Reitersmann mit Fahne an (vX. 388), der auf seinem Riesenrotz wie eine leiblich gewordene Vision unaufhaltsam daherstürmt, und folge der wie im Wirbelwind der Extase gesehenen und gestalteten "Himmelfahrt Mariae" (/>,. 387) von der Erde bis hinauf zu den unendlichen Höhen. Ein stillerer Meister, aber auch einer, der, was er darstellt, in sich erlebt und mit innerem und auch äußerem Auge selbst gesehen hat, statt nach Mustern zu arbeiten, ist der aus Breslau stammende Franz Karl Palko (1724 bis 1767), der in seinem "Leichnam des Heiligen Johannes von Nepomuk" (/V 469) aus dem Prager Rudolfinum ein wahres "Stimmungsbild" geschaffen hat. Die Landschaft, in der sich die Handlung begibt, ist deren Echo. Geisterhaft erhellt der Mond einer stürmischen Nacht die Szene und gießt sein volles Licht auf den Leichnam des Gemordeten.. Wenn diesem Bilde auch der Sturm der Werke des Maulpertsch fehlt, so zeugt doch seine Pinselführung von einer feinfühligen, dem Charakter der darzu¬ stellenden Gegenstände nachgehenden, ja sast nervösen Hand, und sein Ton wirkt ganz "modern". Erwähnt muß hier auch noch werden der aus München stammende Januarius Zick (1732 bis 1797), der in vielen Werken als Eklektiker erscheint, dann aber, wie vom Geiste gepackt, die Schleier vor seinen Augen zerreißen sieht und malt, was sein entzücktes Auge und fast möchte man sagen seiir überirdischen Tönen lauschendes Ohr ihm eingeben. So kommt ein Bild wie die "Geburt Christi" und gar die "Ölbergszene" zustande, in der man fast das künstlerische Fieber erkennt, das der gewordenen Vision nachpulst, um sie festzubannen, ehe sie schwindet. Und als letzter sei der mit Werken verschiedener Art in Darmstadt vertretene Hamburger Matthias Sehens (1630 bis etwa l700) genannt, der in seinem "Christus und die Samariterin" ein sehr eigenartiges, trotz Anlehnung an italienische Typen und Formen gleichsam nordisch¬ protestantisches Bild geschaffen hat, in dem die Landschaft eine entscheidende Stimme spricht.
Bietet so schon die ihrer Natur nach konservativste Kunst Anklänge an eine kommende Zeit, wie viel mehr darf man dies auf den anderen Gebieten erwarten! Und man wird darin nicht enttäuscht. -- Die Ausstellung beginnt mit der Zeit nach Beendigung des Dreißigjährigen Krieges, weil dieser eiren nur zu scharfen Einschnitt in die ganze Kunst- und Kulturpflege innerhalb Deutschlands gemacht hat. Doch muß man nicht meinen, daß die Kunst nach dem Kriege nun ganz und gar auf neuen Grundlagen aufzubauen hatte. Mir will scheinen, als habe die Kultur als ganzes genommen zunächst durch den Krieg noch mehr gelitten als die Kunst. Letztere hatte ja schon vor dem Kriege sich gleichsam mit fremden Elementen vermählt, nur war sie damals stark genug gewesen, diese -- vor allem die Einflüsse von der italienischen Renaissance her -- vollständig zu verarbeiten, wie es den Geisteswissenschaften möglich gewesen war, das neue Wissen zu absorbieren und für Deutschland eine neue Geistes¬ kultur daraus zu schaffen. Das deutsche Volk war damals eben kerngesund und reif, große Probleme zu erfassen und für sich zu lösen. Die künstlerischen
Hunderiundfnnfzig Icihrc deutscher Runst
Reitersmann mit Fahne an (vX. 388), der auf seinem Riesenrotz wie eine leiblich gewordene Vision unaufhaltsam daherstürmt, und folge der wie im Wirbelwind der Extase gesehenen und gestalteten „Himmelfahrt Mariae" (/>,. 387) von der Erde bis hinauf zu den unendlichen Höhen. Ein stillerer Meister, aber auch einer, der, was er darstellt, in sich erlebt und mit innerem und auch äußerem Auge selbst gesehen hat, statt nach Mustern zu arbeiten, ist der aus Breslau stammende Franz Karl Palko (1724 bis 1767), der in seinem „Leichnam des Heiligen Johannes von Nepomuk" (/V 469) aus dem Prager Rudolfinum ein wahres „Stimmungsbild" geschaffen hat. Die Landschaft, in der sich die Handlung begibt, ist deren Echo. Geisterhaft erhellt der Mond einer stürmischen Nacht die Szene und gießt sein volles Licht auf den Leichnam des Gemordeten.. Wenn diesem Bilde auch der Sturm der Werke des Maulpertsch fehlt, so zeugt doch seine Pinselführung von einer feinfühligen, dem Charakter der darzu¬ stellenden Gegenstände nachgehenden, ja sast nervösen Hand, und sein Ton wirkt ganz „modern". Erwähnt muß hier auch noch werden der aus München stammende Januarius Zick (1732 bis 1797), der in vielen Werken als Eklektiker erscheint, dann aber, wie vom Geiste gepackt, die Schleier vor seinen Augen zerreißen sieht und malt, was sein entzücktes Auge und fast möchte man sagen seiir überirdischen Tönen lauschendes Ohr ihm eingeben. So kommt ein Bild wie die „Geburt Christi" und gar die „Ölbergszene" zustande, in der man fast das künstlerische Fieber erkennt, das der gewordenen Vision nachpulst, um sie festzubannen, ehe sie schwindet. Und als letzter sei der mit Werken verschiedener Art in Darmstadt vertretene Hamburger Matthias Sehens (1630 bis etwa l700) genannt, der in seinem „Christus und die Samariterin" ein sehr eigenartiges, trotz Anlehnung an italienische Typen und Formen gleichsam nordisch¬ protestantisches Bild geschaffen hat, in dem die Landschaft eine entscheidende Stimme spricht.
Bietet so schon die ihrer Natur nach konservativste Kunst Anklänge an eine kommende Zeit, wie viel mehr darf man dies auf den anderen Gebieten erwarten! Und man wird darin nicht enttäuscht. — Die Ausstellung beginnt mit der Zeit nach Beendigung des Dreißigjährigen Krieges, weil dieser eiren nur zu scharfen Einschnitt in die ganze Kunst- und Kulturpflege innerhalb Deutschlands gemacht hat. Doch muß man nicht meinen, daß die Kunst nach dem Kriege nun ganz und gar auf neuen Grundlagen aufzubauen hatte. Mir will scheinen, als habe die Kultur als ganzes genommen zunächst durch den Krieg noch mehr gelitten als die Kunst. Letztere hatte ja schon vor dem Kriege sich gleichsam mit fremden Elementen vermählt, nur war sie damals stark genug gewesen, diese — vor allem die Einflüsse von der italienischen Renaissance her — vollständig zu verarbeiten, wie es den Geisteswissenschaften möglich gewesen war, das neue Wissen zu absorbieren und für Deutschland eine neue Geistes¬ kultur daraus zu schaffen. Das deutsche Volk war damals eben kerngesund und reif, große Probleme zu erfassen und für sich zu lösen. Die künstlerischen
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Reitersmann mit Fahne an (vX. 388), der auf seinem Riesenrotz wie eine leiblich
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der Extase gesehenen und gestalteten „Himmelfahrt Mariae" (/>,. 387) von der
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einer, der, was er darstellt, in sich erlebt und mit innerem und auch äußerem
Auge selbst gesehen hat, statt nach Mustern zu arbeiten, ist der aus Breslau
stammende Franz Karl Palko (1724 bis 1767), der in seinem „Leichnam des
Heiligen Johannes von Nepomuk" (/V 469) aus dem Prager Rudolfinum ein
wahres „Stimmungsbild" geschaffen hat. Die Landschaft, in der sich die
Handlung begibt, ist deren Echo. Geisterhaft erhellt der Mond einer stürmischen
Nacht die Szene und gießt sein volles Licht auf den Leichnam des Gemordeten..
Wenn diesem Bilde auch der Sturm der Werke des Maulpertsch fehlt, so zeugt
doch seine Pinselführung von einer feinfühligen, dem Charakter der darzu¬
stellenden Gegenstände nachgehenden, ja sast nervösen Hand, und sein Ton
wirkt ganz „modern". Erwähnt muß hier auch noch werden der aus München
stammende Januarius Zick (1732 bis 1797), der in vielen Werken als Eklektiker
erscheint, dann aber, wie vom Geiste gepackt, die Schleier vor seinen Augen
zerreißen sieht und malt, was sein entzücktes Auge und fast möchte man sagen
seiir überirdischen Tönen lauschendes Ohr ihm eingeben. So kommt ein Bild
wie die „Geburt Christi" und gar die „Ölbergszene" zustande, in der man fast
das künstlerische Fieber erkennt, das der gewordenen Vision nachpulst, um sie
festzubannen, ehe sie schwindet. Und als letzter sei der mit Werken verschiedener
Art in Darmstadt vertretene Hamburger Matthias Sehens (1630 bis etwa l700)
genannt, der in seinem „Christus und die Samariterin" ein sehr eigenartiges,
trotz Anlehnung an italienische Typen und Formen gleichsam nordisch¬
protestantisches Bild geschaffen hat, in dem die Landschaft eine entscheidende
Stimme spricht.
Bietet so schon die ihrer Natur nach konservativste Kunst Anklänge an
eine kommende Zeit, wie viel mehr darf man dies auf den anderen Gebieten
erwarten! Und man wird darin nicht enttäuscht. — Die Ausstellung beginnt
mit der Zeit nach Beendigung des Dreißigjährigen Krieges, weil dieser eiren
nur zu scharfen Einschnitt in die ganze Kunst- und Kulturpflege innerhalb
Deutschlands gemacht hat. Doch muß man nicht meinen, daß die Kunst nach
dem Kriege nun ganz und gar auf neuen Grundlagen aufzubauen hatte. Mir
will scheinen, als habe die Kultur als ganzes genommen zunächst durch den
Krieg noch mehr gelitten als die Kunst. Letztere hatte ja schon vor dem Kriege
sich gleichsam mit fremden Elementen vermählt, nur war sie damals stark genug
gewesen, diese — vor allem die Einflüsse von der italienischen Renaissance her —
vollständig zu verarbeiten, wie es den Geisteswissenschaften möglich gewesen
war, das neue Wissen zu absorbieren und für Deutschland eine neue Geistes¬
kultur daraus zu schaffen. Das deutsche Volk war damals eben kerngesund und
reif, große Probleme zu erfassen und für sich zu lösen. Die künstlerischen
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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/96>, abgerufen am 05.01.2025.
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