Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Fra"^ Liszt

-- UM von Beethoven ganz abzusehen -- vielleicht der Hinweis auf ein einziges
Beispiel aus der romantischen Musik: hebt der Mittelsalz im ersten Teil von
Schumanns L-dur° Phantasie nicht an wie die Erzählung einer alten Sage?
"Es war einmal . . .", der Märchenerzähler redet in seiner eindrucksvoller
Sprache zu uns. das verstehen wir auch ohne die Kenntnis von Schumanns
ursprünglicher Absicht, den ganzen ersten Teil "Ruinen" zu nennen, ja auch
ohne die Vortragsbezeichnung "Im Legendenton". Um wieviel reicher sind die
orchestralen Ausdrucksmittel: sie gegebenenfalls zur Tonmalerei zu verwenden ist
des Tondichters gutes Recht, zumal wenn diese, wie bei Liszt niemals Selbst-
zweck, sondern stets nur Mittel ist. Die dem Meister hier gemachten Vorwürfe
fallen in sich selbst zusammen, oder aber -- sie träfen auch Beethoven I

Und -- bei aller Verschiedenheit der schöpferischen Kraft beider -- noch
ein anderes Moment rückt die gesamten sinfonischen Dichtungen Liszts an die
Tondichtung Beethovens heran: das ist die auch ihnen stets zugrunde liegende
sittliche Idee. "Leid und Verklärung". "Schmerzüberwindung", "Durch Nacht
zum Licht" -- am tiefsten erfaßt in der Faustsinfonie -- das sind die immer
wiederkehrenden Themen seiner Programme, kurz die Überwindung des Irdischen
durch das Göttliche, die im Leben des Meisters äußerlich ihr Symbol im Priester-
gewande findet, deren letzter künstlerischer Niederschlag seine erhabenen Kirchen¬
kompositionen sind.

"Er betet in Tönen" hat Peter Cornelius einmal von Liszt gesagt. Er
selbst hat es eingestanden: "Manche Stellen -- (in den Psalmen) darin sind
mit Bluttränen komponiert, und ich habe mich selbst darin singen lassen", und
von der Graner Messe hat er gegen Wagner geäußert, daß sie mehr gebetet
als komponiert sei. Wie die sinfonischen Dichtungen sind auch seine oratorischen
Werke hervorgegangen aus einem tiefinnerster Schaffensdrange und erfüllt von
der Weihe, die nur überzeugte persönliche Frömmigkeit und Stärke religiöser
Anschauung zu verleihen vermag. Innerlich unabhängig von allen formalistischen
Theoremen, durch kein Schema beengt, wie in seinem ganzen Schaffen über¬
haupt, hat Franz Liszt auch hier neue Bahnen gewiesen, die dem geistlichen
Drama, dem modernen Oratorium die Möglichkeit einer verheißungsvoller Ent-
Wicklung eröffneten.

Was seine oratorischen Werke von den früheren dieser Gattung unter-
scheidet, ist die Verbindung eines stark dramatischen Elements mit dem epischen
Grundcharakter des Oratoriums, dadurch ergab sich von selbst eine neue Form.
Schon die Graner Festmesse, noch mehr aber die "Legende von der heiligen
Elisabeth" und "Christus" lassen die Verwandtschaft der Reformbestrebungen
Liszts und Wagners deutlich erkennen: auch hier die Musik durchaus die Dienerin
der szenischen, oder besser begrifflichen Darstellung, und darum auch hier alle
Mr schärferen Charakterisierung geeigneten harmonischen und instrumentalen
Ausdrucksmittel der neueren Musik, ja sogar weltliche Melodien und nationale
Färbung, wo es der Stoff erheischt, auch hier die großen Jnstrumentalsätze, die


Fra»^ Liszt

— UM von Beethoven ganz abzusehen — vielleicht der Hinweis auf ein einziges
Beispiel aus der romantischen Musik: hebt der Mittelsalz im ersten Teil von
Schumanns L-dur° Phantasie nicht an wie die Erzählung einer alten Sage?
„Es war einmal . . .", der Märchenerzähler redet in seiner eindrucksvoller
Sprache zu uns. das verstehen wir auch ohne die Kenntnis von Schumanns
ursprünglicher Absicht, den ganzen ersten Teil „Ruinen" zu nennen, ja auch
ohne die Vortragsbezeichnung „Im Legendenton". Um wieviel reicher sind die
orchestralen Ausdrucksmittel: sie gegebenenfalls zur Tonmalerei zu verwenden ist
des Tondichters gutes Recht, zumal wenn diese, wie bei Liszt niemals Selbst-
zweck, sondern stets nur Mittel ist. Die dem Meister hier gemachten Vorwürfe
fallen in sich selbst zusammen, oder aber — sie träfen auch Beethoven I

Und — bei aller Verschiedenheit der schöpferischen Kraft beider — noch
ein anderes Moment rückt die gesamten sinfonischen Dichtungen Liszts an die
Tondichtung Beethovens heran: das ist die auch ihnen stets zugrunde liegende
sittliche Idee. „Leid und Verklärung". „Schmerzüberwindung", „Durch Nacht
zum Licht" — am tiefsten erfaßt in der Faustsinfonie — das sind die immer
wiederkehrenden Themen seiner Programme, kurz die Überwindung des Irdischen
durch das Göttliche, die im Leben des Meisters äußerlich ihr Symbol im Priester-
gewande findet, deren letzter künstlerischer Niederschlag seine erhabenen Kirchen¬
kompositionen sind.

„Er betet in Tönen" hat Peter Cornelius einmal von Liszt gesagt. Er
selbst hat es eingestanden: „Manche Stellen — (in den Psalmen) darin sind
mit Bluttränen komponiert, und ich habe mich selbst darin singen lassen", und
von der Graner Messe hat er gegen Wagner geäußert, daß sie mehr gebetet
als komponiert sei. Wie die sinfonischen Dichtungen sind auch seine oratorischen
Werke hervorgegangen aus einem tiefinnerster Schaffensdrange und erfüllt von
der Weihe, die nur überzeugte persönliche Frömmigkeit und Stärke religiöser
Anschauung zu verleihen vermag. Innerlich unabhängig von allen formalistischen
Theoremen, durch kein Schema beengt, wie in seinem ganzen Schaffen über¬
haupt, hat Franz Liszt auch hier neue Bahnen gewiesen, die dem geistlichen
Drama, dem modernen Oratorium die Möglichkeit einer verheißungsvoller Ent-
Wicklung eröffneten.

Was seine oratorischen Werke von den früheren dieser Gattung unter-
scheidet, ist die Verbindung eines stark dramatischen Elements mit dem epischen
Grundcharakter des Oratoriums, dadurch ergab sich von selbst eine neue Form.
Schon die Graner Festmesse, noch mehr aber die „Legende von der heiligen
Elisabeth" und „Christus" lassen die Verwandtschaft der Reformbestrebungen
Liszts und Wagners deutlich erkennen: auch hier die Musik durchaus die Dienerin
der szenischen, oder besser begrifflichen Darstellung, und darum auch hier alle
Mr schärferen Charakterisierung geeigneten harmonischen und instrumentalen
Ausdrucksmittel der neueren Musik, ja sogar weltliche Melodien und nationale
Färbung, wo es der Stoff erheischt, auch hier die großen Jnstrumentalsätze, die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0041" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/328775"/>
          <fw type="header" place="top"> Fra»^ Liszt</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_89" prev="#ID_88"> &#x2014; UM von Beethoven ganz abzusehen &#x2014; vielleicht der Hinweis auf ein einziges<lb/>
Beispiel aus der romantischen Musik: hebt der Mittelsalz im ersten Teil von<lb/>
Schumanns L-dur° Phantasie nicht an wie die Erzählung einer alten Sage?<lb/>
&#x201E;Es war einmal . . .", der Märchenerzähler redet in seiner eindrucksvoller<lb/>
Sprache zu uns. das verstehen wir auch ohne die Kenntnis von Schumanns<lb/>
ursprünglicher Absicht, den ganzen ersten Teil &#x201E;Ruinen" zu nennen, ja auch<lb/>
ohne die Vortragsbezeichnung &#x201E;Im Legendenton". Um wieviel reicher sind die<lb/>
orchestralen Ausdrucksmittel: sie gegebenenfalls zur Tonmalerei zu verwenden ist<lb/>
des Tondichters gutes Recht, zumal wenn diese, wie bei Liszt niemals Selbst-<lb/>
zweck, sondern stets nur Mittel ist. Die dem Meister hier gemachten Vorwürfe<lb/>
fallen in sich selbst zusammen, oder aber &#x2014; sie träfen auch Beethoven I</p><lb/>
          <p xml:id="ID_90"> Und &#x2014; bei aller Verschiedenheit der schöpferischen Kraft beider &#x2014; noch<lb/>
ein anderes Moment rückt die gesamten sinfonischen Dichtungen Liszts an die<lb/>
Tondichtung Beethovens heran: das ist die auch ihnen stets zugrunde liegende<lb/>
sittliche Idee. &#x201E;Leid und Verklärung". &#x201E;Schmerzüberwindung", &#x201E;Durch Nacht<lb/>
zum Licht" &#x2014; am tiefsten erfaßt in der Faustsinfonie &#x2014; das sind die immer<lb/>
wiederkehrenden Themen seiner Programme, kurz die Überwindung des Irdischen<lb/>
durch das Göttliche, die im Leben des Meisters äußerlich ihr Symbol im Priester-<lb/>
gewande findet, deren letzter künstlerischer Niederschlag seine erhabenen Kirchen¬<lb/>
kompositionen sind.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_91"> &#x201E;Er betet in Tönen" hat Peter Cornelius einmal von Liszt gesagt. Er<lb/>
selbst hat es eingestanden: &#x201E;Manche Stellen &#x2014; (in den Psalmen) darin sind<lb/>
mit Bluttränen komponiert, und ich habe mich selbst darin singen lassen", und<lb/>
von der Graner Messe hat er gegen Wagner geäußert, daß sie mehr gebetet<lb/>
als komponiert sei. Wie die sinfonischen Dichtungen sind auch seine oratorischen<lb/>
Werke hervorgegangen aus einem tiefinnerster Schaffensdrange und erfüllt von<lb/>
der Weihe, die nur überzeugte persönliche Frömmigkeit und Stärke religiöser<lb/>
Anschauung zu verleihen vermag. Innerlich unabhängig von allen formalistischen<lb/>
Theoremen, durch kein Schema beengt, wie in seinem ganzen Schaffen über¬<lb/>
haupt, hat Franz Liszt auch hier neue Bahnen gewiesen, die dem geistlichen<lb/>
Drama, dem modernen Oratorium die Möglichkeit einer verheißungsvoller Ent-<lb/>
Wicklung eröffneten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_92" next="#ID_93"> Was seine oratorischen Werke von den früheren dieser Gattung unter-<lb/>
scheidet, ist die Verbindung eines stark dramatischen Elements mit dem epischen<lb/>
Grundcharakter des Oratoriums, dadurch ergab sich von selbst eine neue Form.<lb/>
Schon die Graner Festmesse, noch mehr aber die &#x201E;Legende von der heiligen<lb/>
Elisabeth" und &#x201E;Christus" lassen die Verwandtschaft der Reformbestrebungen<lb/>
Liszts und Wagners deutlich erkennen: auch hier die Musik durchaus die Dienerin<lb/>
der szenischen, oder besser begrifflichen Darstellung, und darum auch hier alle<lb/>
Mr schärferen Charakterisierung geeigneten harmonischen und instrumentalen<lb/>
Ausdrucksmittel der neueren Musik, ja sogar weltliche Melodien und nationale<lb/>
Färbung, wo es der Stoff erheischt, auch hier die großen Jnstrumentalsätze, die</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0041] Fra»^ Liszt — UM von Beethoven ganz abzusehen — vielleicht der Hinweis auf ein einziges Beispiel aus der romantischen Musik: hebt der Mittelsalz im ersten Teil von Schumanns L-dur° Phantasie nicht an wie die Erzählung einer alten Sage? „Es war einmal . . .", der Märchenerzähler redet in seiner eindrucksvoller Sprache zu uns. das verstehen wir auch ohne die Kenntnis von Schumanns ursprünglicher Absicht, den ganzen ersten Teil „Ruinen" zu nennen, ja auch ohne die Vortragsbezeichnung „Im Legendenton". Um wieviel reicher sind die orchestralen Ausdrucksmittel: sie gegebenenfalls zur Tonmalerei zu verwenden ist des Tondichters gutes Recht, zumal wenn diese, wie bei Liszt niemals Selbst- zweck, sondern stets nur Mittel ist. Die dem Meister hier gemachten Vorwürfe fallen in sich selbst zusammen, oder aber — sie träfen auch Beethoven I Und — bei aller Verschiedenheit der schöpferischen Kraft beider — noch ein anderes Moment rückt die gesamten sinfonischen Dichtungen Liszts an die Tondichtung Beethovens heran: das ist die auch ihnen stets zugrunde liegende sittliche Idee. „Leid und Verklärung". „Schmerzüberwindung", „Durch Nacht zum Licht" — am tiefsten erfaßt in der Faustsinfonie — das sind die immer wiederkehrenden Themen seiner Programme, kurz die Überwindung des Irdischen durch das Göttliche, die im Leben des Meisters äußerlich ihr Symbol im Priester- gewande findet, deren letzter künstlerischer Niederschlag seine erhabenen Kirchen¬ kompositionen sind. „Er betet in Tönen" hat Peter Cornelius einmal von Liszt gesagt. Er selbst hat es eingestanden: „Manche Stellen — (in den Psalmen) darin sind mit Bluttränen komponiert, und ich habe mich selbst darin singen lassen", und von der Graner Messe hat er gegen Wagner geäußert, daß sie mehr gebetet als komponiert sei. Wie die sinfonischen Dichtungen sind auch seine oratorischen Werke hervorgegangen aus einem tiefinnerster Schaffensdrange und erfüllt von der Weihe, die nur überzeugte persönliche Frömmigkeit und Stärke religiöser Anschauung zu verleihen vermag. Innerlich unabhängig von allen formalistischen Theoremen, durch kein Schema beengt, wie in seinem ganzen Schaffen über¬ haupt, hat Franz Liszt auch hier neue Bahnen gewiesen, die dem geistlichen Drama, dem modernen Oratorium die Möglichkeit einer verheißungsvoller Ent- Wicklung eröffneten. Was seine oratorischen Werke von den früheren dieser Gattung unter- scheidet, ist die Verbindung eines stark dramatischen Elements mit dem epischen Grundcharakter des Oratoriums, dadurch ergab sich von selbst eine neue Form. Schon die Graner Festmesse, noch mehr aber die „Legende von der heiligen Elisabeth" und „Christus" lassen die Verwandtschaft der Reformbestrebungen Liszts und Wagners deutlich erkennen: auch hier die Musik durchaus die Dienerin der szenischen, oder besser begrifflichen Darstellung, und darum auch hier alle Mr schärferen Charakterisierung geeigneten harmonischen und instrumentalen Ausdrucksmittel der neueren Musik, ja sogar weltliche Melodien und nationale Färbung, wo es der Stoff erheischt, auch hier die großen Jnstrumentalsätze, die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/41
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/41>, abgerufen am 22.12.2024.