Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
vom Charakter der Franzosen

Und noch etwas kommt hinzu, was unbestreitbar ist: die Galanterie gegen
die Dame, besonders wenn sie jung und hübsch ist. Aber man werde sich klar
darüber, daß diese Galanterie etwas Verschiedenes von einer gegen alle Menschen
gleichmäßig geübten Höflichkeit ist. Steht jemand in der Elektrischen vor ewcm
müden alten Manne oder einem alten Weiberl auf, so ist das Herzensgüte und
wirkliches, inneres Gefühl; macht er dagegen einer hübschen jungen Dame Platz,
um einen Blick ihres Auges zu erschmeicheln, so braucht das so wenig eine
Tugend zu sein oder von innerer Höflichkeit und Zuvorkommenheit zu zeugen,
als es eine Tugend ist, wenn einer die neusten englischen Moden und die
raffiniertesten, auffallendsten Kravatten trägt. Es ist nun ohne Zweifel richtig,
daß der Franzose, was Galanterie gegen die Dame anlangt, dem Deutschen
über ist, aber es verbirgt sich dahinter noch ganz anderes als Höflichkeit. Gewiß,
törichte junge Gänslein mögen sich dadurch berücken lassen, und in der Tat habe
ich oft genug junge Franzosen mit beißendstem Spott höhnen hören, wie billig
und leicht deutsche Mädchen mit dem Zuckerwasser der albernsten Galanterie zu
sangen wären. Aber feinere und kluge Frauen empfinden diese zudringliche
Höflichkeit, wie mir eine weitgereiste Dame einmal sagte, als "Unanständigkeit".
"Ich weiß nicht, was widerlicher ist, offen und plump geäußerte Begehrlichkeit
oder diese verkappte, verzuckerte und im Grunde rein konventionelle", fügte sie hinzu.

' Nein, es muß mit aller Schärfe gerade vor Deutschen einmal ausgesprochen
werden: es gibt in Europa kein Volk, das im tiefsten Kern so unhöflich, so
unliebenswürdig und so unverschämt ist wie die Franzosen. Um den wahren
Charakter eines Volkes kennen zu lernen, muß man den Bauernstand kennen,
der der Gruudstamm ist, auf den alle feineren Kulturformen nur aufgepfropft
werden. Aber im französischen Bauernstand, in der kleinen Bourgeoisie, da
findet man nichts, aber auch gar nichts von der gutmütigen Freundlichkeit des
süddeutschen Bauern oder der kernfesten, strengen Rechtschaffenheit des Nord¬
deutschen, auch nichts von der "breiten Natur" des gewöhnlichen Russen; der
französische Bauer ist kleinlich, geizig und boshaft. Weis nicht glaubt, lese
darüber auch französische Autoren nach. Balzac ist die beste Autorität. Wer
Zolas "Erde" für zu dick aufgetragen hält, lese Maupassants Novellen, wie
dort der Bauer, der Kleinbürger, überhaupt das "Volk" gezeichnet werden!
Maupassant, der kannte seine Landsleute! Wer es gelernt hat, hinter den
trügerischen Schleier, den die wundervolle, von feinen Aristokraten gewirkte
Sprache noch immer über dies Volksleben breitet, hindurchzusehen, wer sich nicht
blenden läßt durch konventionelle und erlernte Redensarten und Formen, der
wird zugestehen müssen, daß nirgends in der Welt soviel Mißgunst, Kleinlichkeit
und Bosheit sich finden, als in dieser Mittelwelt, die das wahre Frankreich ist,
während die Pariser Boulevardwelt nur ein Prunkgewächs ist, das allerdings
jenem Boden entstammt. Ich spreche hier nicht als Deutscher, der auf nationale
Feindschaft gestoßen ist; ich bin weder dem äußeren Typus nach noch der Sprache
nach drüben je für einen Deutschen gehalten worden und habe doch, von Aus-


vom Charakter der Franzosen

Und noch etwas kommt hinzu, was unbestreitbar ist: die Galanterie gegen
die Dame, besonders wenn sie jung und hübsch ist. Aber man werde sich klar
darüber, daß diese Galanterie etwas Verschiedenes von einer gegen alle Menschen
gleichmäßig geübten Höflichkeit ist. Steht jemand in der Elektrischen vor ewcm
müden alten Manne oder einem alten Weiberl auf, so ist das Herzensgüte und
wirkliches, inneres Gefühl; macht er dagegen einer hübschen jungen Dame Platz,
um einen Blick ihres Auges zu erschmeicheln, so braucht das so wenig eine
Tugend zu sein oder von innerer Höflichkeit und Zuvorkommenheit zu zeugen,
als es eine Tugend ist, wenn einer die neusten englischen Moden und die
raffiniertesten, auffallendsten Kravatten trägt. Es ist nun ohne Zweifel richtig,
daß der Franzose, was Galanterie gegen die Dame anlangt, dem Deutschen
über ist, aber es verbirgt sich dahinter noch ganz anderes als Höflichkeit. Gewiß,
törichte junge Gänslein mögen sich dadurch berücken lassen, und in der Tat habe
ich oft genug junge Franzosen mit beißendstem Spott höhnen hören, wie billig
und leicht deutsche Mädchen mit dem Zuckerwasser der albernsten Galanterie zu
sangen wären. Aber feinere und kluge Frauen empfinden diese zudringliche
Höflichkeit, wie mir eine weitgereiste Dame einmal sagte, als „Unanständigkeit".
„Ich weiß nicht, was widerlicher ist, offen und plump geäußerte Begehrlichkeit
oder diese verkappte, verzuckerte und im Grunde rein konventionelle", fügte sie hinzu.

' Nein, es muß mit aller Schärfe gerade vor Deutschen einmal ausgesprochen
werden: es gibt in Europa kein Volk, das im tiefsten Kern so unhöflich, so
unliebenswürdig und so unverschämt ist wie die Franzosen. Um den wahren
Charakter eines Volkes kennen zu lernen, muß man den Bauernstand kennen,
der der Gruudstamm ist, auf den alle feineren Kulturformen nur aufgepfropft
werden. Aber im französischen Bauernstand, in der kleinen Bourgeoisie, da
findet man nichts, aber auch gar nichts von der gutmütigen Freundlichkeit des
süddeutschen Bauern oder der kernfesten, strengen Rechtschaffenheit des Nord¬
deutschen, auch nichts von der „breiten Natur" des gewöhnlichen Russen; der
französische Bauer ist kleinlich, geizig und boshaft. Weis nicht glaubt, lese
darüber auch französische Autoren nach. Balzac ist die beste Autorität. Wer
Zolas „Erde" für zu dick aufgetragen hält, lese Maupassants Novellen, wie
dort der Bauer, der Kleinbürger, überhaupt das „Volk" gezeichnet werden!
Maupassant, der kannte seine Landsleute! Wer es gelernt hat, hinter den
trügerischen Schleier, den die wundervolle, von feinen Aristokraten gewirkte
Sprache noch immer über dies Volksleben breitet, hindurchzusehen, wer sich nicht
blenden läßt durch konventionelle und erlernte Redensarten und Formen, der
wird zugestehen müssen, daß nirgends in der Welt soviel Mißgunst, Kleinlichkeit
und Bosheit sich finden, als in dieser Mittelwelt, die das wahre Frankreich ist,
während die Pariser Boulevardwelt nur ein Prunkgewächs ist, das allerdings
jenem Boden entstammt. Ich spreche hier nicht als Deutscher, der auf nationale
Feindschaft gestoßen ist; ich bin weder dem äußeren Typus nach noch der Sprache
nach drüben je für einen Deutschen gehalten worden und habe doch, von Aus-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0340" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/329074"/>
          <fw type="header" place="top"> vom Charakter der Franzosen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1159"> Und noch etwas kommt hinzu, was unbestreitbar ist: die Galanterie gegen<lb/>
die Dame, besonders wenn sie jung und hübsch ist. Aber man werde sich klar<lb/>
darüber, daß diese Galanterie etwas Verschiedenes von einer gegen alle Menschen<lb/>
gleichmäßig geübten Höflichkeit ist. Steht jemand in der Elektrischen vor ewcm<lb/>
müden alten Manne oder einem alten Weiberl auf, so ist das Herzensgüte und<lb/>
wirkliches, inneres Gefühl; macht er dagegen einer hübschen jungen Dame Platz,<lb/>
um einen Blick ihres Auges zu erschmeicheln, so braucht das so wenig eine<lb/>
Tugend zu sein oder von innerer Höflichkeit und Zuvorkommenheit zu zeugen,<lb/>
als es eine Tugend ist, wenn einer die neusten englischen Moden und die<lb/>
raffiniertesten, auffallendsten Kravatten trägt. Es ist nun ohne Zweifel richtig,<lb/>
daß der Franzose, was Galanterie gegen die Dame anlangt, dem Deutschen<lb/>
über ist, aber es verbirgt sich dahinter noch ganz anderes als Höflichkeit. Gewiß,<lb/>
törichte junge Gänslein mögen sich dadurch berücken lassen, und in der Tat habe<lb/>
ich oft genug junge Franzosen mit beißendstem Spott höhnen hören, wie billig<lb/>
und leicht deutsche Mädchen mit dem Zuckerwasser der albernsten Galanterie zu<lb/>
sangen wären. Aber feinere und kluge Frauen empfinden diese zudringliche<lb/>
Höflichkeit, wie mir eine weitgereiste Dame einmal sagte, als &#x201E;Unanständigkeit".<lb/>
&#x201E;Ich weiß nicht, was widerlicher ist, offen und plump geäußerte Begehrlichkeit<lb/>
oder diese verkappte, verzuckerte und im Grunde rein konventionelle", fügte sie hinzu.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1160" next="#ID_1161"> ' Nein, es muß mit aller Schärfe gerade vor Deutschen einmal ausgesprochen<lb/>
werden: es gibt in Europa kein Volk, das im tiefsten Kern so unhöflich, so<lb/>
unliebenswürdig und so unverschämt ist wie die Franzosen. Um den wahren<lb/>
Charakter eines Volkes kennen zu lernen, muß man den Bauernstand kennen,<lb/>
der der Gruudstamm ist, auf den alle feineren Kulturformen nur aufgepfropft<lb/>
werden. Aber im französischen Bauernstand, in der kleinen Bourgeoisie, da<lb/>
findet man nichts, aber auch gar nichts von der gutmütigen Freundlichkeit des<lb/>
süddeutschen Bauern oder der kernfesten, strengen Rechtschaffenheit des Nord¬<lb/>
deutschen, auch nichts von der &#x201E;breiten Natur" des gewöhnlichen Russen; der<lb/>
französische Bauer ist kleinlich, geizig und boshaft. Weis nicht glaubt, lese<lb/>
darüber auch französische Autoren nach. Balzac ist die beste Autorität. Wer<lb/>
Zolas &#x201E;Erde" für zu dick aufgetragen hält, lese Maupassants Novellen, wie<lb/>
dort der Bauer, der Kleinbürger, überhaupt das &#x201E;Volk" gezeichnet werden!<lb/>
Maupassant, der kannte seine Landsleute! Wer es gelernt hat, hinter den<lb/>
trügerischen Schleier, den die wundervolle, von feinen Aristokraten gewirkte<lb/>
Sprache noch immer über dies Volksleben breitet, hindurchzusehen, wer sich nicht<lb/>
blenden läßt durch konventionelle und erlernte Redensarten und Formen, der<lb/>
wird zugestehen müssen, daß nirgends in der Welt soviel Mißgunst, Kleinlichkeit<lb/>
und Bosheit sich finden, als in dieser Mittelwelt, die das wahre Frankreich ist,<lb/>
während die Pariser Boulevardwelt nur ein Prunkgewächs ist, das allerdings<lb/>
jenem Boden entstammt. Ich spreche hier nicht als Deutscher, der auf nationale<lb/>
Feindschaft gestoßen ist; ich bin weder dem äußeren Typus nach noch der Sprache<lb/>
nach drüben je für einen Deutschen gehalten worden und habe doch, von Aus-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0340] vom Charakter der Franzosen Und noch etwas kommt hinzu, was unbestreitbar ist: die Galanterie gegen die Dame, besonders wenn sie jung und hübsch ist. Aber man werde sich klar darüber, daß diese Galanterie etwas Verschiedenes von einer gegen alle Menschen gleichmäßig geübten Höflichkeit ist. Steht jemand in der Elektrischen vor ewcm müden alten Manne oder einem alten Weiberl auf, so ist das Herzensgüte und wirkliches, inneres Gefühl; macht er dagegen einer hübschen jungen Dame Platz, um einen Blick ihres Auges zu erschmeicheln, so braucht das so wenig eine Tugend zu sein oder von innerer Höflichkeit und Zuvorkommenheit zu zeugen, als es eine Tugend ist, wenn einer die neusten englischen Moden und die raffiniertesten, auffallendsten Kravatten trägt. Es ist nun ohne Zweifel richtig, daß der Franzose, was Galanterie gegen die Dame anlangt, dem Deutschen über ist, aber es verbirgt sich dahinter noch ganz anderes als Höflichkeit. Gewiß, törichte junge Gänslein mögen sich dadurch berücken lassen, und in der Tat habe ich oft genug junge Franzosen mit beißendstem Spott höhnen hören, wie billig und leicht deutsche Mädchen mit dem Zuckerwasser der albernsten Galanterie zu sangen wären. Aber feinere und kluge Frauen empfinden diese zudringliche Höflichkeit, wie mir eine weitgereiste Dame einmal sagte, als „Unanständigkeit". „Ich weiß nicht, was widerlicher ist, offen und plump geäußerte Begehrlichkeit oder diese verkappte, verzuckerte und im Grunde rein konventionelle", fügte sie hinzu. ' Nein, es muß mit aller Schärfe gerade vor Deutschen einmal ausgesprochen werden: es gibt in Europa kein Volk, das im tiefsten Kern so unhöflich, so unliebenswürdig und so unverschämt ist wie die Franzosen. Um den wahren Charakter eines Volkes kennen zu lernen, muß man den Bauernstand kennen, der der Gruudstamm ist, auf den alle feineren Kulturformen nur aufgepfropft werden. Aber im französischen Bauernstand, in der kleinen Bourgeoisie, da findet man nichts, aber auch gar nichts von der gutmütigen Freundlichkeit des süddeutschen Bauern oder der kernfesten, strengen Rechtschaffenheit des Nord¬ deutschen, auch nichts von der „breiten Natur" des gewöhnlichen Russen; der französische Bauer ist kleinlich, geizig und boshaft. Weis nicht glaubt, lese darüber auch französische Autoren nach. Balzac ist die beste Autorität. Wer Zolas „Erde" für zu dick aufgetragen hält, lese Maupassants Novellen, wie dort der Bauer, der Kleinbürger, überhaupt das „Volk" gezeichnet werden! Maupassant, der kannte seine Landsleute! Wer es gelernt hat, hinter den trügerischen Schleier, den die wundervolle, von feinen Aristokraten gewirkte Sprache noch immer über dies Volksleben breitet, hindurchzusehen, wer sich nicht blenden läßt durch konventionelle und erlernte Redensarten und Formen, der wird zugestehen müssen, daß nirgends in der Welt soviel Mißgunst, Kleinlichkeit und Bosheit sich finden, als in dieser Mittelwelt, die das wahre Frankreich ist, während die Pariser Boulevardwelt nur ein Prunkgewächs ist, das allerdings jenem Boden entstammt. Ich spreche hier nicht als Deutscher, der auf nationale Feindschaft gestoßen ist; ich bin weder dem äußeren Typus nach noch der Sprache nach drüben je für einen Deutschen gehalten worden und habe doch, von Aus-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/340
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/340>, abgerufen am 23.12.2024.