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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Japan und China

würde einer der wesentlichsten Faktoren der Gewähr für Chinas Integrität
schwinden. Kein Mensch, der den Charakter der Japaner kennt, wird sich durch
gewundene Erklärungen an ihren wahren Absichten irre machen lassen. Japan
wartet ab und wird sicher verstehen, im rechten Augenblick einzugreifen. Bei
der Unklarheit und Unbestimmtheit aller Meldungen, die nach Deutschland
gelangen, läßt sich ein zutreffendes Urteil im Augenblick nicht fällen. Immerhin
besteht Aussicht, daß Amerika sich für alle Fälle bereit hält.

Japans Schwäche liegt in seinem Geldmangel, in seiner finanziellen Ab¬
hängigkeit von England, sonst hätte es wohl schon längst gegen die amerikanische
Republik zum Schwerte gegriffen; die Wogen der Erbitterung über den Aus¬
schluß aus dem amerikanischen Kontinent sind manchmal recht hoch gegangen
und die Vereinigten Staaten haben wenig dazu beitragen können, sie zu glätten.
Die freundschaftliche Annäherung Japans an Mexiko im vergangenen Jahre
hat die Stimmung nicht gebessert.

Den Fall eines Krieges zwischen Japan und den Vereinigten Staaten
sieht das japanisch-englische Bündnis vom 13. Juni 1911 vor; es erleichtert
die Möglichkeit eines solchen Krieges dadurch, daß England sich vorbehält, nicht
gegen die Vereinigten Staaten als Verbündeter Japans das Schwert ziehen zu
müssen. Es wird also entweder neutral bleiben, oder auf die Seite der Ver¬
einigten Staaten treten, falls sein Vorteil es verlangt oder die Umstände es
gebieten.

Wie es aber auch mit der Zuverlässigkeit der aus amerikanischen Blättern
hierher gelangten Nachrichten bestellt sein mag, soviel ist gewiß, daß die allge¬
meine Lage eine Landung Japans in China und einen bewaffneten Angriff auf
diese Macht durchaus in den Bereich der Möglichkeit stellt. Damit würden sich
für die Wirkung des von England entfachten Weltbrandes sehr weite Perspektiven
eröffnen.

Die Politik, die England seit Jahren Japan gegenüber verfolgt hat, beginnt
sich zu rächen. Den dem Friedensschlüsse von Schimonoseki zugrunde liegenden
Bestrebungen, ein Gleichgewicht der Kräfte in Ostasien zu erhalten, hat es
planmäßig entgegengearbeitet. Um Rußland in Nordchina und an den Grenzen
Indiens sich selbst vom Leibe zu halten, hat es den japanisch-russischen
Krieg ermöglicht. Durch sein Ansehen glaubte es, Japans Entwicklung seinen
eigenen Wünschen entsprechend gestalten, vor allem eine ihm selbst gefährliche
Machtausdehnung des japanischen Reiches nach Belieben hemmen zu können.
Es war der Ansicht, das Land am Gängelbande zu halten; die Verbindung
ging sogar so weit, daß die Reutersche Telegraphen-Agentur sich verpflichtete,
von Japan nur amtlich zensierte Telegramme zu versenden, also eine Beeinflussungs¬
politik größten Stiles im Sinne Englands und Japans zu treiben.

Eine solche Politik war nur möglich, solange Englands Prestige unan¬
getastet dastand. Daß England mit einer ungeschwächten Dauer dieses seines
Prestiges rechnete, ist ein Zeichen arger Verblendung. Wenn neuerdings von


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Japan und China

würde einer der wesentlichsten Faktoren der Gewähr für Chinas Integrität
schwinden. Kein Mensch, der den Charakter der Japaner kennt, wird sich durch
gewundene Erklärungen an ihren wahren Absichten irre machen lassen. Japan
wartet ab und wird sicher verstehen, im rechten Augenblick einzugreifen. Bei
der Unklarheit und Unbestimmtheit aller Meldungen, die nach Deutschland
gelangen, läßt sich ein zutreffendes Urteil im Augenblick nicht fällen. Immerhin
besteht Aussicht, daß Amerika sich für alle Fälle bereit hält.

Japans Schwäche liegt in seinem Geldmangel, in seiner finanziellen Ab¬
hängigkeit von England, sonst hätte es wohl schon längst gegen die amerikanische
Republik zum Schwerte gegriffen; die Wogen der Erbitterung über den Aus¬
schluß aus dem amerikanischen Kontinent sind manchmal recht hoch gegangen
und die Vereinigten Staaten haben wenig dazu beitragen können, sie zu glätten.
Die freundschaftliche Annäherung Japans an Mexiko im vergangenen Jahre
hat die Stimmung nicht gebessert.

Den Fall eines Krieges zwischen Japan und den Vereinigten Staaten
sieht das japanisch-englische Bündnis vom 13. Juni 1911 vor; es erleichtert
die Möglichkeit eines solchen Krieges dadurch, daß England sich vorbehält, nicht
gegen die Vereinigten Staaten als Verbündeter Japans das Schwert ziehen zu
müssen. Es wird also entweder neutral bleiben, oder auf die Seite der Ver¬
einigten Staaten treten, falls sein Vorteil es verlangt oder die Umstände es
gebieten.

Wie es aber auch mit der Zuverlässigkeit der aus amerikanischen Blättern
hierher gelangten Nachrichten bestellt sein mag, soviel ist gewiß, daß die allge¬
meine Lage eine Landung Japans in China und einen bewaffneten Angriff auf
diese Macht durchaus in den Bereich der Möglichkeit stellt. Damit würden sich
für die Wirkung des von England entfachten Weltbrandes sehr weite Perspektiven
eröffnen.

Die Politik, die England seit Jahren Japan gegenüber verfolgt hat, beginnt
sich zu rächen. Den dem Friedensschlüsse von Schimonoseki zugrunde liegenden
Bestrebungen, ein Gleichgewicht der Kräfte in Ostasien zu erhalten, hat es
planmäßig entgegengearbeitet. Um Rußland in Nordchina und an den Grenzen
Indiens sich selbst vom Leibe zu halten, hat es den japanisch-russischen
Krieg ermöglicht. Durch sein Ansehen glaubte es, Japans Entwicklung seinen
eigenen Wünschen entsprechend gestalten, vor allem eine ihm selbst gefährliche
Machtausdehnung des japanischen Reiches nach Belieben hemmen zu können.
Es war der Ansicht, das Land am Gängelbande zu halten; die Verbindung
ging sogar so weit, daß die Reutersche Telegraphen-Agentur sich verpflichtete,
von Japan nur amtlich zensierte Telegramme zu versenden, also eine Beeinflussungs¬
politik größten Stiles im Sinne Englands und Japans zu treiben.

Eine solche Politik war nur möglich, solange Englands Prestige unan¬
getastet dastand. Daß England mit einer ungeschwächten Dauer dieses seines
Prestiges rechnete, ist ein Zeichen arger Verblendung. Wenn neuerdings von


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[0359] Japan und China würde einer der wesentlichsten Faktoren der Gewähr für Chinas Integrität schwinden. Kein Mensch, der den Charakter der Japaner kennt, wird sich durch gewundene Erklärungen an ihren wahren Absichten irre machen lassen. Japan wartet ab und wird sicher verstehen, im rechten Augenblick einzugreifen. Bei der Unklarheit und Unbestimmtheit aller Meldungen, die nach Deutschland gelangen, läßt sich ein zutreffendes Urteil im Augenblick nicht fällen. Immerhin besteht Aussicht, daß Amerika sich für alle Fälle bereit hält. Japans Schwäche liegt in seinem Geldmangel, in seiner finanziellen Ab¬ hängigkeit von England, sonst hätte es wohl schon längst gegen die amerikanische Republik zum Schwerte gegriffen; die Wogen der Erbitterung über den Aus¬ schluß aus dem amerikanischen Kontinent sind manchmal recht hoch gegangen und die Vereinigten Staaten haben wenig dazu beitragen können, sie zu glätten. Die freundschaftliche Annäherung Japans an Mexiko im vergangenen Jahre hat die Stimmung nicht gebessert. Den Fall eines Krieges zwischen Japan und den Vereinigten Staaten sieht das japanisch-englische Bündnis vom 13. Juni 1911 vor; es erleichtert die Möglichkeit eines solchen Krieges dadurch, daß England sich vorbehält, nicht gegen die Vereinigten Staaten als Verbündeter Japans das Schwert ziehen zu müssen. Es wird also entweder neutral bleiben, oder auf die Seite der Ver¬ einigten Staaten treten, falls sein Vorteil es verlangt oder die Umstände es gebieten. Wie es aber auch mit der Zuverlässigkeit der aus amerikanischen Blättern hierher gelangten Nachrichten bestellt sein mag, soviel ist gewiß, daß die allge¬ meine Lage eine Landung Japans in China und einen bewaffneten Angriff auf diese Macht durchaus in den Bereich der Möglichkeit stellt. Damit würden sich für die Wirkung des von England entfachten Weltbrandes sehr weite Perspektiven eröffnen. Die Politik, die England seit Jahren Japan gegenüber verfolgt hat, beginnt sich zu rächen. Den dem Friedensschlüsse von Schimonoseki zugrunde liegenden Bestrebungen, ein Gleichgewicht der Kräfte in Ostasien zu erhalten, hat es planmäßig entgegengearbeitet. Um Rußland in Nordchina und an den Grenzen Indiens sich selbst vom Leibe zu halten, hat es den japanisch-russischen Krieg ermöglicht. Durch sein Ansehen glaubte es, Japans Entwicklung seinen eigenen Wünschen entsprechend gestalten, vor allem eine ihm selbst gefährliche Machtausdehnung des japanischen Reiches nach Belieben hemmen zu können. Es war der Ansicht, das Land am Gängelbande zu halten; die Verbindung ging sogar so weit, daß die Reutersche Telegraphen-Agentur sich verpflichtete, von Japan nur amtlich zensierte Telegramme zu versenden, also eine Beeinflussungs¬ politik größten Stiles im Sinne Englands und Japans zu treiben. Eine solche Politik war nur möglich, solange Englands Prestige unan¬ getastet dastand. Daß England mit einer ungeschwächten Dauer dieses seines Prestiges rechnete, ist ein Zeichen arger Verblendung. Wenn neuerdings von 24*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/359>, abgerufen am 28.07.2024.