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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Rumänien und der Krieg

in die Psychologie des ehrgeizig aufstrebenden kleineren Staats hineindenken,
müssen wir erkennen, wie wichtig das für Rumänien war. Also in Rußland
sah man den entschlossenen diplomatischen Freund. Nicht Dankbarkeit, nicht
Sentimentalität, die im politischen Leben niemals eine dauernde Rolle spielen
kann, sondern das Gefühl, einer zielbewußter konsequent helfenden Macht gegen¬
überzustehen, mußte Rumänien verhindern, sich gegen Rußland zu erklären.
Die Rückgewinnung von Bessarabien blieb in Rumänien ein Wunsch, der nie
eingeschlafen war, auch nicht im letzten Jahre, da man mit Rußland besser
stand als je seit den bitteren Enttäuschungen des Berliner Kongresses 1878.
Aber dieser Wunsch war für die Negierung nur ein Traum, der auf die
politischen Tagesrechnungen keinen Einfluß haben durfte.

Die Summe aller dieser Erwägungen konnte nur sein: Neutralität zwischen
den großen kriegführenden Nachbarreichen. So ist denn auch in dem Kronrat,
den König Karl am 2. August in Sinaja um sich versammelte, diese Neutralität
nach langen bewegten Verhandlungen beschlossen worden. Ob Rumänien sie
aufrecht halten und sie, wenn es not tut, mit den Waffen verteidigen wird,
das hängt wesentlich davon ab, wie die Nachbarn sie auffassen. Beide hätten
dafür dankbar sein müssen. Statt dessen war Rußland enttäuscht. Das ist
für uns günstig. Aber hier werden doch erst die unberechenbaren kriegerischen
Ereignisse die Entwicklung in eine neue Bahn lenken können.

Rumäniens gegenwärtige und künftige Größe hat aber noch eine andere
Grundlage und die rumänische Politik hat deshalb eine zweite Sorge: die
Stellung als Balkanvormacht. Mit Zähigkeit, Energie, Geschick und Glück hat
sich die rumänische Regierung während der beiden letzten Jahre auf dem Balkan
eine ausschlaggebende Position geschaffen*). Nicht zuerst, aber am deutlichsten
hat sich das auf der Bukarester Friedenskonferenz 1913 erwiesen. Inzwischen
ist Rumänien bereits darüber hinausgegangen: der erste Besuch Talaats in
Rumänien in diesem Frühjahr hat die Regelung des Jnselkonflikts zwischen
der Türkei und Griechenland angebahnt. Der letzte Besuch Talaats in Sinaja
vor wenigen Tagen hat dem gleichen Zweck gedient. Es ist nicht zuviel gesagt,
wenn man behauptet, daß Rumänien zuni zweitenmal den Krieg zwischen Türken
und Griechen verhindert hat, weil es diesen Krieg nicht will. Als das Albanien,
das Europa geplant hatte, durch die Isolierung des Fürsten in Durazzo im
Mai gefährdet schien, war es Rumänien, Rumänien allein, das die internationale
Flottenaktion vor Durazzo zustande brachte, durch Intervention in England,
das nicht mittun wollte und von dessen Teilnahme alles abhing. Auch zu
Beginn des jetzigen Krieges gegen Serbien hat Rumänien eingegriffen -- wie,
das wird später einmal bekannt werden. Und hier ist die Gesahr, daß Rumänien,



*) Näheres darüber habe ich in meinen Berichten über die völkerrechtlichen Beziehungen
Rumäniens und über die Bukarest er Friedenskonferenz in dem nächstens erscheinenden Band II
von Niemeyer und Strupps Jahrbuch des Völkerrechts dargelegt.
Rumänien und der Krieg

in die Psychologie des ehrgeizig aufstrebenden kleineren Staats hineindenken,
müssen wir erkennen, wie wichtig das für Rumänien war. Also in Rußland
sah man den entschlossenen diplomatischen Freund. Nicht Dankbarkeit, nicht
Sentimentalität, die im politischen Leben niemals eine dauernde Rolle spielen
kann, sondern das Gefühl, einer zielbewußter konsequent helfenden Macht gegen¬
überzustehen, mußte Rumänien verhindern, sich gegen Rußland zu erklären.
Die Rückgewinnung von Bessarabien blieb in Rumänien ein Wunsch, der nie
eingeschlafen war, auch nicht im letzten Jahre, da man mit Rußland besser
stand als je seit den bitteren Enttäuschungen des Berliner Kongresses 1878.
Aber dieser Wunsch war für die Negierung nur ein Traum, der auf die
politischen Tagesrechnungen keinen Einfluß haben durfte.

Die Summe aller dieser Erwägungen konnte nur sein: Neutralität zwischen
den großen kriegführenden Nachbarreichen. So ist denn auch in dem Kronrat,
den König Karl am 2. August in Sinaja um sich versammelte, diese Neutralität
nach langen bewegten Verhandlungen beschlossen worden. Ob Rumänien sie
aufrecht halten und sie, wenn es not tut, mit den Waffen verteidigen wird,
das hängt wesentlich davon ab, wie die Nachbarn sie auffassen. Beide hätten
dafür dankbar sein müssen. Statt dessen war Rußland enttäuscht. Das ist
für uns günstig. Aber hier werden doch erst die unberechenbaren kriegerischen
Ereignisse die Entwicklung in eine neue Bahn lenken können.

Rumäniens gegenwärtige und künftige Größe hat aber noch eine andere
Grundlage und die rumänische Politik hat deshalb eine zweite Sorge: die
Stellung als Balkanvormacht. Mit Zähigkeit, Energie, Geschick und Glück hat
sich die rumänische Regierung während der beiden letzten Jahre auf dem Balkan
eine ausschlaggebende Position geschaffen*). Nicht zuerst, aber am deutlichsten
hat sich das auf der Bukarester Friedenskonferenz 1913 erwiesen. Inzwischen
ist Rumänien bereits darüber hinausgegangen: der erste Besuch Talaats in
Rumänien in diesem Frühjahr hat die Regelung des Jnselkonflikts zwischen
der Türkei und Griechenland angebahnt. Der letzte Besuch Talaats in Sinaja
vor wenigen Tagen hat dem gleichen Zweck gedient. Es ist nicht zuviel gesagt,
wenn man behauptet, daß Rumänien zuni zweitenmal den Krieg zwischen Türken
und Griechen verhindert hat, weil es diesen Krieg nicht will. Als das Albanien,
das Europa geplant hatte, durch die Isolierung des Fürsten in Durazzo im
Mai gefährdet schien, war es Rumänien, Rumänien allein, das die internationale
Flottenaktion vor Durazzo zustande brachte, durch Intervention in England,
das nicht mittun wollte und von dessen Teilnahme alles abhing. Auch zu
Beginn des jetzigen Krieges gegen Serbien hat Rumänien eingegriffen — wie,
das wird später einmal bekannt werden. Und hier ist die Gesahr, daß Rumänien,



*) Näheres darüber habe ich in meinen Berichten über die völkerrechtlichen Beziehungen
Rumäniens und über die Bukarest er Friedenskonferenz in dem nächstens erscheinenden Band II
von Niemeyer und Strupps Jahrbuch des Völkerrechts dargelegt.
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[0430] Rumänien und der Krieg in die Psychologie des ehrgeizig aufstrebenden kleineren Staats hineindenken, müssen wir erkennen, wie wichtig das für Rumänien war. Also in Rußland sah man den entschlossenen diplomatischen Freund. Nicht Dankbarkeit, nicht Sentimentalität, die im politischen Leben niemals eine dauernde Rolle spielen kann, sondern das Gefühl, einer zielbewußter konsequent helfenden Macht gegen¬ überzustehen, mußte Rumänien verhindern, sich gegen Rußland zu erklären. Die Rückgewinnung von Bessarabien blieb in Rumänien ein Wunsch, der nie eingeschlafen war, auch nicht im letzten Jahre, da man mit Rußland besser stand als je seit den bitteren Enttäuschungen des Berliner Kongresses 1878. Aber dieser Wunsch war für die Negierung nur ein Traum, der auf die politischen Tagesrechnungen keinen Einfluß haben durfte. Die Summe aller dieser Erwägungen konnte nur sein: Neutralität zwischen den großen kriegführenden Nachbarreichen. So ist denn auch in dem Kronrat, den König Karl am 2. August in Sinaja um sich versammelte, diese Neutralität nach langen bewegten Verhandlungen beschlossen worden. Ob Rumänien sie aufrecht halten und sie, wenn es not tut, mit den Waffen verteidigen wird, das hängt wesentlich davon ab, wie die Nachbarn sie auffassen. Beide hätten dafür dankbar sein müssen. Statt dessen war Rußland enttäuscht. Das ist für uns günstig. Aber hier werden doch erst die unberechenbaren kriegerischen Ereignisse die Entwicklung in eine neue Bahn lenken können. Rumäniens gegenwärtige und künftige Größe hat aber noch eine andere Grundlage und die rumänische Politik hat deshalb eine zweite Sorge: die Stellung als Balkanvormacht. Mit Zähigkeit, Energie, Geschick und Glück hat sich die rumänische Regierung während der beiden letzten Jahre auf dem Balkan eine ausschlaggebende Position geschaffen*). Nicht zuerst, aber am deutlichsten hat sich das auf der Bukarester Friedenskonferenz 1913 erwiesen. Inzwischen ist Rumänien bereits darüber hinausgegangen: der erste Besuch Talaats in Rumänien in diesem Frühjahr hat die Regelung des Jnselkonflikts zwischen der Türkei und Griechenland angebahnt. Der letzte Besuch Talaats in Sinaja vor wenigen Tagen hat dem gleichen Zweck gedient. Es ist nicht zuviel gesagt, wenn man behauptet, daß Rumänien zuni zweitenmal den Krieg zwischen Türken und Griechen verhindert hat, weil es diesen Krieg nicht will. Als das Albanien, das Europa geplant hatte, durch die Isolierung des Fürsten in Durazzo im Mai gefährdet schien, war es Rumänien, Rumänien allein, das die internationale Flottenaktion vor Durazzo zustande brachte, durch Intervention in England, das nicht mittun wollte und von dessen Teilnahme alles abhing. Auch zu Beginn des jetzigen Krieges gegen Serbien hat Rumänien eingegriffen — wie, das wird später einmal bekannt werden. Und hier ist die Gesahr, daß Rumänien, *) Näheres darüber habe ich in meinen Berichten über die völkerrechtlichen Beziehungen Rumäniens und über die Bukarest er Friedenskonferenz in dem nächstens erscheinenden Band II von Niemeyer und Strupps Jahrbuch des Völkerrechts dargelegt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/430>, abgerufen am 28.07.2024.