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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Deutschland und Non-Griechenland

über die Beamtenschaft und die höheren Stände ausspricht, nicht unterschreiben.
Es mag zugegeben werden, daß uns im Charakter des einzelnen Griechen
gelegentlich Züge entgegentreten, die uns fremd berühren. Hier und da tritt
ein gewisser Sinn für Äußerlichkeiten und eine gewisse Eitelkeit hervor, die über
das berechtigte Selbstgefühl hinausgeht und sich besonders zeigt, wenn der
Fremde nicht alles schön und gut finden will, was das Land ihm bietet.

Aber demgegenüber hat das Volk wieder neben einer hohen In¬
telligenz und Bildungsfähigkeit höchst liebenswürdige Eigenschaften. Zunächst
eine glühende Vaterlandsliebe. Sie zeigte ihre Opferwilligkeit im letzten
Kriege, sie zeigte sich aber stets und in hervorragender Weise besonders in
dem Verhalten der im Auslande weilenden und dort vielfach im Handel zu
großem Reichtum gelangten Griechen, die in großen, häufig viele Millionen
betragenden Stiftungen für ihr Vaterland wetteifern. Weitere Grundzüge im
Charakter des Volks sind: ein sehr inniges Familienleben, treue Freundschaft,
wenn es gelingt, dem einzelnen näher zu treten, Freundlichkeit und Gefälligkeit
dem Fremden gegenüber. Auch in dem gewöhnlichen Manne liegt ein gewisser
Zug der Vornehmheit. Als ich vor zwanzig Jahren dem Gendarmerieunteroffizier,
der die mir von der Regierung in das Bergland mitgegebene Eskorte befehligte,
beim Abschied einen Geldbetrag -- eine für seine Verhältnisse nicht unbeträchtliche
Summe -- als Anerkennung geben wollte, lehnte er die Annahme ab mit den
Worten: er habe nur seine Pflicht und Schuldigkeit getan. Der Straßenbahn¬
schaffner in Athen pflegt kein Trinkgeld anzunehmen. Ich erinnere mich noch
des erstaunten Gesichts eines Berliner Herrn, der, als der Athener Straßen¬
bahnschaffner sein Trinkgeld mit einer Handbewegung zurückwies, mich erstaunt
fragte: "Was hat der Mann eigentlich?!" Eduard Engel in seinem bekannten
Werk "Griechische Frühlingstage" erzählt von einer vornehmen englischen Dame,
die auf die Frage, wie sie auf der Reise im Innern mit ihren Führern und
Maultiertreibern zufrieden gewesen wäre, die Antwort gab: "Sie waren alle
Gentlemen!" Damit soll natürlich dieses Prädikat nicht jedem griechischen Maul-
tiertreiber und Fremdenführer zuerkannt werden. Daß hier und da im Innern
des Landes auch der Fremde, der immer für einen steinreichen Lord (I^oräoZ)
gilt, übervorteilt wird, wird sicher vorkommen.

Zudringlichkeit durch Betteln habe ich kaum erlebt. Die kleinen Mädchen
am Fuße der Akropolis bieten wohl freundlich und zurückhaltend ein Sträußchen
oder gesticktes Täschchen zum Kaufe an. Das ist alles! Das mutet anders
an, als der professionsmäßige Straßenbettel in Italien.

Die Gastlichkeit des Griechen im eigenen Lande ist nach unseren Begriffen
manchmal fast drückend. Setzt man sich im Kaffeehause zu einem fremden
Griechen an den Tisch, so kann man erleben, daß er für den Fremden die


Deutschland und Non-Griechenland

über die Beamtenschaft und die höheren Stände ausspricht, nicht unterschreiben.
Es mag zugegeben werden, daß uns im Charakter des einzelnen Griechen
gelegentlich Züge entgegentreten, die uns fremd berühren. Hier und da tritt
ein gewisser Sinn für Äußerlichkeiten und eine gewisse Eitelkeit hervor, die über
das berechtigte Selbstgefühl hinausgeht und sich besonders zeigt, wenn der
Fremde nicht alles schön und gut finden will, was das Land ihm bietet.

Aber demgegenüber hat das Volk wieder neben einer hohen In¬
telligenz und Bildungsfähigkeit höchst liebenswürdige Eigenschaften. Zunächst
eine glühende Vaterlandsliebe. Sie zeigte ihre Opferwilligkeit im letzten
Kriege, sie zeigte sich aber stets und in hervorragender Weise besonders in
dem Verhalten der im Auslande weilenden und dort vielfach im Handel zu
großem Reichtum gelangten Griechen, die in großen, häufig viele Millionen
betragenden Stiftungen für ihr Vaterland wetteifern. Weitere Grundzüge im
Charakter des Volks sind: ein sehr inniges Familienleben, treue Freundschaft,
wenn es gelingt, dem einzelnen näher zu treten, Freundlichkeit und Gefälligkeit
dem Fremden gegenüber. Auch in dem gewöhnlichen Manne liegt ein gewisser
Zug der Vornehmheit. Als ich vor zwanzig Jahren dem Gendarmerieunteroffizier,
der die mir von der Regierung in das Bergland mitgegebene Eskorte befehligte,
beim Abschied einen Geldbetrag — eine für seine Verhältnisse nicht unbeträchtliche
Summe — als Anerkennung geben wollte, lehnte er die Annahme ab mit den
Worten: er habe nur seine Pflicht und Schuldigkeit getan. Der Straßenbahn¬
schaffner in Athen pflegt kein Trinkgeld anzunehmen. Ich erinnere mich noch
des erstaunten Gesichts eines Berliner Herrn, der, als der Athener Straßen¬
bahnschaffner sein Trinkgeld mit einer Handbewegung zurückwies, mich erstaunt
fragte: „Was hat der Mann eigentlich?!" Eduard Engel in seinem bekannten
Werk „Griechische Frühlingstage" erzählt von einer vornehmen englischen Dame,
die auf die Frage, wie sie auf der Reise im Innern mit ihren Führern und
Maultiertreibern zufrieden gewesen wäre, die Antwort gab: „Sie waren alle
Gentlemen!" Damit soll natürlich dieses Prädikat nicht jedem griechischen Maul-
tiertreiber und Fremdenführer zuerkannt werden. Daß hier und da im Innern
des Landes auch der Fremde, der immer für einen steinreichen Lord (I^oräoZ)
gilt, übervorteilt wird, wird sicher vorkommen.

Zudringlichkeit durch Betteln habe ich kaum erlebt. Die kleinen Mädchen
am Fuße der Akropolis bieten wohl freundlich und zurückhaltend ein Sträußchen
oder gesticktes Täschchen zum Kaufe an. Das ist alles! Das mutet anders
an, als der professionsmäßige Straßenbettel in Italien.

Die Gastlichkeit des Griechen im eigenen Lande ist nach unseren Begriffen
manchmal fast drückend. Setzt man sich im Kaffeehause zu einem fremden
Griechen an den Tisch, so kann man erleben, daß er für den Fremden die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/70>, abgerufen am 01.09.2024.