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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Franz Liszt

Sonate, zwar einsätzig aber von großem motivischen Reichtum, und das Es-dur-
Konzert. Unter den zahlreichen Etüdenwerken stehen die zwölf großen Etüden
voran: in das gehaltene Urteil Schumanns werden wir nicht einstimmen, diese
Neubearbeitungen eines op. 1 bedeuten eine ungeheuere Bereicherung, einen
höchsten Triumph der Technik; der poetische Duft, der aus denen Chopins
uns entgegenweht, fehlt allerdings hier.

Bei der Bearbeitung eigener oder fremder Werke hat Liszt oft nicht der
Versuchung widerstehen können, das virtuosenhafte Element gar zu aufdringlich in
den Vordergrund zu stellen, auch ein gut Teil seiner Liederübertragungen krankt
an dem "Zuviel", aber er hat doch, indem er das Lied auf dem Klavier singen
lehrte, eine neue dankbare Literaturgattung geschaffen. Zu den besten Stücken
dieser Art dürften neben seinem eigenen "Buch der Lieder" die entzückend feinen
Loil'6e8 musicales ac Rossini und die polnischen Gesänge Chopins zu zählen
sein, Improvisationen so recht im Geiste seines unvergeßlichen Freundes. Auch
die beiden bei Peters und Breitkopf und Härtel erschienenen Sammlungen ent¬
halten manch reizvolles Stück. Das hier zugrunde liegende Prinzip der
Variation der Begleitung ist aber am glänzendsten durchgeführt in der Be¬
arbeitung der Melodien seines wilden, ritterlichen Heimatlandes, in den ungarischen
Rhapsodien: Czardastaumel und Pußtastimmung. Heldenklage und festlicher Pomp,
die ganze wilde Romantik des Magyarenlebens steigt aus den hinreißenden
Rhythmen dieser Stücke vor uns auf.

Unter den Übertragungen von Orchesterwerken bedeuten die der neun
Sinfonien Beethovens eine künstlerische Großtat von Ewigkeitswert. Die ganze
Orchesterpartitur gewinnt auf dem Klavier ein eigenes, neues Leben: mehr kann
zum Lobe dieses Werkes nicht gesagt werden. Auch hier hat der Meister für
alle Zeiten ein Vorbild aufgestellt. Sie erschienen von 1840 an. gehören also
noch zum Teil der Virtuosenzeit an. 1866 kam eine neue Auflage heraus,
nach dem Grundsatz "den Spieler nicht unnötig zu quälen und ihm bei mäßiger
Anstrengung die möglichste Klang- und Kraftwirkung anheimzustellen." Auch
sonst erscheinen die Werke der späteren Zeit in technischer Hinsicht weniger schwer
als die früheren. Eben das hängt mit der Vollendung seiner künstlerischen Reife
Zusammen, wie er sie schließlich in Weimar, an der durch unsere Dichterheroen
geweihten Stätte erlangte. Die Beschäftigung mit den Werken Goethes. Schillers.
Herders, dessen Humanitätsideal den gütigsten und menschenfreundlichsten aller
Künstler besonders ansprechen mußte, konnte auf einen Menschen von so gehalt-
reicher Wesenskultur nicht anders als von der größten Bedeutung werden.
Nicht mit Unrecht hat man seinen Aufenthalt in Weimar als "das Bad der
Wiedergeburt aus dem Geiste klassischer Literatur und Kunst" bezeichnet; seine
literarischen Werke legen nicht minder Zeugnis davon ab als die dieser Zeit
angehörigen großen Orchesterwerke: die Faust- und Dantesinfonie, und jene
Zwölf Orchesterphantasien, die er selbst als "sinfonische Dichtungen" bezeichnet
hat -- vielleicht das Bleibendste seines gesamten Schaffens. So vertraut auch


Franz Liszt

Sonate, zwar einsätzig aber von großem motivischen Reichtum, und das Es-dur-
Konzert. Unter den zahlreichen Etüdenwerken stehen die zwölf großen Etüden
voran: in das gehaltene Urteil Schumanns werden wir nicht einstimmen, diese
Neubearbeitungen eines op. 1 bedeuten eine ungeheuere Bereicherung, einen
höchsten Triumph der Technik; der poetische Duft, der aus denen Chopins
uns entgegenweht, fehlt allerdings hier.

Bei der Bearbeitung eigener oder fremder Werke hat Liszt oft nicht der
Versuchung widerstehen können, das virtuosenhafte Element gar zu aufdringlich in
den Vordergrund zu stellen, auch ein gut Teil seiner Liederübertragungen krankt
an dem „Zuviel", aber er hat doch, indem er das Lied auf dem Klavier singen
lehrte, eine neue dankbare Literaturgattung geschaffen. Zu den besten Stücken
dieser Art dürften neben seinem eigenen „Buch der Lieder" die entzückend feinen
Loil'6e8 musicales ac Rossini und die polnischen Gesänge Chopins zu zählen
sein, Improvisationen so recht im Geiste seines unvergeßlichen Freundes. Auch
die beiden bei Peters und Breitkopf und Härtel erschienenen Sammlungen ent¬
halten manch reizvolles Stück. Das hier zugrunde liegende Prinzip der
Variation der Begleitung ist aber am glänzendsten durchgeführt in der Be¬
arbeitung der Melodien seines wilden, ritterlichen Heimatlandes, in den ungarischen
Rhapsodien: Czardastaumel und Pußtastimmung. Heldenklage und festlicher Pomp,
die ganze wilde Romantik des Magyarenlebens steigt aus den hinreißenden
Rhythmen dieser Stücke vor uns auf.

Unter den Übertragungen von Orchesterwerken bedeuten die der neun
Sinfonien Beethovens eine künstlerische Großtat von Ewigkeitswert. Die ganze
Orchesterpartitur gewinnt auf dem Klavier ein eigenes, neues Leben: mehr kann
zum Lobe dieses Werkes nicht gesagt werden. Auch hier hat der Meister für
alle Zeiten ein Vorbild aufgestellt. Sie erschienen von 1840 an. gehören also
noch zum Teil der Virtuosenzeit an. 1866 kam eine neue Auflage heraus,
nach dem Grundsatz „den Spieler nicht unnötig zu quälen und ihm bei mäßiger
Anstrengung die möglichste Klang- und Kraftwirkung anheimzustellen." Auch
sonst erscheinen die Werke der späteren Zeit in technischer Hinsicht weniger schwer
als die früheren. Eben das hängt mit der Vollendung seiner künstlerischen Reife
Zusammen, wie er sie schließlich in Weimar, an der durch unsere Dichterheroen
geweihten Stätte erlangte. Die Beschäftigung mit den Werken Goethes. Schillers.
Herders, dessen Humanitätsideal den gütigsten und menschenfreundlichsten aller
Künstler besonders ansprechen mußte, konnte auf einen Menschen von so gehalt-
reicher Wesenskultur nicht anders als von der größten Bedeutung werden.
Nicht mit Unrecht hat man seinen Aufenthalt in Weimar als „das Bad der
Wiedergeburt aus dem Geiste klassischer Literatur und Kunst" bezeichnet; seine
literarischen Werke legen nicht minder Zeugnis davon ab als die dieser Zeit
angehörigen großen Orchesterwerke: die Faust- und Dantesinfonie, und jene
Zwölf Orchesterphantasien, die er selbst als „sinfonische Dichtungen" bezeichnet
hat — vielleicht das Bleibendste seines gesamten Schaffens. So vertraut auch


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[0039] Franz Liszt Sonate, zwar einsätzig aber von großem motivischen Reichtum, und das Es-dur- Konzert. Unter den zahlreichen Etüdenwerken stehen die zwölf großen Etüden voran: in das gehaltene Urteil Schumanns werden wir nicht einstimmen, diese Neubearbeitungen eines op. 1 bedeuten eine ungeheuere Bereicherung, einen höchsten Triumph der Technik; der poetische Duft, der aus denen Chopins uns entgegenweht, fehlt allerdings hier. Bei der Bearbeitung eigener oder fremder Werke hat Liszt oft nicht der Versuchung widerstehen können, das virtuosenhafte Element gar zu aufdringlich in den Vordergrund zu stellen, auch ein gut Teil seiner Liederübertragungen krankt an dem „Zuviel", aber er hat doch, indem er das Lied auf dem Klavier singen lehrte, eine neue dankbare Literaturgattung geschaffen. Zu den besten Stücken dieser Art dürften neben seinem eigenen „Buch der Lieder" die entzückend feinen Loil'6e8 musicales ac Rossini und die polnischen Gesänge Chopins zu zählen sein, Improvisationen so recht im Geiste seines unvergeßlichen Freundes. Auch die beiden bei Peters und Breitkopf und Härtel erschienenen Sammlungen ent¬ halten manch reizvolles Stück. Das hier zugrunde liegende Prinzip der Variation der Begleitung ist aber am glänzendsten durchgeführt in der Be¬ arbeitung der Melodien seines wilden, ritterlichen Heimatlandes, in den ungarischen Rhapsodien: Czardastaumel und Pußtastimmung. Heldenklage und festlicher Pomp, die ganze wilde Romantik des Magyarenlebens steigt aus den hinreißenden Rhythmen dieser Stücke vor uns auf. Unter den Übertragungen von Orchesterwerken bedeuten die der neun Sinfonien Beethovens eine künstlerische Großtat von Ewigkeitswert. Die ganze Orchesterpartitur gewinnt auf dem Klavier ein eigenes, neues Leben: mehr kann zum Lobe dieses Werkes nicht gesagt werden. Auch hier hat der Meister für alle Zeiten ein Vorbild aufgestellt. Sie erschienen von 1840 an. gehören also noch zum Teil der Virtuosenzeit an. 1866 kam eine neue Auflage heraus, nach dem Grundsatz „den Spieler nicht unnötig zu quälen und ihm bei mäßiger Anstrengung die möglichste Klang- und Kraftwirkung anheimzustellen." Auch sonst erscheinen die Werke der späteren Zeit in technischer Hinsicht weniger schwer als die früheren. Eben das hängt mit der Vollendung seiner künstlerischen Reife Zusammen, wie er sie schließlich in Weimar, an der durch unsere Dichterheroen geweihten Stätte erlangte. Die Beschäftigung mit den Werken Goethes. Schillers. Herders, dessen Humanitätsideal den gütigsten und menschenfreundlichsten aller Künstler besonders ansprechen mußte, konnte auf einen Menschen von so gehalt- reicher Wesenskultur nicht anders als von der größten Bedeutung werden. Nicht mit Unrecht hat man seinen Aufenthalt in Weimar als „das Bad der Wiedergeburt aus dem Geiste klassischer Literatur und Kunst" bezeichnet; seine literarischen Werke legen nicht minder Zeugnis davon ab als die dieser Zeit angehörigen großen Orchesterwerke: die Faust- und Dantesinfonie, und jene Zwölf Orchesterphantasien, die er selbst als „sinfonische Dichtungen" bezeichnet hat — vielleicht das Bleibendste seines gesamten Schaffens. So vertraut auch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/39>, abgerufen am 23.12.2024.