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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Das slawische Uulturxroblem

allem im Familien verband. Ein Staat, in dem vertragsmäßig gebundene ein¬
zelne regieren, entwickelt sich anders als ein Staat vertragloser Verwandtschafts¬
verbände.

Der Feudalismus hat die vorhistorischen Erbtümer zugunsten der modernen
Monarchie bearbeitet, während umgekehrt die Einrichtung der Verwandt¬
schaftsverbände sich zum Schaden der modernen Staatsform erhalten hat. Die
Hauptursache dieses Gegensatzes ist in der geographischen Lage Polens dem
Westen gegenüber einigermaßen begründet. Deutschland lag dem Zentrum der
westlichen Kultur, Rom, näher als Polen. Tabellarisch läßt sich der deutsche
Typus gegen den polnischen folgendermaßen ausdrücken:


[Beginn Spaltensatz]
Polen:
Die Masse, die Gruppe.
Versammelte.
Eudokratie, Eudoarchie.
Regierung Einheimischer.
Demokratie (Familienwappen).
Verhältnis zu Rom gefühlsmäßig.
Die Krone schwach.
Sehr stürmischer Individualismus.

[Spaltenumbruch]
Deutsche:
Ein einzelner, eine Einheit.
Einzelne.
Feudalismus, der die Mutterschafts¬
faktoren stärkt,
Exokratie, Exoarchie.
Regierung Fremder (der Sachsen usw.).
Aristokratie (Persönliche Wappen).
Verhältnis zu Rom verstandesmäßig.
Die Krone stark.
Einordnung in die Gesellschaft.

[Ende Spaltensatz]

Dies das Resultat, zu dem Kochanowski auf Grund soziologischer Studien
im Rheingau und den polnischen Gauen an der Weichsel kommt.

Interessant ist es, daß der Pole Gumplowicz, der jüdischer Herkunft ist,
in der Soziologie mit einer ähnlichen Theorie Erfolg hatte: der Staat entsteht
nur durch Gewalttaten, die von mehreren einzelnen in der Masse verübt werden.
Gumplowicz war der Meinung, daß der kroatische Staat wie der russische, bul¬
garische, magyarische durch den Einbruch fremder Herren entstanden ist. Kocha¬
nowski behauptet von den Polen, daß sie selbst aus sich heraus einen Staat
schufen, der aber eben deswegen auch zugrunde ging.

Alexander Bruckner. der bekannte polnische Literarhistoriker, hat wieder
eine eigene Auffassung von derselben Tragödie. Er entwickelt seine Gedanken
in einer Weise, die ein wenig an Herder erinnert. Die Deutschen betrachtet er
als Eroberer und Sieger, die Slawen und Finnen als Opfer der deutschen
Übermacht. Schon Tacitus betont, daß die Nord- und Ostgermanen Treue
und Gehorsam gegen ihre Könige und Heerführer bewiesen; in dieser Ergebenheit
birgt sich das Geheimnis der großen deutschen Erfolge. Ganz anders ist es bei
den Slawen. Sie dringen nicht in organisierten und von Führern befehligten
Scharen, sondern in Massen, demokratisch, anarchistisch vor, ohne Plan und
System, indem sie dem bloßen Drucke nachgeben. Die Getriebener treiben
andere vor sich her und reißen Land an sich, solange es welches gibt. All das


Das slawische Uulturxroblem

allem im Familien verband. Ein Staat, in dem vertragsmäßig gebundene ein¬
zelne regieren, entwickelt sich anders als ein Staat vertragloser Verwandtschafts¬
verbände.

Der Feudalismus hat die vorhistorischen Erbtümer zugunsten der modernen
Monarchie bearbeitet, während umgekehrt die Einrichtung der Verwandt¬
schaftsverbände sich zum Schaden der modernen Staatsform erhalten hat. Die
Hauptursache dieses Gegensatzes ist in der geographischen Lage Polens dem
Westen gegenüber einigermaßen begründet. Deutschland lag dem Zentrum der
westlichen Kultur, Rom, näher als Polen. Tabellarisch läßt sich der deutsche
Typus gegen den polnischen folgendermaßen ausdrücken:


[Beginn Spaltensatz]
Polen:
Die Masse, die Gruppe.
Versammelte.
Eudokratie, Eudoarchie.
Regierung Einheimischer.
Demokratie (Familienwappen).
Verhältnis zu Rom gefühlsmäßig.
Die Krone schwach.
Sehr stürmischer Individualismus.

[Spaltenumbruch]
Deutsche:
Ein einzelner, eine Einheit.
Einzelne.
Feudalismus, der die Mutterschafts¬
faktoren stärkt,
Exokratie, Exoarchie.
Regierung Fremder (der Sachsen usw.).
Aristokratie (Persönliche Wappen).
Verhältnis zu Rom verstandesmäßig.
Die Krone stark.
Einordnung in die Gesellschaft.

[Ende Spaltensatz]

Dies das Resultat, zu dem Kochanowski auf Grund soziologischer Studien
im Rheingau und den polnischen Gauen an der Weichsel kommt.

Interessant ist es, daß der Pole Gumplowicz, der jüdischer Herkunft ist,
in der Soziologie mit einer ähnlichen Theorie Erfolg hatte: der Staat entsteht
nur durch Gewalttaten, die von mehreren einzelnen in der Masse verübt werden.
Gumplowicz war der Meinung, daß der kroatische Staat wie der russische, bul¬
garische, magyarische durch den Einbruch fremder Herren entstanden ist. Kocha¬
nowski behauptet von den Polen, daß sie selbst aus sich heraus einen Staat
schufen, der aber eben deswegen auch zugrunde ging.

Alexander Bruckner. der bekannte polnische Literarhistoriker, hat wieder
eine eigene Auffassung von derselben Tragödie. Er entwickelt seine Gedanken
in einer Weise, die ein wenig an Herder erinnert. Die Deutschen betrachtet er
als Eroberer und Sieger, die Slawen und Finnen als Opfer der deutschen
Übermacht. Schon Tacitus betont, daß die Nord- und Ostgermanen Treue
und Gehorsam gegen ihre Könige und Heerführer bewiesen; in dieser Ergebenheit
birgt sich das Geheimnis der großen deutschen Erfolge. Ganz anders ist es bei
den Slawen. Sie dringen nicht in organisierten und von Führern befehligten
Scharen, sondern in Massen, demokratisch, anarchistisch vor, ohne Plan und
System, indem sie dem bloßen Drucke nachgeben. Die Getriebener treiben
andere vor sich her und reißen Land an sich, solange es welches gibt. All das


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[0438] Das slawische Uulturxroblem allem im Familien verband. Ein Staat, in dem vertragsmäßig gebundene ein¬ zelne regieren, entwickelt sich anders als ein Staat vertragloser Verwandtschafts¬ verbände. Der Feudalismus hat die vorhistorischen Erbtümer zugunsten der modernen Monarchie bearbeitet, während umgekehrt die Einrichtung der Verwandt¬ schaftsverbände sich zum Schaden der modernen Staatsform erhalten hat. Die Hauptursache dieses Gegensatzes ist in der geographischen Lage Polens dem Westen gegenüber einigermaßen begründet. Deutschland lag dem Zentrum der westlichen Kultur, Rom, näher als Polen. Tabellarisch läßt sich der deutsche Typus gegen den polnischen folgendermaßen ausdrücken: Polen: Die Masse, die Gruppe. Versammelte. Eudokratie, Eudoarchie. Regierung Einheimischer. Demokratie (Familienwappen). Verhältnis zu Rom gefühlsmäßig. Die Krone schwach. Sehr stürmischer Individualismus. Deutsche: Ein einzelner, eine Einheit. Einzelne. Feudalismus, der die Mutterschafts¬ faktoren stärkt, Exokratie, Exoarchie. Regierung Fremder (der Sachsen usw.). Aristokratie (Persönliche Wappen). Verhältnis zu Rom verstandesmäßig. Die Krone stark. Einordnung in die Gesellschaft. Dies das Resultat, zu dem Kochanowski auf Grund soziologischer Studien im Rheingau und den polnischen Gauen an der Weichsel kommt. Interessant ist es, daß der Pole Gumplowicz, der jüdischer Herkunft ist, in der Soziologie mit einer ähnlichen Theorie Erfolg hatte: der Staat entsteht nur durch Gewalttaten, die von mehreren einzelnen in der Masse verübt werden. Gumplowicz war der Meinung, daß der kroatische Staat wie der russische, bul¬ garische, magyarische durch den Einbruch fremder Herren entstanden ist. Kocha¬ nowski behauptet von den Polen, daß sie selbst aus sich heraus einen Staat schufen, der aber eben deswegen auch zugrunde ging. Alexander Bruckner. der bekannte polnische Literarhistoriker, hat wieder eine eigene Auffassung von derselben Tragödie. Er entwickelt seine Gedanken in einer Weise, die ein wenig an Herder erinnert. Die Deutschen betrachtet er als Eroberer und Sieger, die Slawen und Finnen als Opfer der deutschen Übermacht. Schon Tacitus betont, daß die Nord- und Ostgermanen Treue und Gehorsam gegen ihre Könige und Heerführer bewiesen; in dieser Ergebenheit birgt sich das Geheimnis der großen deutschen Erfolge. Ganz anders ist es bei den Slawen. Sie dringen nicht in organisierten und von Führern befehligten Scharen, sondern in Massen, demokratisch, anarchistisch vor, ohne Plan und System, indem sie dem bloßen Drucke nachgeben. Die Getriebener treiben andere vor sich her und reißen Land an sich, solange es welches gibt. All das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/438>, abgerufen am 28.07.2024.