemüht, von dem Charakter Mozarts wenigstens in seinen Grundzügen aus den Briefen eine Vorstellung zu gewinnen, so müssen wir dieselben jetzt nach dem befragen, was über sein Künstlertum und seine künstlerische Entwicklung aus ihnen hervorgeht. AIs echter Musiker kommt er namentlich auf seine schöpferische Tätigkeit nur selten zu sprechen; aber die Ausbeute ist darum doch wichtig genug. Freilich will ich nicht verschweigen, daß die meisten der hier in Betracht kommenden Äußerungen schon vor Ver¬ öffentlichung der vorliegenden Ausgabe bekannt und ausgenützt waren. Trotzdem muß hier einiges herausgegriffen werden. Wie bereits H. Kretzschmar hervorhob, ist es von Bedeutung, daß der junge Mozart auf seiner ersten italienischen Reise, 1770. über Jommellis „Armida" schrieb: „Sie ist schön, aber zu gescheut und zu altväterisch fürs Theater." Das beweist, daß er sich der damals neuen Richtung, die man jetzt die Neuneapolitanische nennt, anschloß, einer Richtung, welche auf eingängliche Melodik weit mehr Gewicht legte als auf dramatischen Ausdruck. Jommelli dagegen gehörte der älteren neapolitanischen Schule an, fand aber, als er nach dreizehnjährigen Aufenthalt in Stuttgart, 1769, nach Italien zurückgekehrt war, dort kein Verständnis mehr. Zur richtigen Beurteilung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/295>, abgerufen am 04.07.2024.