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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Belgrad, Lzcriiowitz, Lemberg

an, weil die großen Festungsbauten und die bedeutenden Garnisonen gute
Hoffnung auf Erwerb boten.

In der der Belgrader Festung vorgelagerten Donaustadt wurden im November
1717, also wenige Wochen nach der Eroberung, dreihundertdreiunddreißig
deutsche Bürgerfamilien gezählt, während die Zahl der anderen Familien nicht
viel mehr als hundert betrug. Schon damals hatten die deutschen Bürger nach
ihrer Gewohnheit einen Stadtrichter (Friedrich Stadler) und sechs Viertelmeister
über die einzelnen Stadtteile gesetzt. Der Stadtrichter entwarf sofort eine
Denkschrift über die Einrichtung der Stadt nach deutschem Muster.

Diese Vorschläge bildeten die Grundlage der in den folgenden Jahren
über die Einrichtung der "Deutschenstadt" gepflogenen Verhandlungen, bei denen
auch die Belgrader Bürgerschaft um ihre Meinung gefragt wurde. Schließlich
erging am 18. Februar 1724 ein kaiserlicher Erlaß, der die gewünschte Stadt¬
ordnung für Belgrad enthielt. Dieses Schriftstück ist ein höchst interessantes
Denkmal. Vor allem geht aus demselben klar hervor, daß es die Absicht der
Regierung war, nach dem Muster der Deutschansiedlungen in Ungarn und
Siebenbürgen auch in Begrad ein deutsches Gemeinwesen zu schaffen. "Da
diese Stadt," so heißt es im kaiserlichen Erlasse, "den Namen Deutschenstadt
zu führen habe, so sollten in ihr keine anderen als Deutsche, und zwar lediglich
der römisch - katholischen Religion zugetane Personen" unter die Bürgerschaft
aufgenommen werden. Die Serben sollten ihre "abgesonderte Kommunität"
erhalten und ihre Zahl beschränkt werden, "da es des Kaisers Absicht sei und
es dabei unveränderlich zu bleiben habe, daß allda zu Belgrad als äußersten
Grenzort und Vormauer der ganzen Christenheit die deutsche Nation allezeit
die prinzipalste zu sein habe." Ausführlich auf die Bestimmungen des Stadt¬
statutes einzugehen, ist hier wohl nicht der Ort. Die "Deutschenstadt" erhielt
dieselbe Einrichtung, wie sie andere deutsche Städte damals besaßen. Seit der
Bewilligung der Stadtordnung entwickelte sich Belgrad rasch zu einem deutschen
Orte. Eine Häuserzählung von 1728 ergibt, daß der Ort damals ganz deutsch
war. Es schien, daß jenseits der Donau ein ähnliches deutsches Kulturgebiet
entstehen würde, wie sie das benachbarte Ungarn aufwies; Belgrad schien wie
Temesvar im Banat eine starke deutsche Festung werden zu sollen. Aber es
kam anders. Der unglückliche zweite Türkenkrieg, den Karl der Sechste gegen
Ende seiner Regierung führte, zwang ihn, Belgrad aufzugeben. (1739.) Die
Stadt kam wieder unter türkische Herrschaft, und damit erfolgte auch der Nieder¬
gang der Deutschenstadt. Fünfzig Jahre später hat der greise Laudon
Belgrad und einen Teil Serbiens wieder eingenommen. Doch Kaiser Leopold
gab im Frieden von Sistowa 1791 diese Eroberung an die Türkei zurück, von
der es später an die Serben abgetreten wurde.

Belgrad ist ein Schulbeispiel dafür, wie aufblühende deutsche Ansiedlungs¬
orte dem Verfall preisgegeben werden, wenn sie aus der westeuropäischen
Kulturgemeinschaft treten.


Belgrad, Lzcriiowitz, Lemberg

an, weil die großen Festungsbauten und die bedeutenden Garnisonen gute
Hoffnung auf Erwerb boten.

In der der Belgrader Festung vorgelagerten Donaustadt wurden im November
1717, also wenige Wochen nach der Eroberung, dreihundertdreiunddreißig
deutsche Bürgerfamilien gezählt, während die Zahl der anderen Familien nicht
viel mehr als hundert betrug. Schon damals hatten die deutschen Bürger nach
ihrer Gewohnheit einen Stadtrichter (Friedrich Stadler) und sechs Viertelmeister
über die einzelnen Stadtteile gesetzt. Der Stadtrichter entwarf sofort eine
Denkschrift über die Einrichtung der Stadt nach deutschem Muster.

Diese Vorschläge bildeten die Grundlage der in den folgenden Jahren
über die Einrichtung der „Deutschenstadt" gepflogenen Verhandlungen, bei denen
auch die Belgrader Bürgerschaft um ihre Meinung gefragt wurde. Schließlich
erging am 18. Februar 1724 ein kaiserlicher Erlaß, der die gewünschte Stadt¬
ordnung für Belgrad enthielt. Dieses Schriftstück ist ein höchst interessantes
Denkmal. Vor allem geht aus demselben klar hervor, daß es die Absicht der
Regierung war, nach dem Muster der Deutschansiedlungen in Ungarn und
Siebenbürgen auch in Begrad ein deutsches Gemeinwesen zu schaffen. „Da
diese Stadt," so heißt es im kaiserlichen Erlasse, „den Namen Deutschenstadt
zu führen habe, so sollten in ihr keine anderen als Deutsche, und zwar lediglich
der römisch - katholischen Religion zugetane Personen" unter die Bürgerschaft
aufgenommen werden. Die Serben sollten ihre „abgesonderte Kommunität"
erhalten und ihre Zahl beschränkt werden, „da es des Kaisers Absicht sei und
es dabei unveränderlich zu bleiben habe, daß allda zu Belgrad als äußersten
Grenzort und Vormauer der ganzen Christenheit die deutsche Nation allezeit
die prinzipalste zu sein habe." Ausführlich auf die Bestimmungen des Stadt¬
statutes einzugehen, ist hier wohl nicht der Ort. Die „Deutschenstadt" erhielt
dieselbe Einrichtung, wie sie andere deutsche Städte damals besaßen. Seit der
Bewilligung der Stadtordnung entwickelte sich Belgrad rasch zu einem deutschen
Orte. Eine Häuserzählung von 1728 ergibt, daß der Ort damals ganz deutsch
war. Es schien, daß jenseits der Donau ein ähnliches deutsches Kulturgebiet
entstehen würde, wie sie das benachbarte Ungarn aufwies; Belgrad schien wie
Temesvar im Banat eine starke deutsche Festung werden zu sollen. Aber es
kam anders. Der unglückliche zweite Türkenkrieg, den Karl der Sechste gegen
Ende seiner Regierung führte, zwang ihn, Belgrad aufzugeben. (1739.) Die
Stadt kam wieder unter türkische Herrschaft, und damit erfolgte auch der Nieder¬
gang der Deutschenstadt. Fünfzig Jahre später hat der greise Laudon
Belgrad und einen Teil Serbiens wieder eingenommen. Doch Kaiser Leopold
gab im Frieden von Sistowa 1791 diese Eroberung an die Türkei zurück, von
der es später an die Serben abgetreten wurde.

Belgrad ist ein Schulbeispiel dafür, wie aufblühende deutsche Ansiedlungs¬
orte dem Verfall preisgegeben werden, wenn sie aus der westeuropäischen
Kulturgemeinschaft treten.


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[0282] Belgrad, Lzcriiowitz, Lemberg an, weil die großen Festungsbauten und die bedeutenden Garnisonen gute Hoffnung auf Erwerb boten. In der der Belgrader Festung vorgelagerten Donaustadt wurden im November 1717, also wenige Wochen nach der Eroberung, dreihundertdreiunddreißig deutsche Bürgerfamilien gezählt, während die Zahl der anderen Familien nicht viel mehr als hundert betrug. Schon damals hatten die deutschen Bürger nach ihrer Gewohnheit einen Stadtrichter (Friedrich Stadler) und sechs Viertelmeister über die einzelnen Stadtteile gesetzt. Der Stadtrichter entwarf sofort eine Denkschrift über die Einrichtung der Stadt nach deutschem Muster. Diese Vorschläge bildeten die Grundlage der in den folgenden Jahren über die Einrichtung der „Deutschenstadt" gepflogenen Verhandlungen, bei denen auch die Belgrader Bürgerschaft um ihre Meinung gefragt wurde. Schließlich erging am 18. Februar 1724 ein kaiserlicher Erlaß, der die gewünschte Stadt¬ ordnung für Belgrad enthielt. Dieses Schriftstück ist ein höchst interessantes Denkmal. Vor allem geht aus demselben klar hervor, daß es die Absicht der Regierung war, nach dem Muster der Deutschansiedlungen in Ungarn und Siebenbürgen auch in Begrad ein deutsches Gemeinwesen zu schaffen. „Da diese Stadt," so heißt es im kaiserlichen Erlasse, „den Namen Deutschenstadt zu führen habe, so sollten in ihr keine anderen als Deutsche, und zwar lediglich der römisch - katholischen Religion zugetane Personen" unter die Bürgerschaft aufgenommen werden. Die Serben sollten ihre „abgesonderte Kommunität" erhalten und ihre Zahl beschränkt werden, „da es des Kaisers Absicht sei und es dabei unveränderlich zu bleiben habe, daß allda zu Belgrad als äußersten Grenzort und Vormauer der ganzen Christenheit die deutsche Nation allezeit die prinzipalste zu sein habe." Ausführlich auf die Bestimmungen des Stadt¬ statutes einzugehen, ist hier wohl nicht der Ort. Die „Deutschenstadt" erhielt dieselbe Einrichtung, wie sie andere deutsche Städte damals besaßen. Seit der Bewilligung der Stadtordnung entwickelte sich Belgrad rasch zu einem deutschen Orte. Eine Häuserzählung von 1728 ergibt, daß der Ort damals ganz deutsch war. Es schien, daß jenseits der Donau ein ähnliches deutsches Kulturgebiet entstehen würde, wie sie das benachbarte Ungarn aufwies; Belgrad schien wie Temesvar im Banat eine starke deutsche Festung werden zu sollen. Aber es kam anders. Der unglückliche zweite Türkenkrieg, den Karl der Sechste gegen Ende seiner Regierung führte, zwang ihn, Belgrad aufzugeben. (1739.) Die Stadt kam wieder unter türkische Herrschaft, und damit erfolgte auch der Nieder¬ gang der Deutschenstadt. Fünfzig Jahre später hat der greise Laudon Belgrad und einen Teil Serbiens wieder eingenommen. Doch Kaiser Leopold gab im Frieden von Sistowa 1791 diese Eroberung an die Türkei zurück, von der es später an die Serben abgetreten wurde. Belgrad ist ein Schulbeispiel dafür, wie aufblühende deutsche Ansiedlungs¬ orte dem Verfall preisgegeben werden, wenn sie aus der westeuropäischen Kulturgemeinschaft treten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/282>, abgerufen am 04.07.2024.