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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Das slawische Aulturxroblcm

"Unser tschechisches Ideal der Humanität ist keine romantische Verirrung.
Freilich, Humanität ist ohne Arbeit und Anstrengung etwas Todes. Das
Ideal der Humanität verlangt, daß wir uns überall, in allem und allzeit dem
Bösen, der Inhumanität, wo immer sie sich in der Gesellschaft und ihren
kulturellen, kirchlicher!, politischen, nationalen Einrichtungen findet, widersetzen.
Humanität ist nicht Sentimentalität, sondern Arbeit und wieder Arbeit."
Masaryk, Die tschechische Frage S. 183).

Das Vorstehende ist allerdings nicht eine Charakteristik des tschechischen
Volkes wie es ist, sondern ein Postulat, wie es werden soll. Masaryk be¬
hauptet vom tschechischen Volke richt, daß es human ist, sondern er verlangt
von ihm, daß es human werde, wie es dies einstmals war. Masaryk, bei
uns als Verteidiger unserer nationalen Bestrebungen bekannt, ist nicht Nationa¬
list im Sinne unserer jüngsten Generation, er ist kein Radikaler, ist kein
politischer Radikaler. Seine politische Taktik will dem Grundsatz der
Redlichkeit und der Idee der Humanität entsprechen. Sie widersetzt sich
dem Chauvinismus, Erpressungen, Gewaltakten, advokatischen Kniffen, alle
dem, dessen sich heute manche Politik, und besonders eine uns sehr wohl¬
bekannte bedient.

Vor mehr als einem Jahre hatte ich Gelegenheit, Masaryk zu sehen und
mit ihm zu sprechen. Ich fragte ihn, wie ihm die kroatische Politik gefalle,
besonders die der Fortschrittspartei. Professor Masaryk antwortete ungefähr
folgendes -- nicht dem Wortlaut, sondern dem Sinne nach: "Ihr habt die
Magyaren gegen Euch. Und Eure Politik ist zur Bekämpfung der ihrigen ent¬
standen. Eure Leute haben das höhere Moment in der Politik vernachlässigt.
Sie treiben politische Politik, ich kulturelle. Die Idee allein tut es freilich
nicht. Man muß seine Arbeit den Verhältnissen anpassen. Und das haben
die Eurigen nicht getan. Ich habe ihnen immer gesagt: Eure Ausgabe muß
sich aus Euern Verhältnissen ergeben. Es taugt nicht, mit List und Politik
auskommen zu wollen. Bei Euch da unten ist noch alles roh; überall herrscht
die materialistische Auffassung."

In Masaryks Schrift: "Unsere gegenwärtige Krise, der Fall der alttschechischen
Partei und die Anfänge der neuen Richtung" (1895) lesen wir: "Es gereicht uns
zum Ruhme, daß unsere Kämpfe, unsere Niederlagen in der Vergangenheit einen
religiösen, und keinen nationalen Sinn haben. Die Idee der Nationalität ist
jünger, sie stammt aus dem Ende des verflossenen und hauptsächlich aus diesem
Jahrhundert, deshalb darf man unsere Geschichte nicht von diesem neueren
Standpunkt aus betrachten."

Es könnte scheinen, als sei Masaryks Programm zu historisch und nicht
zeitgemäß. Das merkantile und industrielle kleine böhmische Volk ist heute von
dem Zeitalter Hussens weit abgerückt. Die tschechische Reformation kann für
es keine Bedeutung mehr haben. Aber in der tiefsten Schicht des tschechischen
Bewußtseins findet sich dennoch etwas vom Geist des Hussitentums.


Das slawische Aulturxroblcm

„Unser tschechisches Ideal der Humanität ist keine romantische Verirrung.
Freilich, Humanität ist ohne Arbeit und Anstrengung etwas Todes. Das
Ideal der Humanität verlangt, daß wir uns überall, in allem und allzeit dem
Bösen, der Inhumanität, wo immer sie sich in der Gesellschaft und ihren
kulturellen, kirchlicher!, politischen, nationalen Einrichtungen findet, widersetzen.
Humanität ist nicht Sentimentalität, sondern Arbeit und wieder Arbeit."
Masaryk, Die tschechische Frage S. 183).

Das Vorstehende ist allerdings nicht eine Charakteristik des tschechischen
Volkes wie es ist, sondern ein Postulat, wie es werden soll. Masaryk be¬
hauptet vom tschechischen Volke richt, daß es human ist, sondern er verlangt
von ihm, daß es human werde, wie es dies einstmals war. Masaryk, bei
uns als Verteidiger unserer nationalen Bestrebungen bekannt, ist nicht Nationa¬
list im Sinne unserer jüngsten Generation, er ist kein Radikaler, ist kein
politischer Radikaler. Seine politische Taktik will dem Grundsatz der
Redlichkeit und der Idee der Humanität entsprechen. Sie widersetzt sich
dem Chauvinismus, Erpressungen, Gewaltakten, advokatischen Kniffen, alle
dem, dessen sich heute manche Politik, und besonders eine uns sehr wohl¬
bekannte bedient.

Vor mehr als einem Jahre hatte ich Gelegenheit, Masaryk zu sehen und
mit ihm zu sprechen. Ich fragte ihn, wie ihm die kroatische Politik gefalle,
besonders die der Fortschrittspartei. Professor Masaryk antwortete ungefähr
folgendes — nicht dem Wortlaut, sondern dem Sinne nach: „Ihr habt die
Magyaren gegen Euch. Und Eure Politik ist zur Bekämpfung der ihrigen ent¬
standen. Eure Leute haben das höhere Moment in der Politik vernachlässigt.
Sie treiben politische Politik, ich kulturelle. Die Idee allein tut es freilich
nicht. Man muß seine Arbeit den Verhältnissen anpassen. Und das haben
die Eurigen nicht getan. Ich habe ihnen immer gesagt: Eure Ausgabe muß
sich aus Euern Verhältnissen ergeben. Es taugt nicht, mit List und Politik
auskommen zu wollen. Bei Euch da unten ist noch alles roh; überall herrscht
die materialistische Auffassung."

In Masaryks Schrift: „Unsere gegenwärtige Krise, der Fall der alttschechischen
Partei und die Anfänge der neuen Richtung" (1895) lesen wir: „Es gereicht uns
zum Ruhme, daß unsere Kämpfe, unsere Niederlagen in der Vergangenheit einen
religiösen, und keinen nationalen Sinn haben. Die Idee der Nationalität ist
jünger, sie stammt aus dem Ende des verflossenen und hauptsächlich aus diesem
Jahrhundert, deshalb darf man unsere Geschichte nicht von diesem neueren
Standpunkt aus betrachten."

Es könnte scheinen, als sei Masaryks Programm zu historisch und nicht
zeitgemäß. Das merkantile und industrielle kleine böhmische Volk ist heute von
dem Zeitalter Hussens weit abgerückt. Die tschechische Reformation kann für
es keine Bedeutung mehr haben. Aber in der tiefsten Schicht des tschechischen
Bewußtseins findet sich dennoch etwas vom Geist des Hussitentums.


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[0399] Das slawische Aulturxroblcm „Unser tschechisches Ideal der Humanität ist keine romantische Verirrung. Freilich, Humanität ist ohne Arbeit und Anstrengung etwas Todes. Das Ideal der Humanität verlangt, daß wir uns überall, in allem und allzeit dem Bösen, der Inhumanität, wo immer sie sich in der Gesellschaft und ihren kulturellen, kirchlicher!, politischen, nationalen Einrichtungen findet, widersetzen. Humanität ist nicht Sentimentalität, sondern Arbeit und wieder Arbeit." Masaryk, Die tschechische Frage S. 183). Das Vorstehende ist allerdings nicht eine Charakteristik des tschechischen Volkes wie es ist, sondern ein Postulat, wie es werden soll. Masaryk be¬ hauptet vom tschechischen Volke richt, daß es human ist, sondern er verlangt von ihm, daß es human werde, wie es dies einstmals war. Masaryk, bei uns als Verteidiger unserer nationalen Bestrebungen bekannt, ist nicht Nationa¬ list im Sinne unserer jüngsten Generation, er ist kein Radikaler, ist kein politischer Radikaler. Seine politische Taktik will dem Grundsatz der Redlichkeit und der Idee der Humanität entsprechen. Sie widersetzt sich dem Chauvinismus, Erpressungen, Gewaltakten, advokatischen Kniffen, alle dem, dessen sich heute manche Politik, und besonders eine uns sehr wohl¬ bekannte bedient. Vor mehr als einem Jahre hatte ich Gelegenheit, Masaryk zu sehen und mit ihm zu sprechen. Ich fragte ihn, wie ihm die kroatische Politik gefalle, besonders die der Fortschrittspartei. Professor Masaryk antwortete ungefähr folgendes — nicht dem Wortlaut, sondern dem Sinne nach: „Ihr habt die Magyaren gegen Euch. Und Eure Politik ist zur Bekämpfung der ihrigen ent¬ standen. Eure Leute haben das höhere Moment in der Politik vernachlässigt. Sie treiben politische Politik, ich kulturelle. Die Idee allein tut es freilich nicht. Man muß seine Arbeit den Verhältnissen anpassen. Und das haben die Eurigen nicht getan. Ich habe ihnen immer gesagt: Eure Ausgabe muß sich aus Euern Verhältnissen ergeben. Es taugt nicht, mit List und Politik auskommen zu wollen. Bei Euch da unten ist noch alles roh; überall herrscht die materialistische Auffassung." In Masaryks Schrift: „Unsere gegenwärtige Krise, der Fall der alttschechischen Partei und die Anfänge der neuen Richtung" (1895) lesen wir: „Es gereicht uns zum Ruhme, daß unsere Kämpfe, unsere Niederlagen in der Vergangenheit einen religiösen, und keinen nationalen Sinn haben. Die Idee der Nationalität ist jünger, sie stammt aus dem Ende des verflossenen und hauptsächlich aus diesem Jahrhundert, deshalb darf man unsere Geschichte nicht von diesem neueren Standpunkt aus betrachten." Es könnte scheinen, als sei Masaryks Programm zu historisch und nicht zeitgemäß. Das merkantile und industrielle kleine böhmische Volk ist heute von dem Zeitalter Hussens weit abgerückt. Die tschechische Reformation kann für es keine Bedeutung mehr haben. Aber in der tiefsten Schicht des tschechischen Bewußtseins findet sich dennoch etwas vom Geist des Hussitentums.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/399>, abgerufen am 28.07.2024.