Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.Hundertundfünfzig Jahre deutscher Uunst zurückführen. Da ist vor allem auf das Aufkommen eines neuen Bürgerstandes Im Stilleben, dem Blumen- und Tierstück, in dem sich der Künstler durch Hundertundfünfzig Jahre deutscher Uunst zurückführen. Da ist vor allem auf das Aufkommen eines neuen Bürgerstandes Im Stilleben, dem Blumen- und Tierstück, in dem sich der Künstler durch <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0098" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/328832"/> <fw type="header" place="top"> Hundertundfünfzig Jahre deutscher Uunst</fw><lb/> <p xml:id="ID_284" prev="#ID_283"> zurückführen. Da ist vor allem auf das Aufkommen eines neuen Bürgerstandes<lb/> mit neuen Ideen und neuen Wünschen hinzuweisen, das sich begreiflicherweise<lb/> auf dem Gebiete der Malerei in der Entwicklung der Porträts vor allem<lb/> kund tut. Aber sämtliche Gebiete der Malerei machen eine ähnliche Ent¬<lb/> wicklung durch, deren wichtigste Etappen jetzt zu verfolgen unsere Aufgabe<lb/> sein wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_285" next="#ID_286"> Im Stilleben, dem Blumen- und Tierstück, in dem sich der Künstler durch<lb/> die Art seiner Aufgabe der Natur selber am nächsten befindet, kann man denn<lb/> auch die ersten Spuren eines Geistes entdecken, der sich danach sehnt — zunächst<lb/> vielleicht noch ganz unbewußt —, ihm angelegte Fesseln zu sprengen, wie<lb/> Dürer die Natur herauszureißen und so selber zu haben. Um die Entwicklungs¬<lb/> reihe möglichst lückenlos zu gestalten, hat man offenbar einige köstlich feine<lb/> Stilleben des eigentlich vor der hier behandelten Zeit lebenden und schaffenden<lb/> Malers Georg Flegel (1563 bis 1633) ausgestellt. Er wirkte vor der Zeit<lb/> der bekannten niederländischen Stillebenmeister, hat aber freilich sich seine besten<lb/> Waffen in den Niederlanden geholt. Doch wie er die Natur ansteht, wie er<lb/> mit feinem Geschmack seine Bilder zusammenstellt, wie er die Töne abzustimmen<lb/> weiß, das ist sein Eigentum. Er blieb immer der Natur nahe, fühlte sich aber<lb/> immer als ihr künstlerischer Vermittler. Über seinen Schüler Jakob Marrel<lb/> hinweg kommen wir zu dem in der Ausstellung auch trefflich vertretenen<lb/> Abraham Mignon aus Frankfurt (1640 bis 1679) und zu dessen Schülerin,<lb/> der gelehrten Maria Snbilla Merian, ebenfalls aus Frankfurt (164? bis 1717).<lb/> Daß alle diese Künstler in einer selbständigen Reichsstadt wirkten, ist wohl nicht<lb/> ganz zufällig. In einer solchen konnte — ähnlich wie in dem „bürgerlichen"<lb/> Holland — eine Kunst gedeihen, die sich vor allem für das Haus eines Bürgers<lb/> eignet., Mignon, vor allem aber die Merian schaffen im engen Anschluß an<lb/> die Natur, jedoch zum Teil aus anderen Motiven als ein Flegel, nämlich aus<lb/> einem wissenschaftlichen. Damit huldigen sie einer neuen, der Natur nicht mehr<lb/> so naiv gegenüberstehenden Zeit. Die Merian führt zum Beispiel in einem<lb/> kleinen Bildchen die Entwicklung des Seidenwurmes vor. Wie sie es tut, ist<lb/> namentlich in der Farbengebung, aber auch in der Art, wie jeder Gegenstand<lb/> durch die Pinselführung in seiner Erscheinung charakterisiert wird, wahrhaft<lb/> künstlerisch; daran mag ihr selber aber wenig gelegen haben. Die Natur ist<lb/> ein Studienobjekt geworden wie vieles andere, und selbst wo, wie bei ihr, das<lb/> äußere Auge sah, schien das innere verschlossen. Die irdische Brust mußte erst<lb/> wieder im Morgenrot gebadet werden. Und das geschah in der Landschaft, aber<lb/> erst zu einer späteren Zeit. Von Stilleben und Blumenmalern, die ein offenes<lb/> Auge für die Schönheit der Natur und dabei künstlerischen Geschmack besaßen,<lb/> muß aus der gleichen Zeit noch der Blumenmaler Ottomar Elliger der Ältere<lb/> (1633 bis 1679) genannt werden. So dann vor allem Franz Werner Tamm aus<lb/> Hamburg (1658 bis 1724), der in mehreren prächtigen Stücken wohl fremd¬<lb/> ländische Schulung verrät, dann aber plötzlich mit einen: Tierstück — einem</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0098]
Hundertundfünfzig Jahre deutscher Uunst
zurückführen. Da ist vor allem auf das Aufkommen eines neuen Bürgerstandes
mit neuen Ideen und neuen Wünschen hinzuweisen, das sich begreiflicherweise
auf dem Gebiete der Malerei in der Entwicklung der Porträts vor allem
kund tut. Aber sämtliche Gebiete der Malerei machen eine ähnliche Ent¬
wicklung durch, deren wichtigste Etappen jetzt zu verfolgen unsere Aufgabe
sein wird.
Im Stilleben, dem Blumen- und Tierstück, in dem sich der Künstler durch
die Art seiner Aufgabe der Natur selber am nächsten befindet, kann man denn
auch die ersten Spuren eines Geistes entdecken, der sich danach sehnt — zunächst
vielleicht noch ganz unbewußt —, ihm angelegte Fesseln zu sprengen, wie
Dürer die Natur herauszureißen und so selber zu haben. Um die Entwicklungs¬
reihe möglichst lückenlos zu gestalten, hat man offenbar einige köstlich feine
Stilleben des eigentlich vor der hier behandelten Zeit lebenden und schaffenden
Malers Georg Flegel (1563 bis 1633) ausgestellt. Er wirkte vor der Zeit
der bekannten niederländischen Stillebenmeister, hat aber freilich sich seine besten
Waffen in den Niederlanden geholt. Doch wie er die Natur ansteht, wie er
mit feinem Geschmack seine Bilder zusammenstellt, wie er die Töne abzustimmen
weiß, das ist sein Eigentum. Er blieb immer der Natur nahe, fühlte sich aber
immer als ihr künstlerischer Vermittler. Über seinen Schüler Jakob Marrel
hinweg kommen wir zu dem in der Ausstellung auch trefflich vertretenen
Abraham Mignon aus Frankfurt (1640 bis 1679) und zu dessen Schülerin,
der gelehrten Maria Snbilla Merian, ebenfalls aus Frankfurt (164? bis 1717).
Daß alle diese Künstler in einer selbständigen Reichsstadt wirkten, ist wohl nicht
ganz zufällig. In einer solchen konnte — ähnlich wie in dem „bürgerlichen"
Holland — eine Kunst gedeihen, die sich vor allem für das Haus eines Bürgers
eignet., Mignon, vor allem aber die Merian schaffen im engen Anschluß an
die Natur, jedoch zum Teil aus anderen Motiven als ein Flegel, nämlich aus
einem wissenschaftlichen. Damit huldigen sie einer neuen, der Natur nicht mehr
so naiv gegenüberstehenden Zeit. Die Merian führt zum Beispiel in einem
kleinen Bildchen die Entwicklung des Seidenwurmes vor. Wie sie es tut, ist
namentlich in der Farbengebung, aber auch in der Art, wie jeder Gegenstand
durch die Pinselführung in seiner Erscheinung charakterisiert wird, wahrhaft
künstlerisch; daran mag ihr selber aber wenig gelegen haben. Die Natur ist
ein Studienobjekt geworden wie vieles andere, und selbst wo, wie bei ihr, das
äußere Auge sah, schien das innere verschlossen. Die irdische Brust mußte erst
wieder im Morgenrot gebadet werden. Und das geschah in der Landschaft, aber
erst zu einer späteren Zeit. Von Stilleben und Blumenmalern, die ein offenes
Auge für die Schönheit der Natur und dabei künstlerischen Geschmack besaßen,
muß aus der gleichen Zeit noch der Blumenmaler Ottomar Elliger der Ältere
(1633 bis 1679) genannt werden. So dann vor allem Franz Werner Tamm aus
Hamburg (1658 bis 1724), der in mehreren prächtigen Stücken wohl fremd¬
ländische Schulung verrät, dann aber plötzlich mit einen: Tierstück — einem
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