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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Die Engländer

Politik jemals gefunden haben, der Ire Bernhard Shaw hat diesen Zug von
Heuchelei mit blutigem Hohn gegeißelt: England will niemals etwas haben, so
ungefähr sagt er, außer wenn es die göttliche Mission hat, es zu erobern.
Es kann geschehen was will, unrecht hat der Engländer niemals.

Eine besondere Folge dieser Enge der Anschauungsweise und der Gebunden¬
heit des nationalen Lebens, ist nun die völlige Unkenntnis von anderen
Nationen, vor allem denjenigen des europäischen Kontinents. Die Seele der
primitiven Völker vermag der englische Missionar durch Gewohnheit und
Studium kennen zu lernen. Von dem inneren Wesen des Deutschen aber oder
auch des Franzosen kennt der Engländer nichts, der durch diese Länder reist
und sie mit etwas stupiden Erstaunen bewundert. Auch hierfür ist der jetzige
Minister des Äußeren typisch, der übrigens das Ausland mit Ausnahme von
Paris nicht einmal gesehen haben soll. Diese Unkenntnis kann nur dazu
führen, das fremde Volk, wenn man es nicht von vornherein geringschätzig
ablehnt -- wozu der moderne Engländer im allgemeinen nicht mehr geneigt
ist -- nach der eigenen Denk- und Empfindungsweise zu beurteilen. Nun ist
für England -- es trat in Greys Rede deutlich hervor und ist ja in diesen
Tagen oft genug ausgesprochen worden -- ein Krieg nichts anderes als ein
Geschäftsunternehmen, das vom Staat geleitet wird wie etwa die Begründung
einer Kolonie, nur daß das Risiko vielleicht etwas größer ist. Englands
Söldner find zum Teil nicht einmal Landeskinder; Englands Familien werden
durch Verluste an Menschenleben auf dem Kriegsschauplatz nicht oder doch nur
vereinzelt betroffen. Diese Verluste werden einfach in Geld umgesetzt; ist ein
Expeditionsheer von 100000 Mann verloren, so kostet das neue Anwerbungs¬
gelder, mehr nicht, denn die Ausgaben für den täglichen Sold bleiben ja dieselben.
Das Gleiche gilt für die Flotte. Nun weiß der Engländer und fein Minister
zwar aus der Zeitung, daß die deutsche Armee ein Volksheer ist und daß der
Deutsche seine Schlachten selber kämpft und Siege wie Niederlagen mit dem
eigenen Blute bezahlt. Aber offenbar macht man sich in England auch nicht
den leisesten Begriff von der Verschiedenheit der Volksempfindungen, die durch
diesen Unterschied bedingt ist, nicht den leisesten Begriff von der Kraft und Tiefe
der Bewegung, die der Volkskrieg im Herzen der Nation, die ihn zu führen
gezwungen ist, hervorruft. Nach der Kriegserklärung äußerte ein großes
englisches Blatt, das den Deutschen nicht allzu abgeneigt war, an leitender
Stelle, es sei wünschenswert, daß der Krieg auf beiden Seiten ohne Haß ge¬
führt werde, eine Naivität, durch welche die totale Verschiedenheit der Empfindungs¬
weise, die völlige Verständnislosigkeit für unser Empfinden deutlich zutage tritt.
In der Tat würden sich die meisten Engländer einfach wundern, wenn sie von
dem Maß der Empörung und des Hasses, das ihr Verhalten bei uns entfesselt
hat, etwas erführen. Das würde freilich an ihrer Politik wenig ändern, denn
diese ist Gefühlsanwandlungen nur zugänglich, soweit der Geschäftssinn nicht in
Frage kommt oder noch besser, soweit er zugleich befriedigt wird.


Die Engländer

Politik jemals gefunden haben, der Ire Bernhard Shaw hat diesen Zug von
Heuchelei mit blutigem Hohn gegeißelt: England will niemals etwas haben, so
ungefähr sagt er, außer wenn es die göttliche Mission hat, es zu erobern.
Es kann geschehen was will, unrecht hat der Engländer niemals.

Eine besondere Folge dieser Enge der Anschauungsweise und der Gebunden¬
heit des nationalen Lebens, ist nun die völlige Unkenntnis von anderen
Nationen, vor allem denjenigen des europäischen Kontinents. Die Seele der
primitiven Völker vermag der englische Missionar durch Gewohnheit und
Studium kennen zu lernen. Von dem inneren Wesen des Deutschen aber oder
auch des Franzosen kennt der Engländer nichts, der durch diese Länder reist
und sie mit etwas stupiden Erstaunen bewundert. Auch hierfür ist der jetzige
Minister des Äußeren typisch, der übrigens das Ausland mit Ausnahme von
Paris nicht einmal gesehen haben soll. Diese Unkenntnis kann nur dazu
führen, das fremde Volk, wenn man es nicht von vornherein geringschätzig
ablehnt — wozu der moderne Engländer im allgemeinen nicht mehr geneigt
ist — nach der eigenen Denk- und Empfindungsweise zu beurteilen. Nun ist
für England — es trat in Greys Rede deutlich hervor und ist ja in diesen
Tagen oft genug ausgesprochen worden — ein Krieg nichts anderes als ein
Geschäftsunternehmen, das vom Staat geleitet wird wie etwa die Begründung
einer Kolonie, nur daß das Risiko vielleicht etwas größer ist. Englands
Söldner find zum Teil nicht einmal Landeskinder; Englands Familien werden
durch Verluste an Menschenleben auf dem Kriegsschauplatz nicht oder doch nur
vereinzelt betroffen. Diese Verluste werden einfach in Geld umgesetzt; ist ein
Expeditionsheer von 100000 Mann verloren, so kostet das neue Anwerbungs¬
gelder, mehr nicht, denn die Ausgaben für den täglichen Sold bleiben ja dieselben.
Das Gleiche gilt für die Flotte. Nun weiß der Engländer und fein Minister
zwar aus der Zeitung, daß die deutsche Armee ein Volksheer ist und daß der
Deutsche seine Schlachten selber kämpft und Siege wie Niederlagen mit dem
eigenen Blute bezahlt. Aber offenbar macht man sich in England auch nicht
den leisesten Begriff von der Verschiedenheit der Volksempfindungen, die durch
diesen Unterschied bedingt ist, nicht den leisesten Begriff von der Kraft und Tiefe
der Bewegung, die der Volkskrieg im Herzen der Nation, die ihn zu führen
gezwungen ist, hervorruft. Nach der Kriegserklärung äußerte ein großes
englisches Blatt, das den Deutschen nicht allzu abgeneigt war, an leitender
Stelle, es sei wünschenswert, daß der Krieg auf beiden Seiten ohne Haß ge¬
führt werde, eine Naivität, durch welche die totale Verschiedenheit der Empfindungs¬
weise, die völlige Verständnislosigkeit für unser Empfinden deutlich zutage tritt.
In der Tat würden sich die meisten Engländer einfach wundern, wenn sie von
dem Maß der Empörung und des Hasses, das ihr Verhalten bei uns entfesselt
hat, etwas erführen. Das würde freilich an ihrer Politik wenig ändern, denn
diese ist Gefühlsanwandlungen nur zugänglich, soweit der Geschäftssinn nicht in
Frage kommt oder noch besser, soweit er zugleich befriedigt wird.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/471>, abgerufen am 01.09.2024.