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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Aus den Anfängen des Großherzogtums Baden

durch Napoleon wiederholt den ruhigen Fortgang des Organisations¬
werkes.

Wie sich aus diesen Irrungen und Wirrungen, aus der innigen Ver¬
flechtung der inneren und der äußeren Politik, aus dem Zusammenstoß und
der wechselseitigen Durchdringung gegensätzlicher Anschauungen, aus dem Ringen
der Persönlichkeiten mit all den Zufälligkeiten und Bedingtheiten persönlicher
und sachlicher Art das neue Baden entwickelt hat, ist in der nach Inhalt und
Form trefflichen badischen Verwaltungsgeschichte von Willy Andreas*) reizvoll
geschildert. Gewandt hat der Verfasser den durch mühselige Quellenforschung
zutage geförderten weitschichtigen und spröden Stoff bezwungen, und lebens¬
frisch und anschaulich treten uns die handelnden Personen, vor allem Karl
Friedrich, Karl, Markgraf (der spätere Großherzog) Ludwig, die Gräfin Hoch¬
berg, Brauer, Dalberg, Reitzenstein, Marschall, Nebenius und Winter in seiner
Darstellung entgegen.

Bei der Neuordnung des Kurstaates und des Großherzogtums siegten
zunächst noch einmal die Kräfte des altdeutschen aufgeklärten Territorialstaates
über den neufranzöstschen Geist. Die von dem Geheimrat Joh. Nikolaus Friedrich
Brauer entworfenen dreizehn Organisationsedikte von 1803 und sieben Kon¬
stitutionsedikte von 1807 knüpften sorgsam an die Baden-Durlachischen Über¬
lieferungen an. Brauer verwarf den französischen straffen Zentralismus und
die mechanische Gliederung des Staates nach französischem Muster. Um der
landschaftlichen Eigenart und der geschichtlichen Vergangenheit der Landesteile
möglichst Rechnung zu tragen, wurde der Staat in drei Provinzen eingeteilt.
Dec Schwerpunkt der Verwaltung ruhte in den Oberämtern. Die Krönung
der Behördenpyramide bildete nach wie vor das Geheimeratskollegium. Der
überlieferte Gegensatz von Stadt- und Landgemeinden mit der bevorrechtigten
Stellung der Städte und die ständische Scheidung des Volkes in Herren-, Ritter¬
und Bürgerstand blieb bestehen. Den Standes- und Grundherren wurden
weitgehende Befugnisse auf dem Gebiete der Verwaltung und Rechtsprechung
belassen.

Kaum war Brauers Organisation recht ins Leben getreten, als die Ent¬
wicklung nach der entgegengesetzten Richtung rheinbündischer straffster Zusammen¬
fassung der Staatsgewalt und mechanischer Gleichformung des ganzen Staats¬
gebietes umschlug. Ihren Höhepunkt erreichte diese Gegenbewegung in der
vom Freiherrn Sigmund Karl Johann von Reitzenstein ausgearbeiteten Ver¬
waltungsordnung vom 26. November 1309. Die Provinzialregierungen wurden
aufgehoben und der Staat in zehn Kreise von fast gleicher Größe eingeteilt.



*) Geschichte der badischen Verwaltungsorganisation und Verfassung in den Jahren
1802 bis 1818. Herausgegeben von der Badischen Historischen Kommission. Bearbeitet von
Dr. Willy Andreas, Privatdozent an der Universität Marburg. 1. Band. Der Aufbau des
Staates im Zusammenhang der allgemeinen Politik. 484 Seiten. Leipzig 1913. Verlag
von Quelle und Meyer. Preis geheftet 12 M. 40 Pf.
Aus den Anfängen des Großherzogtums Baden

durch Napoleon wiederholt den ruhigen Fortgang des Organisations¬
werkes.

Wie sich aus diesen Irrungen und Wirrungen, aus der innigen Ver¬
flechtung der inneren und der äußeren Politik, aus dem Zusammenstoß und
der wechselseitigen Durchdringung gegensätzlicher Anschauungen, aus dem Ringen
der Persönlichkeiten mit all den Zufälligkeiten und Bedingtheiten persönlicher
und sachlicher Art das neue Baden entwickelt hat, ist in der nach Inhalt und
Form trefflichen badischen Verwaltungsgeschichte von Willy Andreas*) reizvoll
geschildert. Gewandt hat der Verfasser den durch mühselige Quellenforschung
zutage geförderten weitschichtigen und spröden Stoff bezwungen, und lebens¬
frisch und anschaulich treten uns die handelnden Personen, vor allem Karl
Friedrich, Karl, Markgraf (der spätere Großherzog) Ludwig, die Gräfin Hoch¬
berg, Brauer, Dalberg, Reitzenstein, Marschall, Nebenius und Winter in seiner
Darstellung entgegen.

Bei der Neuordnung des Kurstaates und des Großherzogtums siegten
zunächst noch einmal die Kräfte des altdeutschen aufgeklärten Territorialstaates
über den neufranzöstschen Geist. Die von dem Geheimrat Joh. Nikolaus Friedrich
Brauer entworfenen dreizehn Organisationsedikte von 1803 und sieben Kon¬
stitutionsedikte von 1807 knüpften sorgsam an die Baden-Durlachischen Über¬
lieferungen an. Brauer verwarf den französischen straffen Zentralismus und
die mechanische Gliederung des Staates nach französischem Muster. Um der
landschaftlichen Eigenart und der geschichtlichen Vergangenheit der Landesteile
möglichst Rechnung zu tragen, wurde der Staat in drei Provinzen eingeteilt.
Dec Schwerpunkt der Verwaltung ruhte in den Oberämtern. Die Krönung
der Behördenpyramide bildete nach wie vor das Geheimeratskollegium. Der
überlieferte Gegensatz von Stadt- und Landgemeinden mit der bevorrechtigten
Stellung der Städte und die ständische Scheidung des Volkes in Herren-, Ritter¬
und Bürgerstand blieb bestehen. Den Standes- und Grundherren wurden
weitgehende Befugnisse auf dem Gebiete der Verwaltung und Rechtsprechung
belassen.

Kaum war Brauers Organisation recht ins Leben getreten, als die Ent¬
wicklung nach der entgegengesetzten Richtung rheinbündischer straffster Zusammen¬
fassung der Staatsgewalt und mechanischer Gleichformung des ganzen Staats¬
gebietes umschlug. Ihren Höhepunkt erreichte diese Gegenbewegung in der
vom Freiherrn Sigmund Karl Johann von Reitzenstein ausgearbeiteten Ver¬
waltungsordnung vom 26. November 1309. Die Provinzialregierungen wurden
aufgehoben und der Staat in zehn Kreise von fast gleicher Größe eingeteilt.



*) Geschichte der badischen Verwaltungsorganisation und Verfassung in den Jahren
1802 bis 1818. Herausgegeben von der Badischen Historischen Kommission. Bearbeitet von
Dr. Willy Andreas, Privatdozent an der Universität Marburg. 1. Band. Der Aufbau des
Staates im Zusammenhang der allgemeinen Politik. 484 Seiten. Leipzig 1913. Verlag
von Quelle und Meyer. Preis geheftet 12 M. 40 Pf.
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[0376] Aus den Anfängen des Großherzogtums Baden durch Napoleon wiederholt den ruhigen Fortgang des Organisations¬ werkes. Wie sich aus diesen Irrungen und Wirrungen, aus der innigen Ver¬ flechtung der inneren und der äußeren Politik, aus dem Zusammenstoß und der wechselseitigen Durchdringung gegensätzlicher Anschauungen, aus dem Ringen der Persönlichkeiten mit all den Zufälligkeiten und Bedingtheiten persönlicher und sachlicher Art das neue Baden entwickelt hat, ist in der nach Inhalt und Form trefflichen badischen Verwaltungsgeschichte von Willy Andreas*) reizvoll geschildert. Gewandt hat der Verfasser den durch mühselige Quellenforschung zutage geförderten weitschichtigen und spröden Stoff bezwungen, und lebens¬ frisch und anschaulich treten uns die handelnden Personen, vor allem Karl Friedrich, Karl, Markgraf (der spätere Großherzog) Ludwig, die Gräfin Hoch¬ berg, Brauer, Dalberg, Reitzenstein, Marschall, Nebenius und Winter in seiner Darstellung entgegen. Bei der Neuordnung des Kurstaates und des Großherzogtums siegten zunächst noch einmal die Kräfte des altdeutschen aufgeklärten Territorialstaates über den neufranzöstschen Geist. Die von dem Geheimrat Joh. Nikolaus Friedrich Brauer entworfenen dreizehn Organisationsedikte von 1803 und sieben Kon¬ stitutionsedikte von 1807 knüpften sorgsam an die Baden-Durlachischen Über¬ lieferungen an. Brauer verwarf den französischen straffen Zentralismus und die mechanische Gliederung des Staates nach französischem Muster. Um der landschaftlichen Eigenart und der geschichtlichen Vergangenheit der Landesteile möglichst Rechnung zu tragen, wurde der Staat in drei Provinzen eingeteilt. Dec Schwerpunkt der Verwaltung ruhte in den Oberämtern. Die Krönung der Behördenpyramide bildete nach wie vor das Geheimeratskollegium. Der überlieferte Gegensatz von Stadt- und Landgemeinden mit der bevorrechtigten Stellung der Städte und die ständische Scheidung des Volkes in Herren-, Ritter¬ und Bürgerstand blieb bestehen. Den Standes- und Grundherren wurden weitgehende Befugnisse auf dem Gebiete der Verwaltung und Rechtsprechung belassen. Kaum war Brauers Organisation recht ins Leben getreten, als die Ent¬ wicklung nach der entgegengesetzten Richtung rheinbündischer straffster Zusammen¬ fassung der Staatsgewalt und mechanischer Gleichformung des ganzen Staats¬ gebietes umschlug. Ihren Höhepunkt erreichte diese Gegenbewegung in der vom Freiherrn Sigmund Karl Johann von Reitzenstein ausgearbeiteten Ver¬ waltungsordnung vom 26. November 1309. Die Provinzialregierungen wurden aufgehoben und der Staat in zehn Kreise von fast gleicher Größe eingeteilt. *) Geschichte der badischen Verwaltungsorganisation und Verfassung in den Jahren 1802 bis 1818. Herausgegeben von der Badischen Historischen Kommission. Bearbeitet von Dr. Willy Andreas, Privatdozent an der Universität Marburg. 1. Band. Der Aufbau des Staates im Zusammenhang der allgemeinen Politik. 484 Seiten. Leipzig 1913. Verlag von Quelle und Meyer. Preis geheftet 12 M. 40 Pf.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/376>, abgerufen am 01.09.2024.