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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Aus den Anfängen des Grotzherzogtums Baden

Dabei suchte man möglichst Untertanen, die früher verschiedenen Herrschaften
angehört hatten, in einen Kreis zu vereinigen, um die alten Beziehungen zu
lockern und die Verschmelzung der Bevölkerung zu fördern. Die Zwischen-
gewalten der Standes- und Grundherren auf den Gebieten der Verwaltung
und Rechtsprechung wurden bis auf geringfügige Reste beseitigt. In Anlehnung
an die französische Munizipalverfassung wurden die Gemeinden aus selbständigen
Gemeinwesen zu Staatsverwältungsbezirken umgeformt und der alte Unterschied
von Stadt- und Landgemeinden im wesentlichen verwischt. Das Schwergewicht
der Verwaltung wurde von den Ämtern in die neuen Kreisdirektoricn verlegt,
die den französischen Präfekturen nachgebildet waren. Über ihnen erhoben sich
die den früheren Geheimen! ablösenden fünf Fachministerien, überwölbt von
der Ministerialkonferenz unter dein Vorsitz des Großherzogs. Von einem
obersten Punkte aus sollte sich der staatliche Wille in immer weiteren Kreisen
gleichmäßig über das Land ausbreiten. Alles war auf möglichste Be¬
schleunigung zugeschnitten. Während Brauer die kollegiale Behördenverfassung
bevorzugte, in der er eine Schutzwehr gegen Beamtenwillkür erblickte, wurden
til! Behörden nunmehr straff bureaukratisch eingerichtet; nur für die Ministerien
wurde die kollegialische Verfassung beibehalten. Die Wirkung dieser Maßnahmen
wurde verstärkt durch die Übernahme des Code Napoleon, die auf einen
"Wunsch" Napoleons zurückzuführen ist. Die von Brauer bearbeitete deutsche
Übersetzung des französischen bürgerlichen Gesetzbuches trat am 1. Januar 1810
als badisches Landrecht in Kraft und galt bis zum 1. Januar 1900. Brauer
suchte die Einbürgerung des fremden Gesetzes zu erleichtern durch völlig sprach-
reine Fassung und durch Zusätze, die das Fortbestehen heimischer Rechtsgewohn¬
heiten ermöglichten. Vor allem verschaffte er einer Reihe von Rechtsgebilden,
mit denen die französische Umwälzung aufgeräumt hatte, wie den Stammgütern,
sowie den Zinsen, Zehnten, Frohnden und anderen patrimonialen Lasten wieder
einen Platz im Gesetzbuch. Erst der Liberalismus des folgenden Zeitraumes
hat diese Lasten beseitigt.

Langwieriger als die Vereinheitlichung des öffentlichen und bürgerlichen
Rechtes war die Neuordnung des Finanzwesens, das lange das Schmerzenskind
der badischen Regierung blieb; denn das Erträgnis der öffentlichen Abgaben
reichte zur Deckung des Hof- und Staatsaufwandes bei weitem nicht aus.
Schon bald nach dem Abschlüsse des Rheinbundes strebte die Regierung eine
gerechtere und gleichförmigere Verteilung der Abgaben und eine einfachere Ver¬
waltung des Steuerwesens an. Nach längeren Vorarbeiten, an denen Boeckh
und Nebenius das Hauptverdienst zukommt, wurden durch die Zollordnung
von 1812 die Binnenzölle abgeschafft und durch Grenzzölle ersetzt. Gleichzeitig
vereinheitlichte die Akzisordnung und die Ohnegeldordnung die inneren Ver¬
brauchsabgaben (hauptsächlich Gelränkesteuern) und die Verkehrssteuern (Erb¬
schafts- Schenkungs- und Liegenschaftsumsatzsteuer). Die direkte Besteuerung
wurde nach dem französischen Vorbild auf einer Ertragsbesteuerung aufgebaut


Aus den Anfängen des Grotzherzogtums Baden

Dabei suchte man möglichst Untertanen, die früher verschiedenen Herrschaften
angehört hatten, in einen Kreis zu vereinigen, um die alten Beziehungen zu
lockern und die Verschmelzung der Bevölkerung zu fördern. Die Zwischen-
gewalten der Standes- und Grundherren auf den Gebieten der Verwaltung
und Rechtsprechung wurden bis auf geringfügige Reste beseitigt. In Anlehnung
an die französische Munizipalverfassung wurden die Gemeinden aus selbständigen
Gemeinwesen zu Staatsverwältungsbezirken umgeformt und der alte Unterschied
von Stadt- und Landgemeinden im wesentlichen verwischt. Das Schwergewicht
der Verwaltung wurde von den Ämtern in die neuen Kreisdirektoricn verlegt,
die den französischen Präfekturen nachgebildet waren. Über ihnen erhoben sich
die den früheren Geheimen! ablösenden fünf Fachministerien, überwölbt von
der Ministerialkonferenz unter dein Vorsitz des Großherzogs. Von einem
obersten Punkte aus sollte sich der staatliche Wille in immer weiteren Kreisen
gleichmäßig über das Land ausbreiten. Alles war auf möglichste Be¬
schleunigung zugeschnitten. Während Brauer die kollegiale Behördenverfassung
bevorzugte, in der er eine Schutzwehr gegen Beamtenwillkür erblickte, wurden
til! Behörden nunmehr straff bureaukratisch eingerichtet; nur für die Ministerien
wurde die kollegialische Verfassung beibehalten. Die Wirkung dieser Maßnahmen
wurde verstärkt durch die Übernahme des Code Napoleon, die auf einen
„Wunsch" Napoleons zurückzuführen ist. Die von Brauer bearbeitete deutsche
Übersetzung des französischen bürgerlichen Gesetzbuches trat am 1. Januar 1810
als badisches Landrecht in Kraft und galt bis zum 1. Januar 1900. Brauer
suchte die Einbürgerung des fremden Gesetzes zu erleichtern durch völlig sprach-
reine Fassung und durch Zusätze, die das Fortbestehen heimischer Rechtsgewohn¬
heiten ermöglichten. Vor allem verschaffte er einer Reihe von Rechtsgebilden,
mit denen die französische Umwälzung aufgeräumt hatte, wie den Stammgütern,
sowie den Zinsen, Zehnten, Frohnden und anderen patrimonialen Lasten wieder
einen Platz im Gesetzbuch. Erst der Liberalismus des folgenden Zeitraumes
hat diese Lasten beseitigt.

Langwieriger als die Vereinheitlichung des öffentlichen und bürgerlichen
Rechtes war die Neuordnung des Finanzwesens, das lange das Schmerzenskind
der badischen Regierung blieb; denn das Erträgnis der öffentlichen Abgaben
reichte zur Deckung des Hof- und Staatsaufwandes bei weitem nicht aus.
Schon bald nach dem Abschlüsse des Rheinbundes strebte die Regierung eine
gerechtere und gleichförmigere Verteilung der Abgaben und eine einfachere Ver¬
waltung des Steuerwesens an. Nach längeren Vorarbeiten, an denen Boeckh
und Nebenius das Hauptverdienst zukommt, wurden durch die Zollordnung
von 1812 die Binnenzölle abgeschafft und durch Grenzzölle ersetzt. Gleichzeitig
vereinheitlichte die Akzisordnung und die Ohnegeldordnung die inneren Ver¬
brauchsabgaben (hauptsächlich Gelränkesteuern) und die Verkehrssteuern (Erb¬
schafts- Schenkungs- und Liegenschaftsumsatzsteuer). Die direkte Besteuerung
wurde nach dem französischen Vorbild auf einer Ertragsbesteuerung aufgebaut


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[0377] Aus den Anfängen des Grotzherzogtums Baden Dabei suchte man möglichst Untertanen, die früher verschiedenen Herrschaften angehört hatten, in einen Kreis zu vereinigen, um die alten Beziehungen zu lockern und die Verschmelzung der Bevölkerung zu fördern. Die Zwischen- gewalten der Standes- und Grundherren auf den Gebieten der Verwaltung und Rechtsprechung wurden bis auf geringfügige Reste beseitigt. In Anlehnung an die französische Munizipalverfassung wurden die Gemeinden aus selbständigen Gemeinwesen zu Staatsverwältungsbezirken umgeformt und der alte Unterschied von Stadt- und Landgemeinden im wesentlichen verwischt. Das Schwergewicht der Verwaltung wurde von den Ämtern in die neuen Kreisdirektoricn verlegt, die den französischen Präfekturen nachgebildet waren. Über ihnen erhoben sich die den früheren Geheimen! ablösenden fünf Fachministerien, überwölbt von der Ministerialkonferenz unter dein Vorsitz des Großherzogs. Von einem obersten Punkte aus sollte sich der staatliche Wille in immer weiteren Kreisen gleichmäßig über das Land ausbreiten. Alles war auf möglichste Be¬ schleunigung zugeschnitten. Während Brauer die kollegiale Behördenverfassung bevorzugte, in der er eine Schutzwehr gegen Beamtenwillkür erblickte, wurden til! Behörden nunmehr straff bureaukratisch eingerichtet; nur für die Ministerien wurde die kollegialische Verfassung beibehalten. Die Wirkung dieser Maßnahmen wurde verstärkt durch die Übernahme des Code Napoleon, die auf einen „Wunsch" Napoleons zurückzuführen ist. Die von Brauer bearbeitete deutsche Übersetzung des französischen bürgerlichen Gesetzbuches trat am 1. Januar 1810 als badisches Landrecht in Kraft und galt bis zum 1. Januar 1900. Brauer suchte die Einbürgerung des fremden Gesetzes zu erleichtern durch völlig sprach- reine Fassung und durch Zusätze, die das Fortbestehen heimischer Rechtsgewohn¬ heiten ermöglichten. Vor allem verschaffte er einer Reihe von Rechtsgebilden, mit denen die französische Umwälzung aufgeräumt hatte, wie den Stammgütern, sowie den Zinsen, Zehnten, Frohnden und anderen patrimonialen Lasten wieder einen Platz im Gesetzbuch. Erst der Liberalismus des folgenden Zeitraumes hat diese Lasten beseitigt. Langwieriger als die Vereinheitlichung des öffentlichen und bürgerlichen Rechtes war die Neuordnung des Finanzwesens, das lange das Schmerzenskind der badischen Regierung blieb; denn das Erträgnis der öffentlichen Abgaben reichte zur Deckung des Hof- und Staatsaufwandes bei weitem nicht aus. Schon bald nach dem Abschlüsse des Rheinbundes strebte die Regierung eine gerechtere und gleichförmigere Verteilung der Abgaben und eine einfachere Ver¬ waltung des Steuerwesens an. Nach längeren Vorarbeiten, an denen Boeckh und Nebenius das Hauptverdienst zukommt, wurden durch die Zollordnung von 1812 die Binnenzölle abgeschafft und durch Grenzzölle ersetzt. Gleichzeitig vereinheitlichte die Akzisordnung und die Ohnegeldordnung die inneren Ver¬ brauchsabgaben (hauptsächlich Gelränkesteuern) und die Verkehrssteuern (Erb¬ schafts- Schenkungs- und Liegenschaftsumsatzsteuer). Die direkte Besteuerung wurde nach dem französischen Vorbild auf einer Ertragsbesteuerung aufgebaut

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/377>, abgerufen am 28.07.2024.