Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.Das Problem der Arbeitslosenversicherung in Deutschland Weiterhin verlieren aber auch viele Arbeiter ihre Stelle dadurch, daß ihrem Selbst wenn man aber alle diese zweifelhaften Fälle von vornherein aus¬ Und damit immer noch nicht genug, fehlen sogar noch alle statistischen Das Problem der Arbeitslosenversicherung in Deutschland Weiterhin verlieren aber auch viele Arbeiter ihre Stelle dadurch, daß ihrem Selbst wenn man aber alle diese zweifelhaften Fälle von vornherein aus¬ Und damit immer noch nicht genug, fehlen sogar noch alle statistischen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0092" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/328826"/> <fw type="header" place="top"> Das Problem der Arbeitslosenversicherung in Deutschland</fw><lb/> <p xml:id="ID_268"> Weiterhin verlieren aber auch viele Arbeiter ihre Stelle dadurch, daß ihrem<lb/> Werke z. B. durch einen anderweitig ausgebrochenen Streik die Rohmaterialien<lb/> mangeln, so daß es zu Arbeiterentlassungcn gezwungen wird. Wie steht es<lb/> ferner mit den durch Aussperrungen, die die Unternehmer zur Niederringung<lb/> eines Streiks vornahmen, brotlos Gewordenen? Sollten diese der Allgemeinheit<lb/> zur Last fallen, nur weil vielleicht wenige hundert Arbeitsgenossen einen möglicher¬<lb/> weise durchaus ungerechtfertigten Streik begannen? Und wie erst stellt man<lb/> sich zur Frage der Saisonarbeiter, dieser Leute, die genau wissen, daß ihr Beruf<lb/> alljährlich eine sich über gewisse Monate erstreckende Arbeitslosigkeit mit sich<lb/> bringt, die aber dementsprechend auch einen verhältnismäßig hohen Lohn zu<lb/> beziehen pflegen, den sie eben als vernünftige Menschen nicht sofort vollständig<lb/> aufbrauchen dürfen, damit sie sich das Gespenst der Not während der Feier¬<lb/> monate vom Leibe halten können. Wäre es nicht eine Ungerechtigkeit gegen<lb/> die während des ganzen Jahres für geringeren Lohn fleißig Schaffenden, wenn<lb/> man solche Saisonarbeiter während der Feiermonate als unterstützungsberechtigte<lb/> Arbeitslose gelten lassen wollte?</p><lb/> <p xml:id="ID_269"> Selbst wenn man aber alle diese zweifelhaften Fälle von vornherein aus¬<lb/> schaltet, erwachse» schwere Bedenken; denn natürlich könnte kein Arbeitsloser<lb/> irgendwelche ihm gebotene Arbeit ablehnen, auch wenn sie nicht seinem erlernten<lb/> Gewerbe entspricht und auch wenn sie ihm an einem Orte geboten wird, der<lb/> ihm nicht behagt. Die mühsam errungene Freizügigkeit würde mit der staat¬<lb/> lichen Arbeitslosenversicherung fallen müssen, ein Beamtenheer würde die Massen<lb/> im Deutschen Reiche hierhin und dorthin schicken, denn nur so ließe sich etwa<lb/> eine Beteiligung der vornehmlich landwirtschaftlichen Provinzen, die ständig<lb/> unter Arbeitermangel leiden, an den Lasten des Gesetzes rechtfertigen. Der Unter¬<lb/> stützung Fordernde müßte es sich demnach gefallen lassen, daß er samt seiner<lb/> Familie aus alten lieb gewordenen Verhältnissen gegen seinen Willen heraus¬<lb/> gerissen wird, um an fremden Orte eine ihm ungewohnte und nicht zusagende<lb/> Arbeit auszuüben, während er, hätte er die Unterstützung nicht beansprucht,<lb/> vielleicht schon in Kürze in der Heimat wieder einer seiner Ausbildung<lb/> entsprechende Beschäftigung gefunden hätte.</p><lb/> <p xml:id="ID_270" next="#ID_271"> Und damit immer noch nicht genug, fehlen sogar noch alle statistischen<lb/> Unterlagen darüber, ob denn überhaupt im Deutschen Reiche eine<lb/> nennenswerte unverschuldete Arbeitslosigkeit, wenn auch nur zeitweilig, vor¬<lb/> handen ist. Jedenfalls spricht die Einwanderung der Millionen ausländischer<lb/> Arbeiter, der Polen, Kroaten, Italiener sehr vernehmlich dagegen, und nicht<lb/> minder tut dies der Umstand, daß unsere deutsche Auswanderung von<lb/> 200000 Seelen im Jahre 1885 auf wenig mehr als 25000 im Jahre 1912 sank,<lb/> trotzdem sich unsere Bevölkerung alljährlich um fast eine Million vermehrt. Schon<lb/> 1895 — noch dazu einem Depressionsjahre — bestätigte überdies eine amtliche<lb/> Arbeitslosenzählung, daß drei Viertel aller Arbeiter, die Saisonarbeiter ein¬<lb/> begriffen, mit kaum 2 Prozent Arbeitslosigkeit zu rechnen haben und nur</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0092]
Das Problem der Arbeitslosenversicherung in Deutschland
Weiterhin verlieren aber auch viele Arbeiter ihre Stelle dadurch, daß ihrem
Werke z. B. durch einen anderweitig ausgebrochenen Streik die Rohmaterialien
mangeln, so daß es zu Arbeiterentlassungcn gezwungen wird. Wie steht es
ferner mit den durch Aussperrungen, die die Unternehmer zur Niederringung
eines Streiks vornahmen, brotlos Gewordenen? Sollten diese der Allgemeinheit
zur Last fallen, nur weil vielleicht wenige hundert Arbeitsgenossen einen möglicher¬
weise durchaus ungerechtfertigten Streik begannen? Und wie erst stellt man
sich zur Frage der Saisonarbeiter, dieser Leute, die genau wissen, daß ihr Beruf
alljährlich eine sich über gewisse Monate erstreckende Arbeitslosigkeit mit sich
bringt, die aber dementsprechend auch einen verhältnismäßig hohen Lohn zu
beziehen pflegen, den sie eben als vernünftige Menschen nicht sofort vollständig
aufbrauchen dürfen, damit sie sich das Gespenst der Not während der Feier¬
monate vom Leibe halten können. Wäre es nicht eine Ungerechtigkeit gegen
die während des ganzen Jahres für geringeren Lohn fleißig Schaffenden, wenn
man solche Saisonarbeiter während der Feiermonate als unterstützungsberechtigte
Arbeitslose gelten lassen wollte?
Selbst wenn man aber alle diese zweifelhaften Fälle von vornherein aus¬
schaltet, erwachse» schwere Bedenken; denn natürlich könnte kein Arbeitsloser
irgendwelche ihm gebotene Arbeit ablehnen, auch wenn sie nicht seinem erlernten
Gewerbe entspricht und auch wenn sie ihm an einem Orte geboten wird, der
ihm nicht behagt. Die mühsam errungene Freizügigkeit würde mit der staat¬
lichen Arbeitslosenversicherung fallen müssen, ein Beamtenheer würde die Massen
im Deutschen Reiche hierhin und dorthin schicken, denn nur so ließe sich etwa
eine Beteiligung der vornehmlich landwirtschaftlichen Provinzen, die ständig
unter Arbeitermangel leiden, an den Lasten des Gesetzes rechtfertigen. Der Unter¬
stützung Fordernde müßte es sich demnach gefallen lassen, daß er samt seiner
Familie aus alten lieb gewordenen Verhältnissen gegen seinen Willen heraus¬
gerissen wird, um an fremden Orte eine ihm ungewohnte und nicht zusagende
Arbeit auszuüben, während er, hätte er die Unterstützung nicht beansprucht,
vielleicht schon in Kürze in der Heimat wieder einer seiner Ausbildung
entsprechende Beschäftigung gefunden hätte.
Und damit immer noch nicht genug, fehlen sogar noch alle statistischen
Unterlagen darüber, ob denn überhaupt im Deutschen Reiche eine
nennenswerte unverschuldete Arbeitslosigkeit, wenn auch nur zeitweilig, vor¬
handen ist. Jedenfalls spricht die Einwanderung der Millionen ausländischer
Arbeiter, der Polen, Kroaten, Italiener sehr vernehmlich dagegen, und nicht
minder tut dies der Umstand, daß unsere deutsche Auswanderung von
200000 Seelen im Jahre 1885 auf wenig mehr als 25000 im Jahre 1912 sank,
trotzdem sich unsere Bevölkerung alljährlich um fast eine Million vermehrt. Schon
1895 — noch dazu einem Depressionsjahre — bestätigte überdies eine amtliche
Arbeitslosenzählung, daß drei Viertel aller Arbeiter, die Saisonarbeiter ein¬
begriffen, mit kaum 2 Prozent Arbeitslosigkeit zu rechnen haben und nur
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