Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Krieg und soziale Religion

ermitteln wollen. Man sammelt Erfahrungen, deren Gegenüberstellung den Weg
weist und bis dahin bleibt man beim Hergebrachten.

Muß das Regiment eingreifen, so können (bei der Ausdehnung der Front)
nur sachliche Leistungen für die Einschätzung in Frage kommen. Etwa nach
dem jetzigen preußischen Recht, das zu gelten hätte, bis bei einer nächsten Wahl
sich die Volljährigkeit der Betreffenden erweist.




Die Gemeinde wird sich in den Ältesten und Angesehensten aller Stände
einen Senat schaffen, dessen Augenmaß genügt und dessen mittelst Kugelung
erfolgende Abstimmung gelten darf. Der Gemeinschaftsgedanke, sagen wir ruhig
der Heimatstolz, entwickelt neue Bindekraft und läßt lokale Einigungen (notfalls
alternierend) Zustandekommen, die man in den heutigen ortsfernen Zeiten gar
nicht zu träumen wagt.

Zu Hause müssen wir es fertig bringen, die unvermeidlichen Kämpfe und
Risse wieder zu schließen, sie nicht durchreißen, nicht das ganze Land in Fragmente
aufgehen zu lassen.




Der Haß gegen das Bestehende richtet sich in erster Linie gegen die jetzige
Art der staatsbürgerlichen Unterscheidung, die als Demütigung empfunden
wird und aufgegeben werden sollte, ehe der kriegerische Akkord verklingt").

Der Deutsche denkt und will durch Vernunft überzeugt sein, daß der Zwang
gerecht ist. Er erwartet keine Vollkommenheit vom Leben, aber ein Ziel fordert
er und Gewißheit im Ziel. Auch will er teil haben an der Orientierung und
hält dann durch, verzeiht seinem Führer ohne weiteres auch mal einen Fehler.
Nur über die Fahne läßt er nicht mit sich spaßen. Die will er vorne sehen.
So allein bleibt man in Deutschland beisammen I




Gibt einer sich Mühe -- steht nicht das Gegenteil fest oder verweigert er
gar den Bürgereid -- so hat er das Mindestmaß, wird, nach zurückgelegtem
fünfundzwanzigsten Lebensjahr und einjährigen Wohnsitz am Ort, Bürger (eine
Wahlstimme). Dem Familienvater bringt dann das vierzigste Lebensjahr ohne
weiteres das Vollbürgerrecht mit einer zweiten Stimme. Nur der Ehrenbürger
(drei oder mehr Stimmen, nach Wahl der Gemeinde) begegnet einem strengeren
Maßstab: wer hoch stehen will, muß hohen Anforderungen genügen und sich
eine Auslese gefallen lassen. Sie ist leicht in den Zeiten der Not!



*) "Der Abstand in der wirtschaftlichen Lage wird nicht so tief empfunden, wie der
Abstand als Mensch und Mitbürger/' (Harnack.)
Der Krieg und soziale Religion

ermitteln wollen. Man sammelt Erfahrungen, deren Gegenüberstellung den Weg
weist und bis dahin bleibt man beim Hergebrachten.

Muß das Regiment eingreifen, so können (bei der Ausdehnung der Front)
nur sachliche Leistungen für die Einschätzung in Frage kommen. Etwa nach
dem jetzigen preußischen Recht, das zu gelten hätte, bis bei einer nächsten Wahl
sich die Volljährigkeit der Betreffenden erweist.




Die Gemeinde wird sich in den Ältesten und Angesehensten aller Stände
einen Senat schaffen, dessen Augenmaß genügt und dessen mittelst Kugelung
erfolgende Abstimmung gelten darf. Der Gemeinschaftsgedanke, sagen wir ruhig
der Heimatstolz, entwickelt neue Bindekraft und läßt lokale Einigungen (notfalls
alternierend) Zustandekommen, die man in den heutigen ortsfernen Zeiten gar
nicht zu träumen wagt.

Zu Hause müssen wir es fertig bringen, die unvermeidlichen Kämpfe und
Risse wieder zu schließen, sie nicht durchreißen, nicht das ganze Land in Fragmente
aufgehen zu lassen.




Der Haß gegen das Bestehende richtet sich in erster Linie gegen die jetzige
Art der staatsbürgerlichen Unterscheidung, die als Demütigung empfunden
wird und aufgegeben werden sollte, ehe der kriegerische Akkord verklingt").

Der Deutsche denkt und will durch Vernunft überzeugt sein, daß der Zwang
gerecht ist. Er erwartet keine Vollkommenheit vom Leben, aber ein Ziel fordert
er und Gewißheit im Ziel. Auch will er teil haben an der Orientierung und
hält dann durch, verzeiht seinem Führer ohne weiteres auch mal einen Fehler.
Nur über die Fahne läßt er nicht mit sich spaßen. Die will er vorne sehen.
So allein bleibt man in Deutschland beisammen I




Gibt einer sich Mühe — steht nicht das Gegenteil fest oder verweigert er
gar den Bürgereid — so hat er das Mindestmaß, wird, nach zurückgelegtem
fünfundzwanzigsten Lebensjahr und einjährigen Wohnsitz am Ort, Bürger (eine
Wahlstimme). Dem Familienvater bringt dann das vierzigste Lebensjahr ohne
weiteres das Vollbürgerrecht mit einer zweiten Stimme. Nur der Ehrenbürger
(drei oder mehr Stimmen, nach Wahl der Gemeinde) begegnet einem strengeren
Maßstab: wer hoch stehen will, muß hohen Anforderungen genügen und sich
eine Auslese gefallen lassen. Sie ist leicht in den Zeiten der Not!



*) „Der Abstand in der wirtschaftlichen Lage wird nicht so tief empfunden, wie der
Abstand als Mensch und Mitbürger/' (Harnack.)
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0392" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/329126"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Krieg und soziale Religion</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1309" prev="#ID_1308"> ermitteln wollen. Man sammelt Erfahrungen, deren Gegenüberstellung den Weg<lb/>
weist und bis dahin bleibt man beim Hergebrachten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1310"> Muß das Regiment eingreifen, so können (bei der Ausdehnung der Front)<lb/>
nur sachliche Leistungen für die Einschätzung in Frage kommen. Etwa nach<lb/>
dem jetzigen preußischen Recht, das zu gelten hätte, bis bei einer nächsten Wahl<lb/>
sich die Volljährigkeit der Betreffenden erweist.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1311"> Die Gemeinde wird sich in den Ältesten und Angesehensten aller Stände<lb/>
einen Senat schaffen, dessen Augenmaß genügt und dessen mittelst Kugelung<lb/>
erfolgende Abstimmung gelten darf. Der Gemeinschaftsgedanke, sagen wir ruhig<lb/>
der Heimatstolz, entwickelt neue Bindekraft und läßt lokale Einigungen (notfalls<lb/>
alternierend) Zustandekommen, die man in den heutigen ortsfernen Zeiten gar<lb/>
nicht zu träumen wagt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1312"> Zu Hause müssen wir es fertig bringen, die unvermeidlichen Kämpfe und<lb/>
Risse wieder zu schließen, sie nicht durchreißen, nicht das ganze Land in Fragmente<lb/>
aufgehen zu lassen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1313"> Der Haß gegen das Bestehende richtet sich in erster Linie gegen die jetzige<lb/>
Art der staatsbürgerlichen Unterscheidung, die als Demütigung empfunden<lb/>
wird und aufgegeben werden sollte, ehe der kriegerische Akkord verklingt").</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1314"> Der Deutsche denkt und will durch Vernunft überzeugt sein, daß der Zwang<lb/>
gerecht ist. Er erwartet keine Vollkommenheit vom Leben, aber ein Ziel fordert<lb/>
er und Gewißheit im Ziel. Auch will er teil haben an der Orientierung und<lb/>
hält dann durch, verzeiht seinem Führer ohne weiteres auch mal einen Fehler.<lb/>
Nur über die Fahne läßt er nicht mit sich spaßen. Die will er vorne sehen.<lb/>
So allein bleibt man in Deutschland beisammen I</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1315"> Gibt einer sich Mühe &#x2014; steht nicht das Gegenteil fest oder verweigert er<lb/>
gar den Bürgereid &#x2014; so hat er das Mindestmaß, wird, nach zurückgelegtem<lb/>
fünfundzwanzigsten Lebensjahr und einjährigen Wohnsitz am Ort, Bürger (eine<lb/>
Wahlstimme). Dem Familienvater bringt dann das vierzigste Lebensjahr ohne<lb/>
weiteres das Vollbürgerrecht mit einer zweiten Stimme. Nur der Ehrenbürger<lb/>
(drei oder mehr Stimmen, nach Wahl der Gemeinde) begegnet einem strengeren<lb/>
Maßstab: wer hoch stehen will, muß hohen Anforderungen genügen und sich<lb/>
eine Auslese gefallen lassen.  Sie ist leicht in den Zeiten der Not!</p><lb/>
          <note xml:id="FID_117" place="foot"> *) &#x201E;Der Abstand in der wirtschaftlichen Lage wird nicht so tief empfunden, wie der<lb/>
Abstand als Mensch und Mitbürger/' (Harnack.)</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0392] Der Krieg und soziale Religion ermitteln wollen. Man sammelt Erfahrungen, deren Gegenüberstellung den Weg weist und bis dahin bleibt man beim Hergebrachten. Muß das Regiment eingreifen, so können (bei der Ausdehnung der Front) nur sachliche Leistungen für die Einschätzung in Frage kommen. Etwa nach dem jetzigen preußischen Recht, das zu gelten hätte, bis bei einer nächsten Wahl sich die Volljährigkeit der Betreffenden erweist. Die Gemeinde wird sich in den Ältesten und Angesehensten aller Stände einen Senat schaffen, dessen Augenmaß genügt und dessen mittelst Kugelung erfolgende Abstimmung gelten darf. Der Gemeinschaftsgedanke, sagen wir ruhig der Heimatstolz, entwickelt neue Bindekraft und läßt lokale Einigungen (notfalls alternierend) Zustandekommen, die man in den heutigen ortsfernen Zeiten gar nicht zu träumen wagt. Zu Hause müssen wir es fertig bringen, die unvermeidlichen Kämpfe und Risse wieder zu schließen, sie nicht durchreißen, nicht das ganze Land in Fragmente aufgehen zu lassen. Der Haß gegen das Bestehende richtet sich in erster Linie gegen die jetzige Art der staatsbürgerlichen Unterscheidung, die als Demütigung empfunden wird und aufgegeben werden sollte, ehe der kriegerische Akkord verklingt"). Der Deutsche denkt und will durch Vernunft überzeugt sein, daß der Zwang gerecht ist. Er erwartet keine Vollkommenheit vom Leben, aber ein Ziel fordert er und Gewißheit im Ziel. Auch will er teil haben an der Orientierung und hält dann durch, verzeiht seinem Führer ohne weiteres auch mal einen Fehler. Nur über die Fahne läßt er nicht mit sich spaßen. Die will er vorne sehen. So allein bleibt man in Deutschland beisammen I Gibt einer sich Mühe — steht nicht das Gegenteil fest oder verweigert er gar den Bürgereid — so hat er das Mindestmaß, wird, nach zurückgelegtem fünfundzwanzigsten Lebensjahr und einjährigen Wohnsitz am Ort, Bürger (eine Wahlstimme). Dem Familienvater bringt dann das vierzigste Lebensjahr ohne weiteres das Vollbürgerrecht mit einer zweiten Stimme. Nur der Ehrenbürger (drei oder mehr Stimmen, nach Wahl der Gemeinde) begegnet einem strengeren Maßstab: wer hoch stehen will, muß hohen Anforderungen genügen und sich eine Auslese gefallen lassen. Sie ist leicht in den Zeiten der Not! *) „Der Abstand in der wirtschaftlichen Lage wird nicht so tief empfunden, wie der Abstand als Mensch und Mitbürger/' (Harnack.)

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/392
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/392>, abgerufen am 22.12.2024.