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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Das slawische Kulturproblem

geschieht wie im Halbdunkel, ohne Losungswort, ohne Waffenklirren. ohne die
Nachbarn aufzuschrecken. Die Wörter, welche Waffen bezeichnen, sind nicht
slawisch, sondern germanisch, gotisch, solche aber, die der Landwirtschaft dienen,
entlehnen die Deutschen von den Slawen, z. B. stammt das deutsche Wort Pflug vom
slawischen pIuZ. Die Namen slawischer Stämme sind Bauern- und Ortsnamen:
"Polani". weil sie auf dem Felde leben. "Drewjani" ,weil sie im Walde leben.
"Pomorjani". weil sie am Meere leben; die Deutschen hingegen haben kriege¬
rische Namen. Sachs (von einer Art Messer). Frank (von der Lanze). Got
(vom Handeln). Vandal und soch bedeuten Verbindlichkeit und Freiheit.
Alaman ist ein Verbündeter. Markoman ein Grenzer. Sogar die Frauennamen
sind bei den Germanen kriegerisch. Tacitus erzählt von deutschen Amazonen --
Hildegild. Mathild. Brunhild (bild --Held), Haduwig (wig -- Kühnheit) sind
bekannte Namen germanischer Walküren.

Den kuror teutomcuZ kannten schon die Römer. Am interessantesten aber
ist folgendes: die Slawen übernehmen den Begriff und Namen des Königs von
den Deutschen: inne-i zu deutsch KuninZ. Die Geschichte bestätigt, daß die
Slawen Deutsche zu Herrschern nahmen, die ersten russischen Fürsten Oleg, Igor,
Rurik sind Normannen, Schweden. Die slawische Mythologie ist ganz bäuerisch:
Dazdbog. Svarog, Vesna, Laba. Die Germanen haben kriegerische Gottheiten
und leiten ihre Heroen von Göttern her (Siegfried), während die Slawen sie
aus den Reihen der Knechte nehmen: Premysl. Piast. Am besten hat Bruckner
diese seine Meinung in seiner Geschichte der polnischen Literatur erörtert. Die
Polen des Mittelalters sind nach ihm echte Feldleute, unverdrossene Ackerbauer.
Hirten. Bienenzüchter, sie leben mäßig, bescheiden und ruhig, in slawischer
Freiheit und Gleichheit, fern von den Einfallsstraßen der Ostvölker, fern von
den alten Hauptadern des Verkehrs, unbehelligt und niemanden behelligend
durch viele Jahrhunderte. Keine Kämpfe und Angriffe, nicht einmal erbitterte
Grenzfehden weckten die Energie des Volkes oder beeinflußten seine Tradition,
die ebenso wie in Böhmen -- anders wie bei Russen und Südslawen -- ohne
epische Überlieferungen und Sagen blieb. Innig hängen sie am eigenen Boden,
halten an allem Hergebrachten zäh fest, sind gastfrei, tanz- und liedeslustig,
sorglos und lässig, kräftig und gesund die Männer, zarter die Frauen, so ver¬
bringen diese Bier- und Mettrinker viele Jahrhunderte. Besonders stark war
ihr Familiensinn ausgeprägt, mäßig die Polygamie, die Frau war keine Sklavin,
sondern eine Gefährtin des Mannes und neigte stark zur Selbständigkeit. Die
Macht des Familicuältesten, zumal wenn Familien sich nicht abtrennten, sondern
weiter zusammen hausten, war bedeutend.

Das polnische Volk hat nichts von jenen Gewissenskämpfen durchlebt, die
dem tschechischen ein eigenartiges "deutsches", protestantisches Antlitz gaben. Die
Polen häufen vielmehr den ganzen Unsinn der heidnisch - christlichen Jesuiten-
kultur bei sich an. Ohne dem religiösen Einflüsse Rechnung zu tragen und ohne
daran zu denken, daß die Polen einzig darum dem fernen französischen Volke


Das slawische Kulturproblem

geschieht wie im Halbdunkel, ohne Losungswort, ohne Waffenklirren. ohne die
Nachbarn aufzuschrecken. Die Wörter, welche Waffen bezeichnen, sind nicht
slawisch, sondern germanisch, gotisch, solche aber, die der Landwirtschaft dienen,
entlehnen die Deutschen von den Slawen, z. B. stammt das deutsche Wort Pflug vom
slawischen pIuZ. Die Namen slawischer Stämme sind Bauern- und Ortsnamen:
„Polani". weil sie auf dem Felde leben. „Drewjani" ,weil sie im Walde leben.
„Pomorjani". weil sie am Meere leben; die Deutschen hingegen haben kriege¬
rische Namen. Sachs (von einer Art Messer). Frank (von der Lanze). Got
(vom Handeln). Vandal und soch bedeuten Verbindlichkeit und Freiheit.
Alaman ist ein Verbündeter. Markoman ein Grenzer. Sogar die Frauennamen
sind bei den Germanen kriegerisch. Tacitus erzählt von deutschen Amazonen —
Hildegild. Mathild. Brunhild (bild —Held), Haduwig (wig — Kühnheit) sind
bekannte Namen germanischer Walküren.

Den kuror teutomcuZ kannten schon die Römer. Am interessantesten aber
ist folgendes: die Slawen übernehmen den Begriff und Namen des Königs von
den Deutschen: inne-i zu deutsch KuninZ. Die Geschichte bestätigt, daß die
Slawen Deutsche zu Herrschern nahmen, die ersten russischen Fürsten Oleg, Igor,
Rurik sind Normannen, Schweden. Die slawische Mythologie ist ganz bäuerisch:
Dazdbog. Svarog, Vesna, Laba. Die Germanen haben kriegerische Gottheiten
und leiten ihre Heroen von Göttern her (Siegfried), während die Slawen sie
aus den Reihen der Knechte nehmen: Premysl. Piast. Am besten hat Bruckner
diese seine Meinung in seiner Geschichte der polnischen Literatur erörtert. Die
Polen des Mittelalters sind nach ihm echte Feldleute, unverdrossene Ackerbauer.
Hirten. Bienenzüchter, sie leben mäßig, bescheiden und ruhig, in slawischer
Freiheit und Gleichheit, fern von den Einfallsstraßen der Ostvölker, fern von
den alten Hauptadern des Verkehrs, unbehelligt und niemanden behelligend
durch viele Jahrhunderte. Keine Kämpfe und Angriffe, nicht einmal erbitterte
Grenzfehden weckten die Energie des Volkes oder beeinflußten seine Tradition,
die ebenso wie in Böhmen — anders wie bei Russen und Südslawen — ohne
epische Überlieferungen und Sagen blieb. Innig hängen sie am eigenen Boden,
halten an allem Hergebrachten zäh fest, sind gastfrei, tanz- und liedeslustig,
sorglos und lässig, kräftig und gesund die Männer, zarter die Frauen, so ver¬
bringen diese Bier- und Mettrinker viele Jahrhunderte. Besonders stark war
ihr Familiensinn ausgeprägt, mäßig die Polygamie, die Frau war keine Sklavin,
sondern eine Gefährtin des Mannes und neigte stark zur Selbständigkeit. Die
Macht des Familicuältesten, zumal wenn Familien sich nicht abtrennten, sondern
weiter zusammen hausten, war bedeutend.

Das polnische Volk hat nichts von jenen Gewissenskämpfen durchlebt, die
dem tschechischen ein eigenartiges „deutsches", protestantisches Antlitz gaben. Die
Polen häufen vielmehr den ganzen Unsinn der heidnisch - christlichen Jesuiten-
kultur bei sich an. Ohne dem religiösen Einflüsse Rechnung zu tragen und ohne
daran zu denken, daß die Polen einzig darum dem fernen französischen Volke


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[0439] Das slawische Kulturproblem geschieht wie im Halbdunkel, ohne Losungswort, ohne Waffenklirren. ohne die Nachbarn aufzuschrecken. Die Wörter, welche Waffen bezeichnen, sind nicht slawisch, sondern germanisch, gotisch, solche aber, die der Landwirtschaft dienen, entlehnen die Deutschen von den Slawen, z. B. stammt das deutsche Wort Pflug vom slawischen pIuZ. Die Namen slawischer Stämme sind Bauern- und Ortsnamen: „Polani". weil sie auf dem Felde leben. „Drewjani" ,weil sie im Walde leben. „Pomorjani". weil sie am Meere leben; die Deutschen hingegen haben kriege¬ rische Namen. Sachs (von einer Art Messer). Frank (von der Lanze). Got (vom Handeln). Vandal und soch bedeuten Verbindlichkeit und Freiheit. Alaman ist ein Verbündeter. Markoman ein Grenzer. Sogar die Frauennamen sind bei den Germanen kriegerisch. Tacitus erzählt von deutschen Amazonen — Hildegild. Mathild. Brunhild (bild —Held), Haduwig (wig — Kühnheit) sind bekannte Namen germanischer Walküren. Den kuror teutomcuZ kannten schon die Römer. Am interessantesten aber ist folgendes: die Slawen übernehmen den Begriff und Namen des Königs von den Deutschen: inne-i zu deutsch KuninZ. Die Geschichte bestätigt, daß die Slawen Deutsche zu Herrschern nahmen, die ersten russischen Fürsten Oleg, Igor, Rurik sind Normannen, Schweden. Die slawische Mythologie ist ganz bäuerisch: Dazdbog. Svarog, Vesna, Laba. Die Germanen haben kriegerische Gottheiten und leiten ihre Heroen von Göttern her (Siegfried), während die Slawen sie aus den Reihen der Knechte nehmen: Premysl. Piast. Am besten hat Bruckner diese seine Meinung in seiner Geschichte der polnischen Literatur erörtert. Die Polen des Mittelalters sind nach ihm echte Feldleute, unverdrossene Ackerbauer. Hirten. Bienenzüchter, sie leben mäßig, bescheiden und ruhig, in slawischer Freiheit und Gleichheit, fern von den Einfallsstraßen der Ostvölker, fern von den alten Hauptadern des Verkehrs, unbehelligt und niemanden behelligend durch viele Jahrhunderte. Keine Kämpfe und Angriffe, nicht einmal erbitterte Grenzfehden weckten die Energie des Volkes oder beeinflußten seine Tradition, die ebenso wie in Böhmen — anders wie bei Russen und Südslawen — ohne epische Überlieferungen und Sagen blieb. Innig hängen sie am eigenen Boden, halten an allem Hergebrachten zäh fest, sind gastfrei, tanz- und liedeslustig, sorglos und lässig, kräftig und gesund die Männer, zarter die Frauen, so ver¬ bringen diese Bier- und Mettrinker viele Jahrhunderte. Besonders stark war ihr Familiensinn ausgeprägt, mäßig die Polygamie, die Frau war keine Sklavin, sondern eine Gefährtin des Mannes und neigte stark zur Selbständigkeit. Die Macht des Familicuältesten, zumal wenn Familien sich nicht abtrennten, sondern weiter zusammen hausten, war bedeutend. Das polnische Volk hat nichts von jenen Gewissenskämpfen durchlebt, die dem tschechischen ein eigenartiges „deutsches", protestantisches Antlitz gaben. Die Polen häufen vielmehr den ganzen Unsinn der heidnisch - christlichen Jesuiten- kultur bei sich an. Ohne dem religiösen Einflüsse Rechnung zu tragen und ohne daran zu denken, daß die Polen einzig darum dem fernen französischen Volke

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/439>, abgerufen am 28.07.2024.