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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Das slawische Aulturproblem
von Dr. Dragutin prohaska
III.
Der polnische Nationulcharakter

Von den Polen sprechen wir selten, aber wenn wir es tun, so tun wir
es "mit dem Herzen". Mit dem Herzen, nicht mit dem Verstand, läßt sich das
polnische Volk begreifen und lieben. Die Tschechen hingegen liebt man mehr
mit dem Verstände. Mit dem Verstand kann man aber wieder nicht eigentlich
lieben I Unsere Zuneigung erwacht unbegründet, spontan. Wir vermögen den
tschechischen Kulturgrad wert zu schätzen, aber um seinetwillen ist uns das
tschechische Volk nicht wert. Die Tschechen wissen das wohl. Von unseren
eigenen Studenten in Prag hörte ich, daß ihnen die "Penni" nicht sympathisch
seien. Der "Pemac" ist bei uns eine komische Figur. Die Polen erscheinen
niemandem komisch. Sie werden gehaßt oder geliebt. Sie haben Züge von
Größe und Tragik. Der Russe, der aus politischen Gründen dem "Polaken"
gram ist, glüht in religiösem Fanatismus. Er haßt die jesuitische Moral des
Polaken. Die Deutschen hassen die polnische UnWirtschaftlichkeit. "Polnische
Wirtschaft" ist in Berlin ein geflügeltes Wort. Aber an den Idealismus und
das Herrentum des polnischen Volkes rührt niemand. Im Vergleich mit dem
Tschechen ist dies der Don Quichote neben Sancho Pansa.

Für mich ist das Bild der Muttergottes von Ostrobram mit ihrem "silbernen
Rock und goldenen Knöpfen", das auf tiefem Saphirgrund leuchtet, oder auch
das Riesenbild der Muttergottes von Czenstochau mit der Krone der polnischen
Königin und dem Kind, das die Hand zum Segen erhebt, das Symbol des
polnischen Volkes. Vor dieser Muttergottes liegt das Volk mit erglühter Stirne,
mit phantastischen Gedanken gefesselt am Boden und träumt von dem Wunder,
das es erlösen wird, von Wernyhora, dem Königsohn Marko, durch den Polen
auferstehen wird.

Solche Träumereien haben dem Polen der Gegenwart verfeinerte Nerven,
den Flammenblick, das hohe historische Pathos und Unbeugsamkeit gegeben.
In: Gedanken an seine königliche Vergangenheit hält das Volk den Atem an
und lauscht gespannt in der Totenstille der schicksalsschwangeren Nacht auf den
ersten Laut, den ersten Schrei der Freiheit, das Signal zu einer neuen Erhebung.

Und während das Gewissen der Nation in den bitteren Qualen einer
messtanistischen Idee am Kreuze hängt, ist die Unterschicht des Volkes, die




Das slawische Aulturproblem
von Dr. Dragutin prohaska
III.
Der polnische Nationulcharakter

Von den Polen sprechen wir selten, aber wenn wir es tun, so tun wir
es „mit dem Herzen". Mit dem Herzen, nicht mit dem Verstand, läßt sich das
polnische Volk begreifen und lieben. Die Tschechen hingegen liebt man mehr
mit dem Verstände. Mit dem Verstand kann man aber wieder nicht eigentlich
lieben I Unsere Zuneigung erwacht unbegründet, spontan. Wir vermögen den
tschechischen Kulturgrad wert zu schätzen, aber um seinetwillen ist uns das
tschechische Volk nicht wert. Die Tschechen wissen das wohl. Von unseren
eigenen Studenten in Prag hörte ich, daß ihnen die „Penni" nicht sympathisch
seien. Der „Pemac" ist bei uns eine komische Figur. Die Polen erscheinen
niemandem komisch. Sie werden gehaßt oder geliebt. Sie haben Züge von
Größe und Tragik. Der Russe, der aus politischen Gründen dem „Polaken"
gram ist, glüht in religiösem Fanatismus. Er haßt die jesuitische Moral des
Polaken. Die Deutschen hassen die polnische UnWirtschaftlichkeit. „Polnische
Wirtschaft" ist in Berlin ein geflügeltes Wort. Aber an den Idealismus und
das Herrentum des polnischen Volkes rührt niemand. Im Vergleich mit dem
Tschechen ist dies der Don Quichote neben Sancho Pansa.

Für mich ist das Bild der Muttergottes von Ostrobram mit ihrem „silbernen
Rock und goldenen Knöpfen", das auf tiefem Saphirgrund leuchtet, oder auch
das Riesenbild der Muttergottes von Czenstochau mit der Krone der polnischen
Königin und dem Kind, das die Hand zum Segen erhebt, das Symbol des
polnischen Volkes. Vor dieser Muttergottes liegt das Volk mit erglühter Stirne,
mit phantastischen Gedanken gefesselt am Boden und träumt von dem Wunder,
das es erlösen wird, von Wernyhora, dem Königsohn Marko, durch den Polen
auferstehen wird.

Solche Träumereien haben dem Polen der Gegenwart verfeinerte Nerven,
den Flammenblick, das hohe historische Pathos und Unbeugsamkeit gegeben.
In: Gedanken an seine königliche Vergangenheit hält das Volk den Atem an
und lauscht gespannt in der Totenstille der schicksalsschwangeren Nacht auf den
ersten Laut, den ersten Schrei der Freiheit, das Signal zu einer neuen Erhebung.

Und während das Gewissen der Nation in den bitteren Qualen einer
messtanistischen Idee am Kreuze hängt, ist die Unterschicht des Volkes, die


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[0436] [Abbildung] Das slawische Aulturproblem von Dr. Dragutin prohaska III. Der polnische Nationulcharakter Von den Polen sprechen wir selten, aber wenn wir es tun, so tun wir es „mit dem Herzen". Mit dem Herzen, nicht mit dem Verstand, läßt sich das polnische Volk begreifen und lieben. Die Tschechen hingegen liebt man mehr mit dem Verstände. Mit dem Verstand kann man aber wieder nicht eigentlich lieben I Unsere Zuneigung erwacht unbegründet, spontan. Wir vermögen den tschechischen Kulturgrad wert zu schätzen, aber um seinetwillen ist uns das tschechische Volk nicht wert. Die Tschechen wissen das wohl. Von unseren eigenen Studenten in Prag hörte ich, daß ihnen die „Penni" nicht sympathisch seien. Der „Pemac" ist bei uns eine komische Figur. Die Polen erscheinen niemandem komisch. Sie werden gehaßt oder geliebt. Sie haben Züge von Größe und Tragik. Der Russe, der aus politischen Gründen dem „Polaken" gram ist, glüht in religiösem Fanatismus. Er haßt die jesuitische Moral des Polaken. Die Deutschen hassen die polnische UnWirtschaftlichkeit. „Polnische Wirtschaft" ist in Berlin ein geflügeltes Wort. Aber an den Idealismus und das Herrentum des polnischen Volkes rührt niemand. Im Vergleich mit dem Tschechen ist dies der Don Quichote neben Sancho Pansa. Für mich ist das Bild der Muttergottes von Ostrobram mit ihrem „silbernen Rock und goldenen Knöpfen", das auf tiefem Saphirgrund leuchtet, oder auch das Riesenbild der Muttergottes von Czenstochau mit der Krone der polnischen Königin und dem Kind, das die Hand zum Segen erhebt, das Symbol des polnischen Volkes. Vor dieser Muttergottes liegt das Volk mit erglühter Stirne, mit phantastischen Gedanken gefesselt am Boden und träumt von dem Wunder, das es erlösen wird, von Wernyhora, dem Königsohn Marko, durch den Polen auferstehen wird. Solche Träumereien haben dem Polen der Gegenwart verfeinerte Nerven, den Flammenblick, das hohe historische Pathos und Unbeugsamkeit gegeben. In: Gedanken an seine königliche Vergangenheit hält das Volk den Atem an und lauscht gespannt in der Totenstille der schicksalsschwangeren Nacht auf den ersten Laut, den ersten Schrei der Freiheit, das Signal zu einer neuen Erhebung. Und während das Gewissen der Nation in den bitteren Qualen einer messtanistischen Idee am Kreuze hängt, ist die Unterschicht des Volkes, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/436>, abgerufen am 13.11.2024.