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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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England und die elsciß-lothringische Frage

wenig Ursache, sich nach einer Verwaltung zurückzusehnen, deren Beamte von
fremder Abstammung waren, die kein Wort von der Sprache des Bauern
verstanden, und die ihn immer verachteten, weil er die ihrige nicht verstand"
(Capper S. 24). "Die echte Mutter war Germania, die sich 1870 in
dem Wonnegedanken berauschte, ihre seit bald 200 Jahren im Auslande
dienende Tochter wieder in die Arme schließen zu können, und die sich nur mit
blutendem Herzen zu harten Maßregeln gegen das für I.ibertS, IZZalitö und
I^ratsrnitö schwärmende Kind entschließen konnte" (Capper S. 33). Wohl
mag die elsässische Bevölkerung einige volkswirtschaftliche Vorteile der französischen
Herrschaft, wie die Pflege des Wein- und Tabakbaus, ungern entbehren, aber
das Verlorene ist ihr von Deutschland reichlich ersetzt worden, und sie hat
dafür Güter eingetauscht, die ihr Frankreich nimmermehr bieten konnte: eine
gerechte und gewissenhafte Verwaltung und Rechtspflege. "Sie erkennt an, daß
sich die deutsche Regierung ihrer materiellen Interessen fürsorglich und wohl¬
wollend annimmt, und vermag trotz der schlechten Zeiten und der drückenden
Militärlasten noch Ersparnisse zurückzulegen. Nichts fürchtet sie so sehr als
einen Krieg, der ihrem Wohlbefinden ein jähes Ende bereiten könnte, und der,
wenn für Deutschland nachteilig, ihr nichts weiter gewähren würde als den sehr
zweifelhaften Trost, wieder wie ihre Vätern zu der edlen französischen Nation
zu gehören" (Capper S. 24). Trotz des Bestehens einer starken und eifrigen
französischen Partei ist die Hauptmasse der Bewohner nicht unzufrieden mit
der deutschen Herrschaft und will nichts mehr von einer Rückkehr der fran¬
zösischen wissen, wenngleich sie noch häufig ihre französischen Sympathien zur
Schau trägt. "An den Gefühlsäußerungen der Elsässer für die Franzosen ist
viel Schein und Gemachtes Zreat cleal ot KumbuA auel unrealit^). Sie
besuchen ihre Freunde in Paris und machen ein recht betrübtes Gesicht, wenn
sie auf ihre Trennung von Frankreich zu sprechen kommen, aber im innersten
Grunde ihres Herzens sind sie nicht so ganz unglücklich darüber, unter einer
starken und dauerhaften Regierung zu stehen, wie es die deutsche ist. Ebenso
ist viel Unechtes und Gemachtes in der zur Schau getragenen Teilnahme des
französischen Volkes sür die Elsässer Emigranten, und oft genug merkt man
wie die Eifersucht durchschimmert gegen die lästigen Konkurrenten, denen man
ihre einfluß- und gewinnreiche Stellung nicht gönnen mag" (Capper,
S. 32).

Damit ist die eine Begründung der französischen Ansprüche auf Elsaß-
Lothringen genügend widerlegt. Viele treffende Bemerkungen der beiden Eng¬
länder über die Nationalfehler der Franzosen übergehe ich aus Mangel an
Raum, um den Leser noch mit der Hauptsache, der Beurteilung des russisch-
sranzösischen Bündnisses, bekannt zu machen. Dawson kann nicht umhin, der
französischen Nation seine Bewunderung auszusprechen, daß sie sich um keinen
Preis für besiegt erklären wolle und in ihrer militärischen Wiedergeburt große
Fortschritte gemacht habe, verkennt aber keineswegs die Ausartung des franzö-


England und die elsciß-lothringische Frage

wenig Ursache, sich nach einer Verwaltung zurückzusehnen, deren Beamte von
fremder Abstammung waren, die kein Wort von der Sprache des Bauern
verstanden, und die ihn immer verachteten, weil er die ihrige nicht verstand"
(Capper S. 24). „Die echte Mutter war Germania, die sich 1870 in
dem Wonnegedanken berauschte, ihre seit bald 200 Jahren im Auslande
dienende Tochter wieder in die Arme schließen zu können, und die sich nur mit
blutendem Herzen zu harten Maßregeln gegen das für I.ibertS, IZZalitö und
I^ratsrnitö schwärmende Kind entschließen konnte" (Capper S. 33). Wohl
mag die elsässische Bevölkerung einige volkswirtschaftliche Vorteile der französischen
Herrschaft, wie die Pflege des Wein- und Tabakbaus, ungern entbehren, aber
das Verlorene ist ihr von Deutschland reichlich ersetzt worden, und sie hat
dafür Güter eingetauscht, die ihr Frankreich nimmermehr bieten konnte: eine
gerechte und gewissenhafte Verwaltung und Rechtspflege. „Sie erkennt an, daß
sich die deutsche Regierung ihrer materiellen Interessen fürsorglich und wohl¬
wollend annimmt, und vermag trotz der schlechten Zeiten und der drückenden
Militärlasten noch Ersparnisse zurückzulegen. Nichts fürchtet sie so sehr als
einen Krieg, der ihrem Wohlbefinden ein jähes Ende bereiten könnte, und der,
wenn für Deutschland nachteilig, ihr nichts weiter gewähren würde als den sehr
zweifelhaften Trost, wieder wie ihre Vätern zu der edlen französischen Nation
zu gehören" (Capper S. 24). Trotz des Bestehens einer starken und eifrigen
französischen Partei ist die Hauptmasse der Bewohner nicht unzufrieden mit
der deutschen Herrschaft und will nichts mehr von einer Rückkehr der fran¬
zösischen wissen, wenngleich sie noch häufig ihre französischen Sympathien zur
Schau trägt. „An den Gefühlsäußerungen der Elsässer für die Franzosen ist
viel Schein und Gemachtes Zreat cleal ot KumbuA auel unrealit^). Sie
besuchen ihre Freunde in Paris und machen ein recht betrübtes Gesicht, wenn
sie auf ihre Trennung von Frankreich zu sprechen kommen, aber im innersten
Grunde ihres Herzens sind sie nicht so ganz unglücklich darüber, unter einer
starken und dauerhaften Regierung zu stehen, wie es die deutsche ist. Ebenso
ist viel Unechtes und Gemachtes in der zur Schau getragenen Teilnahme des
französischen Volkes sür die Elsässer Emigranten, und oft genug merkt man
wie die Eifersucht durchschimmert gegen die lästigen Konkurrenten, denen man
ihre einfluß- und gewinnreiche Stellung nicht gönnen mag" (Capper,
S. 32).

Damit ist die eine Begründung der französischen Ansprüche auf Elsaß-
Lothringen genügend widerlegt. Viele treffende Bemerkungen der beiden Eng¬
länder über die Nationalfehler der Franzosen übergehe ich aus Mangel an
Raum, um den Leser noch mit der Hauptsache, der Beurteilung des russisch-
sranzösischen Bündnisses, bekannt zu machen. Dawson kann nicht umhin, der
französischen Nation seine Bewunderung auszusprechen, daß sie sich um keinen
Preis für besiegt erklären wolle und in ihrer militärischen Wiedergeburt große
Fortschritte gemacht habe, verkennt aber keineswegs die Ausartung des franzö-


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[0434] England und die elsciß-lothringische Frage wenig Ursache, sich nach einer Verwaltung zurückzusehnen, deren Beamte von fremder Abstammung waren, die kein Wort von der Sprache des Bauern verstanden, und die ihn immer verachteten, weil er die ihrige nicht verstand" (Capper S. 24). „Die echte Mutter war Germania, die sich 1870 in dem Wonnegedanken berauschte, ihre seit bald 200 Jahren im Auslande dienende Tochter wieder in die Arme schließen zu können, und die sich nur mit blutendem Herzen zu harten Maßregeln gegen das für I.ibertS, IZZalitö und I^ratsrnitö schwärmende Kind entschließen konnte" (Capper S. 33). Wohl mag die elsässische Bevölkerung einige volkswirtschaftliche Vorteile der französischen Herrschaft, wie die Pflege des Wein- und Tabakbaus, ungern entbehren, aber das Verlorene ist ihr von Deutschland reichlich ersetzt worden, und sie hat dafür Güter eingetauscht, die ihr Frankreich nimmermehr bieten konnte: eine gerechte und gewissenhafte Verwaltung und Rechtspflege. „Sie erkennt an, daß sich die deutsche Regierung ihrer materiellen Interessen fürsorglich und wohl¬ wollend annimmt, und vermag trotz der schlechten Zeiten und der drückenden Militärlasten noch Ersparnisse zurückzulegen. Nichts fürchtet sie so sehr als einen Krieg, der ihrem Wohlbefinden ein jähes Ende bereiten könnte, und der, wenn für Deutschland nachteilig, ihr nichts weiter gewähren würde als den sehr zweifelhaften Trost, wieder wie ihre Vätern zu der edlen französischen Nation zu gehören" (Capper S. 24). Trotz des Bestehens einer starken und eifrigen französischen Partei ist die Hauptmasse der Bewohner nicht unzufrieden mit der deutschen Herrschaft und will nichts mehr von einer Rückkehr der fran¬ zösischen wissen, wenngleich sie noch häufig ihre französischen Sympathien zur Schau trägt. „An den Gefühlsäußerungen der Elsässer für die Franzosen ist viel Schein und Gemachtes Zreat cleal ot KumbuA auel unrealit^). Sie besuchen ihre Freunde in Paris und machen ein recht betrübtes Gesicht, wenn sie auf ihre Trennung von Frankreich zu sprechen kommen, aber im innersten Grunde ihres Herzens sind sie nicht so ganz unglücklich darüber, unter einer starken und dauerhaften Regierung zu stehen, wie es die deutsche ist. Ebenso ist viel Unechtes und Gemachtes in der zur Schau getragenen Teilnahme des französischen Volkes sür die Elsässer Emigranten, und oft genug merkt man wie die Eifersucht durchschimmert gegen die lästigen Konkurrenten, denen man ihre einfluß- und gewinnreiche Stellung nicht gönnen mag" (Capper, S. 32). Damit ist die eine Begründung der französischen Ansprüche auf Elsaß- Lothringen genügend widerlegt. Viele treffende Bemerkungen der beiden Eng¬ länder über die Nationalfehler der Franzosen übergehe ich aus Mangel an Raum, um den Leser noch mit der Hauptsache, der Beurteilung des russisch- sranzösischen Bündnisses, bekannt zu machen. Dawson kann nicht umhin, der französischen Nation seine Bewunderung auszusprechen, daß sie sich um keinen Preis für besiegt erklären wolle und in ihrer militärischen Wiedergeburt große Fortschritte gemacht habe, verkennt aber keineswegs die Ausartung des franzö-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/434>, abgerufen am 28.07.2024.