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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Von der Airche des Geistes

die beiden folgenden Abschnitte gewidmet (S. 33 bis 40). in denen als die
beiden Hauptübel des heutigen Kirchentums genannt werden: Veräußerlichung
und Verengung. Die Entwicklung der Kirche nach außen und nach unten ent¬
fremdet ihr heute viele der Besten, Religiösesten. "Unsere heutige Zeit ist
religiös ... Es ist nicht die Schuld der Suchenden unserer Tage, wenn
ihnen die abgegriffenem Münzen der herkömmlichen religiösen Ausdruckswelt
nicht mehr entsprechen und sie neue Prägungen suchen. Sicherlich rechnet sich
mancher nur deshalb zu den Atheisten, weil ihm die unreligiösen Empfindungen
und die anthropomorphen Vorstellungen, die sich an den monotheistischen Gottes¬
begriff anschließen können, unangenehm sind. Aber wenn er tiefer schaute, würde
er entdecken, daß auch er ein Gottesgläubiger ist. da ihm Gott mehr ist als
Natur und Welt, ein die natürliche Bestimmung des Menschendaseins über¬
ragendes Ziel sittlichen Strebens" (S. 35). Man legt heute viel zu viel Wert
auf das "Herr-Herr.Sprechen", auf das laute Rufen und Schreien und
das Zumarktetragen der Frömmigkeit und des Glaubens, was doch eine
Sache von allerpersönlichster Natur ist und sich am liebsten keusch verbirgt.
Würde man den anderen Maßstab anlegen, den der Liebe in Tat und Wahrheit
statt in Worten, dann könnte man wahrscheinlich sagen wie Christus: "Wahrlich
solchen Glauben habe ich in Israel nicht gefunden." Wie weit ab man im
heutigen Katholizismus von der "Kirche des Geistes" gekommen ist. das zeigt
sich nirgends deutlicher als an der engherzigen Verketzerungssucht. die überall
indiziert und exkommuniziert. "Der Geist des Ketzerrichtens, des Anathema-
rufens hat nichts von der weckenden und hegenden Kraft, die Jesus verkündet.
Statt auch die kleinsten und schwächlichsten Keime zu hegen, tritt er sie tot und
die unzähligen glimmenden Dochte des Strebens nach Güte und Wahrheit in
unseren Tagen löscht er alle aus. Den ganzen Seelenfrühling unserer Zeit mit
seinem oft rätselhaften Drängen und Treiben sucht dieser Geist zu töten mit
den Eisschauern seiner kirchlichen Verordnungen, seiner Modernistenverfolgung
und seiner Verdammungen" (S. 39). Das Programm der Glieder der Geistes¬
kirche aber heißt, entsprechend der Lehre dessen, der das geknickte Rohr nicht
Zerbricht und den glimmenden Docht nicht auslöscht: "Mit zarter Hand müssen
wir um uns alles Keimende schützen und fördern und mit dem Hauch herzlicher
Liebe in unserem zugewiesenen Kreise die Wärme verbreiten, in der allein das
ewige Leben des Geistes gedeiht..... Wir dürfen nicht das Fehlerhafte an
unserem Nachbar schärfer sehen als das Gute; nicht an dessen Bösem sollen
wir hängen bleiben, sondern, soweit es uns möglich ist. ihm davon weg- und
zum Guten weiterhelfen" (S. 39).

Nach solchen grundsätzlichen Erörterungen über aktuelle religiöse und kirch¬
liche Probleme bringt die Schrift eine Reihe von ansprechenden Betrachtungen
über die Grundfragen und -forderungen des religiösen Lebens, in leichtem
Anschluß an das Kirchenjahr, in dessen Festideen sich ja gewissermaßen das
Leben Jesu auf unser religiöses Leben reflektiert. Sie verraten alle gründliche


Von der Airche des Geistes

die beiden folgenden Abschnitte gewidmet (S. 33 bis 40). in denen als die
beiden Hauptübel des heutigen Kirchentums genannt werden: Veräußerlichung
und Verengung. Die Entwicklung der Kirche nach außen und nach unten ent¬
fremdet ihr heute viele der Besten, Religiösesten. „Unsere heutige Zeit ist
religiös ... Es ist nicht die Schuld der Suchenden unserer Tage, wenn
ihnen die abgegriffenem Münzen der herkömmlichen religiösen Ausdruckswelt
nicht mehr entsprechen und sie neue Prägungen suchen. Sicherlich rechnet sich
mancher nur deshalb zu den Atheisten, weil ihm die unreligiösen Empfindungen
und die anthropomorphen Vorstellungen, die sich an den monotheistischen Gottes¬
begriff anschließen können, unangenehm sind. Aber wenn er tiefer schaute, würde
er entdecken, daß auch er ein Gottesgläubiger ist. da ihm Gott mehr ist als
Natur und Welt, ein die natürliche Bestimmung des Menschendaseins über¬
ragendes Ziel sittlichen Strebens" (S. 35). Man legt heute viel zu viel Wert
auf das „Herr-Herr.Sprechen", auf das laute Rufen und Schreien und
das Zumarktetragen der Frömmigkeit und des Glaubens, was doch eine
Sache von allerpersönlichster Natur ist und sich am liebsten keusch verbirgt.
Würde man den anderen Maßstab anlegen, den der Liebe in Tat und Wahrheit
statt in Worten, dann könnte man wahrscheinlich sagen wie Christus: „Wahrlich
solchen Glauben habe ich in Israel nicht gefunden." Wie weit ab man im
heutigen Katholizismus von der „Kirche des Geistes" gekommen ist. das zeigt
sich nirgends deutlicher als an der engherzigen Verketzerungssucht. die überall
indiziert und exkommuniziert. „Der Geist des Ketzerrichtens, des Anathema-
rufens hat nichts von der weckenden und hegenden Kraft, die Jesus verkündet.
Statt auch die kleinsten und schwächlichsten Keime zu hegen, tritt er sie tot und
die unzähligen glimmenden Dochte des Strebens nach Güte und Wahrheit in
unseren Tagen löscht er alle aus. Den ganzen Seelenfrühling unserer Zeit mit
seinem oft rätselhaften Drängen und Treiben sucht dieser Geist zu töten mit
den Eisschauern seiner kirchlichen Verordnungen, seiner Modernistenverfolgung
und seiner Verdammungen" (S. 39). Das Programm der Glieder der Geistes¬
kirche aber heißt, entsprechend der Lehre dessen, der das geknickte Rohr nicht
Zerbricht und den glimmenden Docht nicht auslöscht: „Mit zarter Hand müssen
wir um uns alles Keimende schützen und fördern und mit dem Hauch herzlicher
Liebe in unserem zugewiesenen Kreise die Wärme verbreiten, in der allein das
ewige Leben des Geistes gedeiht..... Wir dürfen nicht das Fehlerhafte an
unserem Nachbar schärfer sehen als das Gute; nicht an dessen Bösem sollen
wir hängen bleiben, sondern, soweit es uns möglich ist. ihm davon weg- und
zum Guten weiterhelfen" (S. 39).

Nach solchen grundsätzlichen Erörterungen über aktuelle religiöse und kirch¬
liche Probleme bringt die Schrift eine Reihe von ansprechenden Betrachtungen
über die Grundfragen und -forderungen des religiösen Lebens, in leichtem
Anschluß an das Kirchenjahr, in dessen Festideen sich ja gewissermaßen das
Leben Jesu auf unser religiöses Leben reflektiert. Sie verraten alle gründliche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/35>, abgerufen am 27.07.2024.