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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Japan und Lhina

Nun haben die Wühlereien gewisser Mächte, besonders Japans, hinter
dem England stand, und Frankreichs, das offen seine Geldmittel hergab, China
in den letzten Jahren in eine Reihe von Revolutionen gestürzt, an deren
grausamen Folgen Regierung und Volk noch jetzt leiden. Die Zügel der Re¬
gierung liegen, wie wir wissen, in den Händen Manschihkais, eines begabten,
kundigen und willenstarken Diktators. Nur äußerlich ist die tiefe Kluft, die
zwischen dem Süd- und Nordchinesen besteht, überbrückt; große Bestechungs¬
gelder waren nötig, um die Provinz Kanton während der letzten Revolution
von einem tätigen Eingreifen gegen die Zentralgewalt abzuhalten.

Manschihkai vermag sich nur dadurch zu behaupten, daß er seinen Heer¬
führern den Willen läßt und ihnen reiche Mittel zur Verfügung stellt. Genügen
die Truppen auch, die Bevölkerung in Schach zu halten, so ist doch kaum
daran zu denken, daß sie einem geschulten Gegner wie den Japanern, gewachsen
sind, besonders zu einer Zeit, wo der Zusammenbruch des nur mühsam gefügte"
Riesenbaus durch irgendeinen äußeren Anstoß befürchtet werden muß.
Denn darüber sollte man sich keiner Täuschung hingeben, daß trotz gemeinsamer
Abstammung, Sprache und Sitte die Abneigung des Südens gegen den Norden
vielfach dem Hasse gleichkommt. Die Verständnislosigkeit, mit der beide einander
gegenüberstehen, hat sich in den letzten Jahren nur vertieft und die Erbitterung
der Südchinesen durch das Einsetzen der Reaktion in Peking verschärft.

Würde Japan in diesem Augenblicke über China herfallen, so ist der
Ausgang kaum zweifelhaft. Selbst, wenn ein direktes Einverständnis zwischen
Japan und den Mächten der Triple-Entente und eine Abmachung über die
Verteilung der Beute nicht vorliegen sollte, so sind die drei Mächte zurzeit doch
so sehr in Europa gebunden, daß, falls Japan eigenmächtig handeln sollte,
keine ihm in den Arm zu fallen vermag.

Nur eine Nation gibt es, die Einspruch erheben könnte, nämlich die Ver¬
einigten Staaten von Amerika. Sie haben neben Deutschland an der Integrität
Chinas bis jetzt das größte Interesse gehabt und sich als die wärmsten
Fürsprecher einer Erhaltung der offenen Tür in diesem Völkergemisch erwiesen.
Eine Verschiebung der Machtverhältnisse zu seinen Ungunsten würde das Volk
auf den Plan rufen. In den Philippinen besitzt zudem Amerika eine Basis,
von der aus ein Eingreifen sich unschwer bewerkstelligen ließe. Ohne Zweifel
haben bereits Verhandlungen zwischen den beiden Mächten stattgefunden.
Amerikanischen Telegrammen zufolge hat Japan versprochen, keine Gebiets¬
erweiterungen zu suchen und die Integrität der Republik zu wahren. Japan
hat erklärt, in Übereinstimmung mit den Bestimmungen des japanisch-englischen
Bündnisvertrages handeln zu wollen, der sich zur Aufgabe stelle, die Interessen
aller Mächte in China in gleicher Weise zu schützen.

Nun ist auch Deutschland eine vertraglich anerkannte Macht in China und
die Überlassung gewisser Stützpunkte an verschiedene europäische Mächte beruhen
auf den gleichen Voraussetzungen. Durch Schwächung des deutschen Einflusses


Japan und Lhina

Nun haben die Wühlereien gewisser Mächte, besonders Japans, hinter
dem England stand, und Frankreichs, das offen seine Geldmittel hergab, China
in den letzten Jahren in eine Reihe von Revolutionen gestürzt, an deren
grausamen Folgen Regierung und Volk noch jetzt leiden. Die Zügel der Re¬
gierung liegen, wie wir wissen, in den Händen Manschihkais, eines begabten,
kundigen und willenstarken Diktators. Nur äußerlich ist die tiefe Kluft, die
zwischen dem Süd- und Nordchinesen besteht, überbrückt; große Bestechungs¬
gelder waren nötig, um die Provinz Kanton während der letzten Revolution
von einem tätigen Eingreifen gegen die Zentralgewalt abzuhalten.

Manschihkai vermag sich nur dadurch zu behaupten, daß er seinen Heer¬
führern den Willen läßt und ihnen reiche Mittel zur Verfügung stellt. Genügen
die Truppen auch, die Bevölkerung in Schach zu halten, so ist doch kaum
daran zu denken, daß sie einem geschulten Gegner wie den Japanern, gewachsen
sind, besonders zu einer Zeit, wo der Zusammenbruch des nur mühsam gefügte»
Riesenbaus durch irgendeinen äußeren Anstoß befürchtet werden muß.
Denn darüber sollte man sich keiner Täuschung hingeben, daß trotz gemeinsamer
Abstammung, Sprache und Sitte die Abneigung des Südens gegen den Norden
vielfach dem Hasse gleichkommt. Die Verständnislosigkeit, mit der beide einander
gegenüberstehen, hat sich in den letzten Jahren nur vertieft und die Erbitterung
der Südchinesen durch das Einsetzen der Reaktion in Peking verschärft.

Würde Japan in diesem Augenblicke über China herfallen, so ist der
Ausgang kaum zweifelhaft. Selbst, wenn ein direktes Einverständnis zwischen
Japan und den Mächten der Triple-Entente und eine Abmachung über die
Verteilung der Beute nicht vorliegen sollte, so sind die drei Mächte zurzeit doch
so sehr in Europa gebunden, daß, falls Japan eigenmächtig handeln sollte,
keine ihm in den Arm zu fallen vermag.

Nur eine Nation gibt es, die Einspruch erheben könnte, nämlich die Ver¬
einigten Staaten von Amerika. Sie haben neben Deutschland an der Integrität
Chinas bis jetzt das größte Interesse gehabt und sich als die wärmsten
Fürsprecher einer Erhaltung der offenen Tür in diesem Völkergemisch erwiesen.
Eine Verschiebung der Machtverhältnisse zu seinen Ungunsten würde das Volk
auf den Plan rufen. In den Philippinen besitzt zudem Amerika eine Basis,
von der aus ein Eingreifen sich unschwer bewerkstelligen ließe. Ohne Zweifel
haben bereits Verhandlungen zwischen den beiden Mächten stattgefunden.
Amerikanischen Telegrammen zufolge hat Japan versprochen, keine Gebiets¬
erweiterungen zu suchen und die Integrität der Republik zu wahren. Japan
hat erklärt, in Übereinstimmung mit den Bestimmungen des japanisch-englischen
Bündnisvertrages handeln zu wollen, der sich zur Aufgabe stelle, die Interessen
aller Mächte in China in gleicher Weise zu schützen.

Nun ist auch Deutschland eine vertraglich anerkannte Macht in China und
die Überlassung gewisser Stützpunkte an verschiedene europäische Mächte beruhen
auf den gleichen Voraussetzungen. Durch Schwächung des deutschen Einflusses


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[0358] Japan und Lhina Nun haben die Wühlereien gewisser Mächte, besonders Japans, hinter dem England stand, und Frankreichs, das offen seine Geldmittel hergab, China in den letzten Jahren in eine Reihe von Revolutionen gestürzt, an deren grausamen Folgen Regierung und Volk noch jetzt leiden. Die Zügel der Re¬ gierung liegen, wie wir wissen, in den Händen Manschihkais, eines begabten, kundigen und willenstarken Diktators. Nur äußerlich ist die tiefe Kluft, die zwischen dem Süd- und Nordchinesen besteht, überbrückt; große Bestechungs¬ gelder waren nötig, um die Provinz Kanton während der letzten Revolution von einem tätigen Eingreifen gegen die Zentralgewalt abzuhalten. Manschihkai vermag sich nur dadurch zu behaupten, daß er seinen Heer¬ führern den Willen läßt und ihnen reiche Mittel zur Verfügung stellt. Genügen die Truppen auch, die Bevölkerung in Schach zu halten, so ist doch kaum daran zu denken, daß sie einem geschulten Gegner wie den Japanern, gewachsen sind, besonders zu einer Zeit, wo der Zusammenbruch des nur mühsam gefügte» Riesenbaus durch irgendeinen äußeren Anstoß befürchtet werden muß. Denn darüber sollte man sich keiner Täuschung hingeben, daß trotz gemeinsamer Abstammung, Sprache und Sitte die Abneigung des Südens gegen den Norden vielfach dem Hasse gleichkommt. Die Verständnislosigkeit, mit der beide einander gegenüberstehen, hat sich in den letzten Jahren nur vertieft und die Erbitterung der Südchinesen durch das Einsetzen der Reaktion in Peking verschärft. Würde Japan in diesem Augenblicke über China herfallen, so ist der Ausgang kaum zweifelhaft. Selbst, wenn ein direktes Einverständnis zwischen Japan und den Mächten der Triple-Entente und eine Abmachung über die Verteilung der Beute nicht vorliegen sollte, so sind die drei Mächte zurzeit doch so sehr in Europa gebunden, daß, falls Japan eigenmächtig handeln sollte, keine ihm in den Arm zu fallen vermag. Nur eine Nation gibt es, die Einspruch erheben könnte, nämlich die Ver¬ einigten Staaten von Amerika. Sie haben neben Deutschland an der Integrität Chinas bis jetzt das größte Interesse gehabt und sich als die wärmsten Fürsprecher einer Erhaltung der offenen Tür in diesem Völkergemisch erwiesen. Eine Verschiebung der Machtverhältnisse zu seinen Ungunsten würde das Volk auf den Plan rufen. In den Philippinen besitzt zudem Amerika eine Basis, von der aus ein Eingreifen sich unschwer bewerkstelligen ließe. Ohne Zweifel haben bereits Verhandlungen zwischen den beiden Mächten stattgefunden. Amerikanischen Telegrammen zufolge hat Japan versprochen, keine Gebiets¬ erweiterungen zu suchen und die Integrität der Republik zu wahren. Japan hat erklärt, in Übereinstimmung mit den Bestimmungen des japanisch-englischen Bündnisvertrages handeln zu wollen, der sich zur Aufgabe stelle, die Interessen aller Mächte in China in gleicher Weise zu schützen. Nun ist auch Deutschland eine vertraglich anerkannte Macht in China und die Überlassung gewisser Stützpunkte an verschiedene europäische Mächte beruhen auf den gleichen Voraussetzungen. Durch Schwächung des deutschen Einflusses

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/358>, abgerufen am 28.07.2024.