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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]
Politik

[Spaltenumbruch]

Verkehr und untergräbt das Ansehen der
Regierung. Denn jede Regierung muß den
Wunsch hegen, der Bevölkerung diejenigen
Steuern zu ersparen, die H einem großen
Staatswesen mit großen Zielen unerlä߬
lich sind, sie muß aber auch aus dem
begreiflichen Gefühl der Unsicherheit heraus
wünschen, nach Möglichkeit für den Schutz der
Grenzen zu sorgen. Beides wirksam mitein¬
ander zu vereinigen, ist offenbar schwierig,
wenn nicht unmöglich Ein naheliegendes,
warnendes Beispiel tleinstaatlicher Ohnmacht
bietet das Schicksal des Königreichs Belgien.
Trotz der völkerrechtlich verbürgten Neutralität
wurde Belgien innerhalb weniger Tage zum
Kriegsschauplatz für Franzosen, Deutsche und
Engländer. Nachdem Frankreich sich die bel¬
gische Willfährigkeit gesichert hatte, rückten die
deutschen Heere ein. Dann folgten die
Engländer, selbstlos wie immer, nur von
strengem Rechtsgefühl, von der Empörung
über den Bruch der belgischen Neutralität
und von reiner Menschlichkeit dazu getrieben,
Millionen Menschen ins Unglück zu stürzen.
Eine einfache Wahrheit trat nun zutage: ein
Land, das nur vom Völkerrecht geschützt
wird, ist schutzlos. Kann es sich nicht selbst
mit seinen Waffen schützen, so bleibt nichts
weiter übrig, als daß es seine Kräfte mit
denen Stärkerer vereinigt. Nur so kann es
dem unwürdigen Schicksal entgehen, zum
Spielball fremder Mächte zu werden. Die
Unabhängigkeit des Kleinstaats ist ein leeres
Wort. Will der Staat seinen Bestand sicher¬
stellen, will er Tatsachen an die Stelle von
Worten setzen, so muß er sich dauernd mit
einem Großstaat verbinden, der sich auf seine
eigene Kraft stützt und stützen kann. Ist


[Ende Spaltensatz]
Staatenbund von Nordeuropa.




Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]
Politik

[Spaltenumbruch]

Verkehr und untergräbt das Ansehen der
Regierung. Denn jede Regierung muß den
Wunsch hegen, der Bevölkerung diejenigen
Steuern zu ersparen, die H einem großen
Staatswesen mit großen Zielen unerlä߬
lich sind, sie muß aber auch aus dem
begreiflichen Gefühl der Unsicherheit heraus
wünschen, nach Möglichkeit für den Schutz der
Grenzen zu sorgen. Beides wirksam mitein¬
ander zu vereinigen, ist offenbar schwierig,
wenn nicht unmöglich Ein naheliegendes,
warnendes Beispiel tleinstaatlicher Ohnmacht
bietet das Schicksal des Königreichs Belgien.
Trotz der völkerrechtlich verbürgten Neutralität
wurde Belgien innerhalb weniger Tage zum
Kriegsschauplatz für Franzosen, Deutsche und
Engländer. Nachdem Frankreich sich die bel¬
gische Willfährigkeit gesichert hatte, rückten die
deutschen Heere ein. Dann folgten die
Engländer, selbstlos wie immer, nur von
strengem Rechtsgefühl, von der Empörung
über den Bruch der belgischen Neutralität
und von reiner Menschlichkeit dazu getrieben,
Millionen Menschen ins Unglück zu stürzen.
Eine einfache Wahrheit trat nun zutage: ein
Land, das nur vom Völkerrecht geschützt
wird, ist schutzlos. Kann es sich nicht selbst
mit seinen Waffen schützen, so bleibt nichts
weiter übrig, als daß es seine Kräfte mit
denen Stärkerer vereinigt. Nur so kann es
dem unwürdigen Schicksal entgehen, zum
Spielball fremder Mächte zu werden. Die
Unabhängigkeit des Kleinstaats ist ein leeres
Wort. Will der Staat seinen Bestand sicher¬
stellen, will er Tatsachen an die Stelle von
Worten setzen, so muß er sich dauernd mit
einem Großstaat verbinden, der sich auf seine
eigene Kraft stützt und stützen kann. Ist


[Ende Spaltensatz]
Staatenbund von Nordeuropa.


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[0451] [Abbildung] Maßgebliches und Unmaßgebliches Politik Verkehr und untergräbt das Ansehen der Regierung. Denn jede Regierung muß den Wunsch hegen, der Bevölkerung diejenigen Steuern zu ersparen, die H einem großen Staatswesen mit großen Zielen unerlä߬ lich sind, sie muß aber auch aus dem begreiflichen Gefühl der Unsicherheit heraus wünschen, nach Möglichkeit für den Schutz der Grenzen zu sorgen. Beides wirksam mitein¬ ander zu vereinigen, ist offenbar schwierig, wenn nicht unmöglich Ein naheliegendes, warnendes Beispiel tleinstaatlicher Ohnmacht bietet das Schicksal des Königreichs Belgien. Trotz der völkerrechtlich verbürgten Neutralität wurde Belgien innerhalb weniger Tage zum Kriegsschauplatz für Franzosen, Deutsche und Engländer. Nachdem Frankreich sich die bel¬ gische Willfährigkeit gesichert hatte, rückten die deutschen Heere ein. Dann folgten die Engländer, selbstlos wie immer, nur von strengem Rechtsgefühl, von der Empörung über den Bruch der belgischen Neutralität und von reiner Menschlichkeit dazu getrieben, Millionen Menschen ins Unglück zu stürzen. Eine einfache Wahrheit trat nun zutage: ein Land, das nur vom Völkerrecht geschützt wird, ist schutzlos. Kann es sich nicht selbst mit seinen Waffen schützen, so bleibt nichts weiter übrig, als daß es seine Kräfte mit denen Stärkerer vereinigt. Nur so kann es dem unwürdigen Schicksal entgehen, zum Spielball fremder Mächte zu werden. Die Unabhängigkeit des Kleinstaats ist ein leeres Wort. Will der Staat seinen Bestand sicher¬ stellen, will er Tatsachen an die Stelle von Worten setzen, so muß er sich dauernd mit einem Großstaat verbinden, der sich auf seine eigene Kraft stützt und stützen kann. Ist Staatenbund von Nordeuropa.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/451>, abgerufen am 22.12.2024.