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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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I^a Zrsnäe Nation

Und obwohl am l.und 2.September 1870 der Schlag von Sedan schon geführt
war, schrieb am 3. September das Pariser Journal officiel: "Das Kriegs¬
ministerium hat gestern über das Resultat des Kampfes am Donnerstag noch
keine offizielle Depesche erhalten; die anderen hier eingelaufenen Nachrichten
sind zu widersprechender Art, um berücksichtigt zu werden." Am Morgen des¬
selben Tages war Berlin bereits im Siegesjubel gewesen. Erst am 4. Sep¬
tember bekannte sich in Paris eine vom Gesamtministerium unterzeichnete
Ansprache zu der Verkündung: "Franzosen, ein großes Unglück hat Frankreich
betroffen! .... Nach dreitägigen Kampfe gegen dreihunderttausend Feinde
wurden vierzigtausend Mann zu Gefangenen gemacht. . . . Der Kaiser ist zum
Gefangenen gemacht. . . ." Noch am Tage zuvor schrieb das Hofjournal Patrie:
"Wir erhalten über Belgien preußische Depeschen, Telegramme des Königs an
die Königin, Mitteilungen von Manteuffel unterzeichnet, welche den Sieg am
30. und 31. August und am 1. September der preußischen Armee zuschreiben.
Wohlan, alle diese Depeschen beunruhigen uns durchaus nicht. Wir glauben
nicht daran. Wir glauben nicht daran, weil seit Beginn des Krieges der König
von Preußen, seine Verwandten und seine Generale sich auf dem Papiere stets
den Gewinn der Schlachten zugeschrieben haben, in denen sie tatsächlich Terrain
verloren hatten. Der König Wilhelm und seine Heerführer haben in der Ver¬
gangenheit immer gelogen, deshalb können sie gegenwärtig nicht anders denn
als Lügner betrachtet werden, und wir sind wahrhaftig nicht töricht genug,
ihren leeren Erklärungen Glauben zu schenken. Wir bleiben dabei, daß wir am
31. August und 1. September die Schlacht gewonnen haben."

Einer kleinen Verwechslung machte sich dann der Pariser Gaulois am
nämlichen Tage, als der Transport des gefangenen Napoleon in deutschen
Gewahrsam erfolgte, schuldig. Das Blatt ließ sich aus Varennes, der Poststation
unseligen Andenkens, wo Ludwig der Sechzehnte und Marie Antoinette im Januar
1793 mit Hilfe des berüchtigten Postmeisters Drouet verhaftet wurden, um
bald darauf die Pariser Guillotine zu besteigen, folgendes schreiben: "Es ist
das Gerücht verbreitet, daß der König von Preußen wahnsinnig geworden ist.
Der König soll gestern von Varennes nach Berlin dirigiert worden sein. Nichts
autorisiert uns, diese Nachricht für unrichtig zu erklären oder sie zu bestätigen,
aber es gibt eine Tatsache, die wir unmöglich übergehen können: es ist dies
die Wahl der Stadt, wo der König sein Hauptquartier aufgeschlagen hat. Va¬
rennes! Furchtbares Vorzeichen: dies ist der Ort, wo man Könige festnimmt!"

Als ich so in Pfaffs Buch vor dreiundvierzig Jahren nach dem Anblick
des zusammengeknickten auf Wilhelmshöhe lustwandelnder Napoleon las und
daneben die oben eingerückten prophetischen Worte des soir vom 9. August
über die entscheidenden Stunden, in denen Gott die Völker zeigen läßt, "was
sie sind und was sie vermögen", da klangen andere Worte wieder, die an
Varennes anknüpften. Sie kamen mir seit meinen Jugendjahren mehr als
einmal aus elterlichen und großelterlichem Munde zu Ohren, wenn von Frank-


I^a Zrsnäe Nation

Und obwohl am l.und 2.September 1870 der Schlag von Sedan schon geführt
war, schrieb am 3. September das Pariser Journal officiel: „Das Kriegs¬
ministerium hat gestern über das Resultat des Kampfes am Donnerstag noch
keine offizielle Depesche erhalten; die anderen hier eingelaufenen Nachrichten
sind zu widersprechender Art, um berücksichtigt zu werden." Am Morgen des¬
selben Tages war Berlin bereits im Siegesjubel gewesen. Erst am 4. Sep¬
tember bekannte sich in Paris eine vom Gesamtministerium unterzeichnete
Ansprache zu der Verkündung: „Franzosen, ein großes Unglück hat Frankreich
betroffen! .... Nach dreitägigen Kampfe gegen dreihunderttausend Feinde
wurden vierzigtausend Mann zu Gefangenen gemacht. . . . Der Kaiser ist zum
Gefangenen gemacht. . . ." Noch am Tage zuvor schrieb das Hofjournal Patrie:
„Wir erhalten über Belgien preußische Depeschen, Telegramme des Königs an
die Königin, Mitteilungen von Manteuffel unterzeichnet, welche den Sieg am
30. und 31. August und am 1. September der preußischen Armee zuschreiben.
Wohlan, alle diese Depeschen beunruhigen uns durchaus nicht. Wir glauben
nicht daran. Wir glauben nicht daran, weil seit Beginn des Krieges der König
von Preußen, seine Verwandten und seine Generale sich auf dem Papiere stets
den Gewinn der Schlachten zugeschrieben haben, in denen sie tatsächlich Terrain
verloren hatten. Der König Wilhelm und seine Heerführer haben in der Ver¬
gangenheit immer gelogen, deshalb können sie gegenwärtig nicht anders denn
als Lügner betrachtet werden, und wir sind wahrhaftig nicht töricht genug,
ihren leeren Erklärungen Glauben zu schenken. Wir bleiben dabei, daß wir am
31. August und 1. September die Schlacht gewonnen haben."

Einer kleinen Verwechslung machte sich dann der Pariser Gaulois am
nämlichen Tage, als der Transport des gefangenen Napoleon in deutschen
Gewahrsam erfolgte, schuldig. Das Blatt ließ sich aus Varennes, der Poststation
unseligen Andenkens, wo Ludwig der Sechzehnte und Marie Antoinette im Januar
1793 mit Hilfe des berüchtigten Postmeisters Drouet verhaftet wurden, um
bald darauf die Pariser Guillotine zu besteigen, folgendes schreiben: „Es ist
das Gerücht verbreitet, daß der König von Preußen wahnsinnig geworden ist.
Der König soll gestern von Varennes nach Berlin dirigiert worden sein. Nichts
autorisiert uns, diese Nachricht für unrichtig zu erklären oder sie zu bestätigen,
aber es gibt eine Tatsache, die wir unmöglich übergehen können: es ist dies
die Wahl der Stadt, wo der König sein Hauptquartier aufgeschlagen hat. Va¬
rennes! Furchtbares Vorzeichen: dies ist der Ort, wo man Könige festnimmt!"

Als ich so in Pfaffs Buch vor dreiundvierzig Jahren nach dem Anblick
des zusammengeknickten auf Wilhelmshöhe lustwandelnder Napoleon las und
daneben die oben eingerückten prophetischen Worte des soir vom 9. August
über die entscheidenden Stunden, in denen Gott die Völker zeigen läßt, „was
sie sind und was sie vermögen", da klangen andere Worte wieder, die an
Varennes anknüpften. Sie kamen mir seit meinen Jugendjahren mehr als
einmal aus elterlichen und großelterlichem Munde zu Ohren, wenn von Frank-


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[0368] I^a Zrsnäe Nation Und obwohl am l.und 2.September 1870 der Schlag von Sedan schon geführt war, schrieb am 3. September das Pariser Journal officiel: „Das Kriegs¬ ministerium hat gestern über das Resultat des Kampfes am Donnerstag noch keine offizielle Depesche erhalten; die anderen hier eingelaufenen Nachrichten sind zu widersprechender Art, um berücksichtigt zu werden." Am Morgen des¬ selben Tages war Berlin bereits im Siegesjubel gewesen. Erst am 4. Sep¬ tember bekannte sich in Paris eine vom Gesamtministerium unterzeichnete Ansprache zu der Verkündung: „Franzosen, ein großes Unglück hat Frankreich betroffen! .... Nach dreitägigen Kampfe gegen dreihunderttausend Feinde wurden vierzigtausend Mann zu Gefangenen gemacht. . . . Der Kaiser ist zum Gefangenen gemacht. . . ." Noch am Tage zuvor schrieb das Hofjournal Patrie: „Wir erhalten über Belgien preußische Depeschen, Telegramme des Königs an die Königin, Mitteilungen von Manteuffel unterzeichnet, welche den Sieg am 30. und 31. August und am 1. September der preußischen Armee zuschreiben. Wohlan, alle diese Depeschen beunruhigen uns durchaus nicht. Wir glauben nicht daran. Wir glauben nicht daran, weil seit Beginn des Krieges der König von Preußen, seine Verwandten und seine Generale sich auf dem Papiere stets den Gewinn der Schlachten zugeschrieben haben, in denen sie tatsächlich Terrain verloren hatten. Der König Wilhelm und seine Heerführer haben in der Ver¬ gangenheit immer gelogen, deshalb können sie gegenwärtig nicht anders denn als Lügner betrachtet werden, und wir sind wahrhaftig nicht töricht genug, ihren leeren Erklärungen Glauben zu schenken. Wir bleiben dabei, daß wir am 31. August und 1. September die Schlacht gewonnen haben." Einer kleinen Verwechslung machte sich dann der Pariser Gaulois am nämlichen Tage, als der Transport des gefangenen Napoleon in deutschen Gewahrsam erfolgte, schuldig. Das Blatt ließ sich aus Varennes, der Poststation unseligen Andenkens, wo Ludwig der Sechzehnte und Marie Antoinette im Januar 1793 mit Hilfe des berüchtigten Postmeisters Drouet verhaftet wurden, um bald darauf die Pariser Guillotine zu besteigen, folgendes schreiben: „Es ist das Gerücht verbreitet, daß der König von Preußen wahnsinnig geworden ist. Der König soll gestern von Varennes nach Berlin dirigiert worden sein. Nichts autorisiert uns, diese Nachricht für unrichtig zu erklären oder sie zu bestätigen, aber es gibt eine Tatsache, die wir unmöglich übergehen können: es ist dies die Wahl der Stadt, wo der König sein Hauptquartier aufgeschlagen hat. Va¬ rennes! Furchtbares Vorzeichen: dies ist der Ort, wo man Könige festnimmt!" Als ich so in Pfaffs Buch vor dreiundvierzig Jahren nach dem Anblick des zusammengeknickten auf Wilhelmshöhe lustwandelnder Napoleon las und daneben die oben eingerückten prophetischen Worte des soir vom 9. August über die entscheidenden Stunden, in denen Gott die Völker zeigen läßt, „was sie sind und was sie vermögen", da klangen andere Worte wieder, die an Varennes anknüpften. Sie kamen mir seit meinen Jugendjahren mehr als einmal aus elterlichen und großelterlichem Munde zu Ohren, wenn von Frank-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/368>, abgerufen am 01.09.2024.