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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Englands Dichter und der Arieg

möglichen scharfsinnigen und unbequemen Manöver vollführen. Sie sind
Vögel. . , . Innerhalb eines Jahres werden wir -- oder vielmehr die
andern -- Aeroplcme haben, die von Calais aufbrechen können, über London
kreisen, zirka hundert Pfund Explosivstoff auf die Druckerei der "Times" fallen
lassen und wohl behalten nach Calais zurückkehren, um sich ein zweites Päckchen
zu holen. Sie sind weder schwierig noch kostspielig zu fabrizieren. Für den
Preis eines Dreadnoughts kann man ein paar Hundert haben. Sie werden
sehr schwer herunterzuschießen sein, und ich glaube nicht, daß eine große Armee
ungebildeter, mangelhaft trainierter und höchst unlustiger Söldner etwas gegen
sie ausrichten kann."

Die Nutzanwendung dieser Auseinandersetzungen ist bei Wells jedoch nicht
ein Aufruf zur Bildung eines Volksheeres, wie Kipling und seine Partei es
will. Vielmehr sieht Wells die Wurzel des Unheils in einer mangelhaften
Volkserziehung. "Die Welt kann nicht auf die Engländer warten. . . Jene
Flugzeuge sind die Erstlingsfrüchte einer steten, ausdauernden Führung im
Reiche des Intellekts, die sich das Ausland erobert hat. Der Ausländer ist
uns voraus im Erziehungswesen, besonders bei den mittleren und oberen Klassen,
von denen Erfindungs- und Unternehmungsgeist kommen -- oder wie bei uns,
nicht kommen. Er bildet einen besseren Durchschnittsmenschen heran als wir.
Seine Wissenschaft ist der unseren überlegen, sein Training gleichfalls. Seine
Phantasie ist regsamer, sein Hirn tätiger. Er verlangt beispielsweise vom Roman
mehr als daß er ein leicht verdauliches Schlafmittel ist, und seine von der Zensur
kaum beschränkten Dramen malen die Wirklichkeit. Seine Schulen sind Stätten
der Erziehung zur Tüchtigkeit, und bilden nicht bloß zum aristokratischen Athleten¬
sport aus, in seinem Heim gibt es Bücher und inhaltreiche Unterhaltung. Unsere
Heimstätten find wie unsere Schulen verhältnismäßig langweilig und nicht
anregend. Es fehlt in ihnen die intellektuelle Führung und das geistige Leben.
Und diesen danken wir die neue Generation artiger, von keinem Unternehmungs¬
geist aufgeregter Söhne, die Golf spielen und die besten Schneider in der Welt
haben, während Brasilianer, Franzosen, Amerikaner und Deutsche fliegen..."

Auf diese Überlegenheit Deutschlands führt Wells denn auch freimütig genug
Englands feindselige Haltung gegen uns zurück. Seine Kritik der heimatlichen
Unzulänglichkeit wird indessen noch dadurch verstärkt, daß er unsere mächtigste
Waffe, unser Heer, nur gering einschätzt und es als Werkzeug eines Kriegsspiels
bezeichnet, das "out ok äate" ist. Wie weit er hierin recht behält, haben die
Ereignisse der jüngsten Tage erwiesen. Sein Resümee aber lautet so: "Gro߬
britannien hat in seinen Rüstungen eine Lücke, die für den Lebensnerv des
Landes viel gefährlicher ist als eine numerische Schwäche an Schiffen oder
Mannschaften. Es leidet Mangel an Intelligenzen (8kort ol miriäs). Hinter
der modernen Bewaffnung, deren Stärke sich verflüchtigt und vom Augenblick
ihres Inkrafttretens zu veralten beginnt, muß immer die tiefer wurzelnde Kraft
intellektueller, schöpferischer Betätigung stehen.


Englands Dichter und der Arieg

möglichen scharfsinnigen und unbequemen Manöver vollführen. Sie sind
Vögel. . , . Innerhalb eines Jahres werden wir — oder vielmehr die
andern — Aeroplcme haben, die von Calais aufbrechen können, über London
kreisen, zirka hundert Pfund Explosivstoff auf die Druckerei der „Times" fallen
lassen und wohl behalten nach Calais zurückkehren, um sich ein zweites Päckchen
zu holen. Sie sind weder schwierig noch kostspielig zu fabrizieren. Für den
Preis eines Dreadnoughts kann man ein paar Hundert haben. Sie werden
sehr schwer herunterzuschießen sein, und ich glaube nicht, daß eine große Armee
ungebildeter, mangelhaft trainierter und höchst unlustiger Söldner etwas gegen
sie ausrichten kann."

Die Nutzanwendung dieser Auseinandersetzungen ist bei Wells jedoch nicht
ein Aufruf zur Bildung eines Volksheeres, wie Kipling und seine Partei es
will. Vielmehr sieht Wells die Wurzel des Unheils in einer mangelhaften
Volkserziehung. „Die Welt kann nicht auf die Engländer warten. . . Jene
Flugzeuge sind die Erstlingsfrüchte einer steten, ausdauernden Führung im
Reiche des Intellekts, die sich das Ausland erobert hat. Der Ausländer ist
uns voraus im Erziehungswesen, besonders bei den mittleren und oberen Klassen,
von denen Erfindungs- und Unternehmungsgeist kommen — oder wie bei uns,
nicht kommen. Er bildet einen besseren Durchschnittsmenschen heran als wir.
Seine Wissenschaft ist der unseren überlegen, sein Training gleichfalls. Seine
Phantasie ist regsamer, sein Hirn tätiger. Er verlangt beispielsweise vom Roman
mehr als daß er ein leicht verdauliches Schlafmittel ist, und seine von der Zensur
kaum beschränkten Dramen malen die Wirklichkeit. Seine Schulen sind Stätten
der Erziehung zur Tüchtigkeit, und bilden nicht bloß zum aristokratischen Athleten¬
sport aus, in seinem Heim gibt es Bücher und inhaltreiche Unterhaltung. Unsere
Heimstätten find wie unsere Schulen verhältnismäßig langweilig und nicht
anregend. Es fehlt in ihnen die intellektuelle Führung und das geistige Leben.
Und diesen danken wir die neue Generation artiger, von keinem Unternehmungs¬
geist aufgeregter Söhne, die Golf spielen und die besten Schneider in der Welt
haben, während Brasilianer, Franzosen, Amerikaner und Deutsche fliegen..."

Auf diese Überlegenheit Deutschlands führt Wells denn auch freimütig genug
Englands feindselige Haltung gegen uns zurück. Seine Kritik der heimatlichen
Unzulänglichkeit wird indessen noch dadurch verstärkt, daß er unsere mächtigste
Waffe, unser Heer, nur gering einschätzt und es als Werkzeug eines Kriegsspiels
bezeichnet, das „out ok äate" ist. Wie weit er hierin recht behält, haben die
Ereignisse der jüngsten Tage erwiesen. Sein Resümee aber lautet so: „Gro߬
britannien hat in seinen Rüstungen eine Lücke, die für den Lebensnerv des
Landes viel gefährlicher ist als eine numerische Schwäche an Schiffen oder
Mannschaften. Es leidet Mangel an Intelligenzen (8kort ol miriäs). Hinter
der modernen Bewaffnung, deren Stärke sich verflüchtigt und vom Augenblick
ihres Inkrafttretens zu veralten beginnt, muß immer die tiefer wurzelnde Kraft
intellektueller, schöpferischer Betätigung stehen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/384>, abgerufen am 27.07.2024.