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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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I^a Zrancle Nation
von wirklichen Geheimen Rat Professor Dr. Stölzel

meer den Tatsachen, die einst die Geschichte der Entstehung des
gegenwärtigen Krieges zwischen Deutschland und Frankreich ver¬
zeichnen wird, um einen Begriff von der politischen Denkfähigkeit
unserer Gegner zu geben, wird sich vielleicht auch die finden, daß
unmittelbar vor der französischen Kriegserklärung (wie französische
Briefe nach Straßburg meldeten, um hier Stimmung für Frankreich zu machen)
"Poincarö es in seinem Edelmut über sich gebracht habe, dem deutschen Kaiser
drei Milliarden anzubieten, wenn er Frieden halte, der Kaiser habe aber sechs
Milliarden gewollt, und deshalb gebe es Krieg." Solcher Blödsinn sprießt auf
dem Boden, dessen Bewohner vierundvierzig Jahre lang durch ihre Presse gegen
uns zum Kriege gehetzt und dessen Regierung niemals gewagt hat, den durch
die beispiellosen fortdauernden Niederlagen damals herbeigeführten Friedensschluß
als für sie bindend anzuerkennen. Die in den erwähnten Briefen berichteten
Vorgänge werfen nebenher ein Licht darauf, wie wenig die Franzosen sich
für den herbeigesehnten Revanchekrieg gerüstet glaubten. Sie scheuen nicht
davor zurück, ihrer Regierung nachzusagen, sie habe versucht, mit großen Geld¬
mitteln den Krieg, den sie bald darauf erklärte, noch hinauszuschieben.

Jener Tatsache wird eine mehr erheiternde Tatsache gegenübergestellt werden
dürfen, die deutschen Ursprungs ist. Einer der mit unseren kampfesmutiger
Landesverteidigern gefüllten der feindlichen Grenze melkenden Eisenbahnwagen
hat, nachdem uns die vierte oder fünfte Kriegserklärung zugegangen war, von
einem witzigen Insassen die lapidare, weithin sichtbare Aufschrift erhalten: "Hier
werden Kriegserklärungen entgegengenommen."

Auch in schwerster ernstester Kriegszeit darf dem Humor sein bescheidener
Platz gegönnt werden; er wirkt wohltuend auf die, die freudig zu Felde ziehen,
sowie auf die, die in banger Sorge daheim bleiben. Das haben die Älteren
unter uns, die bereits in gereiften Jahren den Krieg von 1870 und 1871,
gleichviel in welcher Eigenschaft, unerlebter, jeder an sich selbst erfahren. Er
wurde in jener Zeit nicht bloß von Tagesblättern gepflegt. Es tauchten auch
ganze Bücher auf, die sich zum Ziele setzten, die geradezu unglaublich verlogenen
französischen, sogar offiziösen und offiziellen Kriegsberichte den deutschen ganz
anders lautenden gegenüberzustellen, die durch die ihnen nachfolgenden Ereignisse




I^a Zrancle Nation
von wirklichen Geheimen Rat Professor Dr. Stölzel

meer den Tatsachen, die einst die Geschichte der Entstehung des
gegenwärtigen Krieges zwischen Deutschland und Frankreich ver¬
zeichnen wird, um einen Begriff von der politischen Denkfähigkeit
unserer Gegner zu geben, wird sich vielleicht auch die finden, daß
unmittelbar vor der französischen Kriegserklärung (wie französische
Briefe nach Straßburg meldeten, um hier Stimmung für Frankreich zu machen)
„Poincarö es in seinem Edelmut über sich gebracht habe, dem deutschen Kaiser
drei Milliarden anzubieten, wenn er Frieden halte, der Kaiser habe aber sechs
Milliarden gewollt, und deshalb gebe es Krieg." Solcher Blödsinn sprießt auf
dem Boden, dessen Bewohner vierundvierzig Jahre lang durch ihre Presse gegen
uns zum Kriege gehetzt und dessen Regierung niemals gewagt hat, den durch
die beispiellosen fortdauernden Niederlagen damals herbeigeführten Friedensschluß
als für sie bindend anzuerkennen. Die in den erwähnten Briefen berichteten
Vorgänge werfen nebenher ein Licht darauf, wie wenig die Franzosen sich
für den herbeigesehnten Revanchekrieg gerüstet glaubten. Sie scheuen nicht
davor zurück, ihrer Regierung nachzusagen, sie habe versucht, mit großen Geld¬
mitteln den Krieg, den sie bald darauf erklärte, noch hinauszuschieben.

Jener Tatsache wird eine mehr erheiternde Tatsache gegenübergestellt werden
dürfen, die deutschen Ursprungs ist. Einer der mit unseren kampfesmutiger
Landesverteidigern gefüllten der feindlichen Grenze melkenden Eisenbahnwagen
hat, nachdem uns die vierte oder fünfte Kriegserklärung zugegangen war, von
einem witzigen Insassen die lapidare, weithin sichtbare Aufschrift erhalten: „Hier
werden Kriegserklärungen entgegengenommen."

Auch in schwerster ernstester Kriegszeit darf dem Humor sein bescheidener
Platz gegönnt werden; er wirkt wohltuend auf die, die freudig zu Felde ziehen,
sowie auf die, die in banger Sorge daheim bleiben. Das haben die Älteren
unter uns, die bereits in gereiften Jahren den Krieg von 1870 und 1871,
gleichviel in welcher Eigenschaft, unerlebter, jeder an sich selbst erfahren. Er
wurde in jener Zeit nicht bloß von Tagesblättern gepflegt. Es tauchten auch
ganze Bücher auf, die sich zum Ziele setzten, die geradezu unglaublich verlogenen
französischen, sogar offiziösen und offiziellen Kriegsberichte den deutschen ganz
anders lautenden gegenüberzustellen, die durch die ihnen nachfolgenden Ereignisse


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[0366] [Abbildung] I^a Zrancle Nation von wirklichen Geheimen Rat Professor Dr. Stölzel meer den Tatsachen, die einst die Geschichte der Entstehung des gegenwärtigen Krieges zwischen Deutschland und Frankreich ver¬ zeichnen wird, um einen Begriff von der politischen Denkfähigkeit unserer Gegner zu geben, wird sich vielleicht auch die finden, daß unmittelbar vor der französischen Kriegserklärung (wie französische Briefe nach Straßburg meldeten, um hier Stimmung für Frankreich zu machen) „Poincarö es in seinem Edelmut über sich gebracht habe, dem deutschen Kaiser drei Milliarden anzubieten, wenn er Frieden halte, der Kaiser habe aber sechs Milliarden gewollt, und deshalb gebe es Krieg." Solcher Blödsinn sprießt auf dem Boden, dessen Bewohner vierundvierzig Jahre lang durch ihre Presse gegen uns zum Kriege gehetzt und dessen Regierung niemals gewagt hat, den durch die beispiellosen fortdauernden Niederlagen damals herbeigeführten Friedensschluß als für sie bindend anzuerkennen. Die in den erwähnten Briefen berichteten Vorgänge werfen nebenher ein Licht darauf, wie wenig die Franzosen sich für den herbeigesehnten Revanchekrieg gerüstet glaubten. Sie scheuen nicht davor zurück, ihrer Regierung nachzusagen, sie habe versucht, mit großen Geld¬ mitteln den Krieg, den sie bald darauf erklärte, noch hinauszuschieben. Jener Tatsache wird eine mehr erheiternde Tatsache gegenübergestellt werden dürfen, die deutschen Ursprungs ist. Einer der mit unseren kampfesmutiger Landesverteidigern gefüllten der feindlichen Grenze melkenden Eisenbahnwagen hat, nachdem uns die vierte oder fünfte Kriegserklärung zugegangen war, von einem witzigen Insassen die lapidare, weithin sichtbare Aufschrift erhalten: „Hier werden Kriegserklärungen entgegengenommen." Auch in schwerster ernstester Kriegszeit darf dem Humor sein bescheidener Platz gegönnt werden; er wirkt wohltuend auf die, die freudig zu Felde ziehen, sowie auf die, die in banger Sorge daheim bleiben. Das haben die Älteren unter uns, die bereits in gereiften Jahren den Krieg von 1870 und 1871, gleichviel in welcher Eigenschaft, unerlebter, jeder an sich selbst erfahren. Er wurde in jener Zeit nicht bloß von Tagesblättern gepflegt. Es tauchten auch ganze Bücher auf, die sich zum Ziele setzten, die geradezu unglaublich verlogenen französischen, sogar offiziösen und offiziellen Kriegsberichte den deutschen ganz anders lautenden gegenüberzustellen, die durch die ihnen nachfolgenden Ereignisse

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/366>, abgerufen am 01.09.2024.