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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Petrograder Aultur

links (vom, Hotel gesehen) zu dem Denkmal des Kaisers Nikolaus, waren aus
der Botschaft drei Porträts, anscheinend russischer Herrscher, gebracht worden,
die dort auf dem Sockel aufgestellt wurden. In größeren und Heineren Gruppen
verteilte sich die Masse über den ganzen freien Platz, zum Teil mit russischen
Fahnen versehen. Sie mag etwa 5000 bis 7000 Menschen betragen haben. Das
polizeiliche Aufgebot bestand in berittenen und unberittenen Schutzleuten. Genau
ihre Zahl anzugeben ist nicht möglich, da sie zum Teil von der Menge ver¬
deckt wurden. Sie wurde im Lause der Ereignisse verstärkt. Ganz auffallend
war es jedenfalls, daß wirklich energische Angriffe auf die Ruhestörer nicht
gemacht wurden. Mir sind ein oder zwei ziemlich harmlose Attacken im
Gedächtnis, während sich das Polizeiaufgebot im allgemeinen darauf beschränkte,
einen gewissen Raum vor der Hauptfassade frei zu halten und die Morskaja
an der Seitenfront -- unvollkommen -- abzusperren. Gegen die in die Bot¬
schaft eingedrungenen Leute ist zunächst anscheinend gar nicht vorgegangen
worden. Das Bild änderte sich erst, als die Menge brennbare Stücke aus der
Botschaft auf zwei Haufen rechts vor dem Palais zusammentrug und anzündete.
Dieses Moment bildete augenscheinlich einen Vorwand sür das Eingreifen der
Feuerwehr." Ein anderer Augenzeuge versicherte, die Feuerwehr sei noch auf
der Millionnaja im Schritt angerückt. "Zu diesem Zeitpunkte wurde im rechten
Eckzimmer des untersten Geschosses der Hauptfassade von vorn betrachtet, Feuer
angelegt. Ein Vorhang am Fenster geriet in Brand. Nach dem energischen
Eingreifen zweier dort postierter Polizisten zu urteilen, die die brennenden
Vorhänge sofort herunterrissen, war man jedenfalls entschlossen, einen Brand
zu verhüten. Die Feuerwehr löschte die brennenden Haufen und spritzte erst
in Bogen von oben, dann unmittelbar in die Menge und zwang sie so, etwas
zurückzutreten. Gleichzeitig sah man in der hell erleuchteten Botschaft Polize
erscheinen, die den Pöbel energisch und wie man erkennen konnte, rasch und
glatt hinauswarf. Als Grund für die Zerstörung der Botschaft gab ein
Schutzmann an, man habe die russische Botschaft in Berlin verbrannt und die
Kaiserin-Mutter, deren Namenstag übrigens war, nicht über die Grenze gelassen.
Als drittes Argument wurde die angebliche Verhaftung des Großfürsten Konstantin
Konstantinowitsch in Deutschland angegeben."

Während diese Vorgänge sich auf dem Jsaaksplatz zutrugen, war es
einem Beamten der Botschaft gelungen, sich mit seiner Frau zu retten, indem
sie ein Zimmer mit Möbel und Betten füllten und sich selbst unter einem Bett
verkrochen. Dieser Beamte erzählt:

"Wir schlössen die schweren. Fenstervorhänge im Erdgeschoß -- oben waren
sie bereits im Laufe des Nachmittags geschlossen worden --, gleich darauf
setzte unter furchtbarem Pfeifen und Johlen ein neuer Steinhagel und Ansturm
auf das Botschaftsgebäude ein, der auch die Wachmannschaften überrannte.
Als dann schon an dem Eisengitter des Hauptportals gerüttelt wurde, zog ich
mich mit meiner Frau in die Wohnung zurück, wo wir seit dem zweiten dieses


Petrograder Aultur

links (vom, Hotel gesehen) zu dem Denkmal des Kaisers Nikolaus, waren aus
der Botschaft drei Porträts, anscheinend russischer Herrscher, gebracht worden,
die dort auf dem Sockel aufgestellt wurden. In größeren und Heineren Gruppen
verteilte sich die Masse über den ganzen freien Platz, zum Teil mit russischen
Fahnen versehen. Sie mag etwa 5000 bis 7000 Menschen betragen haben. Das
polizeiliche Aufgebot bestand in berittenen und unberittenen Schutzleuten. Genau
ihre Zahl anzugeben ist nicht möglich, da sie zum Teil von der Menge ver¬
deckt wurden. Sie wurde im Lause der Ereignisse verstärkt. Ganz auffallend
war es jedenfalls, daß wirklich energische Angriffe auf die Ruhestörer nicht
gemacht wurden. Mir sind ein oder zwei ziemlich harmlose Attacken im
Gedächtnis, während sich das Polizeiaufgebot im allgemeinen darauf beschränkte,
einen gewissen Raum vor der Hauptfassade frei zu halten und die Morskaja
an der Seitenfront — unvollkommen — abzusperren. Gegen die in die Bot¬
schaft eingedrungenen Leute ist zunächst anscheinend gar nicht vorgegangen
worden. Das Bild änderte sich erst, als die Menge brennbare Stücke aus der
Botschaft auf zwei Haufen rechts vor dem Palais zusammentrug und anzündete.
Dieses Moment bildete augenscheinlich einen Vorwand sür das Eingreifen der
Feuerwehr." Ein anderer Augenzeuge versicherte, die Feuerwehr sei noch auf
der Millionnaja im Schritt angerückt. „Zu diesem Zeitpunkte wurde im rechten
Eckzimmer des untersten Geschosses der Hauptfassade von vorn betrachtet, Feuer
angelegt. Ein Vorhang am Fenster geriet in Brand. Nach dem energischen
Eingreifen zweier dort postierter Polizisten zu urteilen, die die brennenden
Vorhänge sofort herunterrissen, war man jedenfalls entschlossen, einen Brand
zu verhüten. Die Feuerwehr löschte die brennenden Haufen und spritzte erst
in Bogen von oben, dann unmittelbar in die Menge und zwang sie so, etwas
zurückzutreten. Gleichzeitig sah man in der hell erleuchteten Botschaft Polize
erscheinen, die den Pöbel energisch und wie man erkennen konnte, rasch und
glatt hinauswarf. Als Grund für die Zerstörung der Botschaft gab ein
Schutzmann an, man habe die russische Botschaft in Berlin verbrannt und die
Kaiserin-Mutter, deren Namenstag übrigens war, nicht über die Grenze gelassen.
Als drittes Argument wurde die angebliche Verhaftung des Großfürsten Konstantin
Konstantinowitsch in Deutschland angegeben."

Während diese Vorgänge sich auf dem Jsaaksplatz zutrugen, war es
einem Beamten der Botschaft gelungen, sich mit seiner Frau zu retten, indem
sie ein Zimmer mit Möbel und Betten füllten und sich selbst unter einem Bett
verkrochen. Dieser Beamte erzählt:

„Wir schlössen die schweren. Fenstervorhänge im Erdgeschoß — oben waren
sie bereits im Laufe des Nachmittags geschlossen worden —, gleich darauf
setzte unter furchtbarem Pfeifen und Johlen ein neuer Steinhagel und Ansturm
auf das Botschaftsgebäude ein, der auch die Wachmannschaften überrannte.
Als dann schon an dem Eisengitter des Hauptportals gerüttelt wurde, zog ich
mich mit meiner Frau in die Wohnung zurück, wo wir seit dem zweiten dieses


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[0414] Petrograder Aultur links (vom, Hotel gesehen) zu dem Denkmal des Kaisers Nikolaus, waren aus der Botschaft drei Porträts, anscheinend russischer Herrscher, gebracht worden, die dort auf dem Sockel aufgestellt wurden. In größeren und Heineren Gruppen verteilte sich die Masse über den ganzen freien Platz, zum Teil mit russischen Fahnen versehen. Sie mag etwa 5000 bis 7000 Menschen betragen haben. Das polizeiliche Aufgebot bestand in berittenen und unberittenen Schutzleuten. Genau ihre Zahl anzugeben ist nicht möglich, da sie zum Teil von der Menge ver¬ deckt wurden. Sie wurde im Lause der Ereignisse verstärkt. Ganz auffallend war es jedenfalls, daß wirklich energische Angriffe auf die Ruhestörer nicht gemacht wurden. Mir sind ein oder zwei ziemlich harmlose Attacken im Gedächtnis, während sich das Polizeiaufgebot im allgemeinen darauf beschränkte, einen gewissen Raum vor der Hauptfassade frei zu halten und die Morskaja an der Seitenfront — unvollkommen — abzusperren. Gegen die in die Bot¬ schaft eingedrungenen Leute ist zunächst anscheinend gar nicht vorgegangen worden. Das Bild änderte sich erst, als die Menge brennbare Stücke aus der Botschaft auf zwei Haufen rechts vor dem Palais zusammentrug und anzündete. Dieses Moment bildete augenscheinlich einen Vorwand sür das Eingreifen der Feuerwehr." Ein anderer Augenzeuge versicherte, die Feuerwehr sei noch auf der Millionnaja im Schritt angerückt. „Zu diesem Zeitpunkte wurde im rechten Eckzimmer des untersten Geschosses der Hauptfassade von vorn betrachtet, Feuer angelegt. Ein Vorhang am Fenster geriet in Brand. Nach dem energischen Eingreifen zweier dort postierter Polizisten zu urteilen, die die brennenden Vorhänge sofort herunterrissen, war man jedenfalls entschlossen, einen Brand zu verhüten. Die Feuerwehr löschte die brennenden Haufen und spritzte erst in Bogen von oben, dann unmittelbar in die Menge und zwang sie so, etwas zurückzutreten. Gleichzeitig sah man in der hell erleuchteten Botschaft Polize erscheinen, die den Pöbel energisch und wie man erkennen konnte, rasch und glatt hinauswarf. Als Grund für die Zerstörung der Botschaft gab ein Schutzmann an, man habe die russische Botschaft in Berlin verbrannt und die Kaiserin-Mutter, deren Namenstag übrigens war, nicht über die Grenze gelassen. Als drittes Argument wurde die angebliche Verhaftung des Großfürsten Konstantin Konstantinowitsch in Deutschland angegeben." Während diese Vorgänge sich auf dem Jsaaksplatz zutrugen, war es einem Beamten der Botschaft gelungen, sich mit seiner Frau zu retten, indem sie ein Zimmer mit Möbel und Betten füllten und sich selbst unter einem Bett verkrochen. Dieser Beamte erzählt: „Wir schlössen die schweren. Fenstervorhänge im Erdgeschoß — oben waren sie bereits im Laufe des Nachmittags geschlossen worden —, gleich darauf setzte unter furchtbarem Pfeifen und Johlen ein neuer Steinhagel und Ansturm auf das Botschaftsgebäude ein, der auch die Wachmannschaften überrannte. Als dann schon an dem Eisengitter des Hauptportals gerüttelt wurde, zog ich mich mit meiner Frau in die Wohnung zurück, wo wir seit dem zweiten dieses

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/414>, abgerufen am 22.12.2024.