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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Deutschlands wirtschaftliche Kriegführung und Uriegslage

klärung verstanden sein, indessen wir unter aggressiver Politik mehr eine Politik
der Reizung, des Überfalls verstehen.

Solche Überfallspolitik lag und liegt Deutschland in jedem Falle fern;
wenn aber fremde Überfallspolitik uns unabweisbar droht, dann freilich suchen
wir zur angriffsweisen Kriegführung zu schreiten.

Der Unterschied ist gerade bei Ausbruch des Krieges 1^14 sehr deutlich
zutage getreten; allerdings aber war das, wie gesagt, nur der Fall auf feiten
der Heeres- und Flottenleitung und des Heer und Flotte beseelenden Geistes,
nicht aber bezüglich der wirtschaftlichen Kriegführung. Auf wirtschaftlichem
Gebiet war vor allen Dingen England der angreifende Teil. Seinem Beispiele
sind dann freilich seine Verbündeten gefolgt. Deutschland aber blieb -- von
einigen wenigen Maßnahmen abgesehen -- hier ganz und gar in der Verteidigung.

England eröffnete den Wirtschaftskrieg bereits, bevor es den Waffenkrieg
erklärte, indem es Deutschland auf dem Weltmarkt vom Nachrichtendienst
abschnitt. Es sind verschiedene Belege dafür bekannt geworden, daß England in
überseeischen Gebieten sogar schon vor dem 1. August deutsche Post aufgefangen
hat. Die Zerschneidung der deutschen Kabel erfolgte spätestens im Augenblick
der Kriegserklärung, anscheinend aber auch bereits etwas früher. Der Kriegs¬
erklärung folgte auf dem Fuße eine königliche Verordnung, die jedwedem
Engländer jedwede Handelsbeziehung nach Deutschland hin untersagte. Dieser
königlichen Verordnung wurde durch gesetzliche Strafbestimmungen unverzüglich
noch verstärkter Nachdruck verliehen. Die deutschen Angestellten in englischen
Betrieben wurden rechtlos, englische Zahlungsverpflichtungen an Deutschland
wurden aufgehoben, die deutschen Betriebe in England unter englische Staats¬
aufsicht gestellt, schließlich auch die deutschen Staatsangehörigen in England und
in englischen Kolonien in Gefangenenlagern untergebracht.

Nur zögernd und Schritt für Schritt entschloß man sich in Deutschland,
gegenüber diesen Maßregeln der englischen Kriegführung -- die in Frankreich
und Rußland Nachahmung fanden -- Vergeltungsmaßregeln durchzuführen.
Am 9. November 1914 wurde halbamtlich in der Norddeutschen Allgemeinen
Zeitung ein Überblick über diese Vergeltungsmaßnahmen veröffentlicht und dabei
ausdrücklich betont, daß man seitens der Neichsleitung nach dem völkerrechtlichen
Grundsatz "Auge um Auge! Zahn um Zahn!" in dieser Vergeltungspolitik
fortfahren werde, jedoch regelmüßig erst nach einwandfreier Feststellung der
Maßnahmen unserer Gegner und nicht über den Rahmen dieser gegnerischen
Maßnahmen hinausgehend. Damit war klipp und klar der Grundsatz völliger
Beschränkung der wirtschaftlichen Kriegführung auf die Verteidigung ausgesprochen.

Man hat den Gegnern die Versu.pe überlassen, das deutsche Wirtschafts¬
leben lahmzulegen, in der Zuversicht, daß diese Versuche in der Haupsache ihren
Zweck verfehlen würden, hat aber im Grundsatz Abstand davon genommen,
deutscherseits Versuche zur Schädigung des Wirtschaftslebens der Gegner zur
Durchführung zu bringen.


Deutschlands wirtschaftliche Kriegführung und Uriegslage

klärung verstanden sein, indessen wir unter aggressiver Politik mehr eine Politik
der Reizung, des Überfalls verstehen.

Solche Überfallspolitik lag und liegt Deutschland in jedem Falle fern;
wenn aber fremde Überfallspolitik uns unabweisbar droht, dann freilich suchen
wir zur angriffsweisen Kriegführung zu schreiten.

Der Unterschied ist gerade bei Ausbruch des Krieges 1^14 sehr deutlich
zutage getreten; allerdings aber war das, wie gesagt, nur der Fall auf feiten
der Heeres- und Flottenleitung und des Heer und Flotte beseelenden Geistes,
nicht aber bezüglich der wirtschaftlichen Kriegführung. Auf wirtschaftlichem
Gebiet war vor allen Dingen England der angreifende Teil. Seinem Beispiele
sind dann freilich seine Verbündeten gefolgt. Deutschland aber blieb — von
einigen wenigen Maßnahmen abgesehen — hier ganz und gar in der Verteidigung.

England eröffnete den Wirtschaftskrieg bereits, bevor es den Waffenkrieg
erklärte, indem es Deutschland auf dem Weltmarkt vom Nachrichtendienst
abschnitt. Es sind verschiedene Belege dafür bekannt geworden, daß England in
überseeischen Gebieten sogar schon vor dem 1. August deutsche Post aufgefangen
hat. Die Zerschneidung der deutschen Kabel erfolgte spätestens im Augenblick
der Kriegserklärung, anscheinend aber auch bereits etwas früher. Der Kriegs¬
erklärung folgte auf dem Fuße eine königliche Verordnung, die jedwedem
Engländer jedwede Handelsbeziehung nach Deutschland hin untersagte. Dieser
königlichen Verordnung wurde durch gesetzliche Strafbestimmungen unverzüglich
noch verstärkter Nachdruck verliehen. Die deutschen Angestellten in englischen
Betrieben wurden rechtlos, englische Zahlungsverpflichtungen an Deutschland
wurden aufgehoben, die deutschen Betriebe in England unter englische Staats¬
aufsicht gestellt, schließlich auch die deutschen Staatsangehörigen in England und
in englischen Kolonien in Gefangenenlagern untergebracht.

Nur zögernd und Schritt für Schritt entschloß man sich in Deutschland,
gegenüber diesen Maßregeln der englischen Kriegführung — die in Frankreich
und Rußland Nachahmung fanden — Vergeltungsmaßregeln durchzuführen.
Am 9. November 1914 wurde halbamtlich in der Norddeutschen Allgemeinen
Zeitung ein Überblick über diese Vergeltungsmaßnahmen veröffentlicht und dabei
ausdrücklich betont, daß man seitens der Neichsleitung nach dem völkerrechtlichen
Grundsatz „Auge um Auge! Zahn um Zahn!" in dieser Vergeltungspolitik
fortfahren werde, jedoch regelmüßig erst nach einwandfreier Feststellung der
Maßnahmen unserer Gegner und nicht über den Rahmen dieser gegnerischen
Maßnahmen hinausgehend. Damit war klipp und klar der Grundsatz völliger
Beschränkung der wirtschaftlichen Kriegführung auf die Verteidigung ausgesprochen.

Man hat den Gegnern die Versu.pe überlassen, das deutsche Wirtschafts¬
leben lahmzulegen, in der Zuversicht, daß diese Versuche in der Haupsache ihren
Zweck verfehlen würden, hat aber im Grundsatz Abstand davon genommen,
deutscherseits Versuche zur Schädigung des Wirtschaftslebens der Gegner zur
Durchführung zu bringen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/252>, abgerufen am 04.07.2024.