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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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vom Charakter der Franzosen

wo das "Volk" obenauf kam, und die dritte Republik ist das beste Beispiel
dafür, wie ein ursprünglich von vornehmem Geiste imprägniertes Volk diesen
äußeren Lack von Jahr zu Jahr mehr abgesprengt hat und von Jahr zu Jahr
nicht verbürgerlicht, nein, verpöbelt ist. Gibt es in der Welt ein unvornehmeres
Staatengebilde als diese Republik der Krämer und Radauadvokaten, wo Ehr¬
geiz, Korruption und schmutzigste Intrige dominieren, wie unzählige Skandal¬
affären nur allzudeutlich gezeigt haben?

Was die Welt noch immer über den wahren. Charakter der Franzosen
täuscht, sind gewisse äußere Formsn, die noch von den früheren aristokratisch
durchgebildeten Zeiten her bestehen, und ist vor allem die Sprache, die in
tausend Redewendungen noch heute den alten Geist konserviert, auch dort noch,
wo sie im Bourgeois- und Apachenmunde weiterlebt. Diese Sprache, die von
allen Sprachen noch heute am meisten in anderen Ländern studiert wird, ist es
in der Tat, die die alte Gloriole der Vornehmheit den Franzosen noch heute
erhalten hat. Dieses wundervoll geschliffene Kunstwerk, das vielleicht nicht die
sinnfällig klangvollste und reichste, aber die durchgeistigste und bis zum höchsten
Raffinement verfeinerte Ausdrucksform ist, welche die heutige Welt kennt, ist
geschaffen und veredelt worden in den Thronsälen der Bourbonenkönige und
den Salons ihres Adels; sie hat auch noch heute etwas von dem alten Glanz
bewahrt, wie ein kostbarer Gobelin aus Fontainebleau, den ein Börsenwucherer in
seinem Hause aufhängt, dorthin noch etwas von der alten Vornehmheit mitbringt.

Diese Sprache mit ihrer einschmeichelnden Melodie ist es vor allem, die
noch heute den Franzosen den Ruhm der unnachahmlich feinen Sitte erhält.
Es sind tausend kleine Feinheiten, die an sich ganz unwesentlich sind und gar
keine Rückschlüsse auf die dahinter stehenden Gefühle zulassen, die aber den
Fremden immer bezaubern. Das beständig eingestreute, fast in keinem Satze
fehlende "Monsieur" oder "Madame" scheint immer sosort eine persönliche
Beziehung zwischen dem Sprecher und dem Angeredeten herzustellen und gibt
der Rede etwas sehr Verbindliches. Manche stereotypen, höflichen Übertreibungen
bezaubern den Fremden und sagen doch gar nichts. So wird der Fremde,
dem mau bei einer persönlichen Vorstellung versichert: "enLliimtö Ze kairo votro
Lorm-üsLmice", dann, wenn ihm bloß die Lexikonbedeutung von "encliantö"
im Ohre liegt, selber wirklich sehr entzückt sein, obwohl der Franzose in Wirk-
lichkeit nicht mehr gesagt hat als der Deutsche, der in solchem Falle in den
Bart murmelt: "Sehr erfreut..."

Auch außerhalb der Sprache gibt es eine ganze Reihe von Sitten, die,
aus früherer Zeit überliefert, noch heute den Anschein erwecken, als seien die
Franzosen ein höfliches Volk. Vieles geht aber auch hier nur auf ein Muß
zurück. Man nehme das höfliche Stehenbleiben, wenn man sich auf der Treppe
begegnet; gewiß, das wird viel konsequenter geübt als in Deutschland, aber
das ist nicht auf größere innere Höflichkeit zurückzuführen, sondern nur darauf,
daß drüben die Treppen viel schlechter und enger sind.


vom Charakter der Franzosen

wo das „Volk" obenauf kam, und die dritte Republik ist das beste Beispiel
dafür, wie ein ursprünglich von vornehmem Geiste imprägniertes Volk diesen
äußeren Lack von Jahr zu Jahr mehr abgesprengt hat und von Jahr zu Jahr
nicht verbürgerlicht, nein, verpöbelt ist. Gibt es in der Welt ein unvornehmeres
Staatengebilde als diese Republik der Krämer und Radauadvokaten, wo Ehr¬
geiz, Korruption und schmutzigste Intrige dominieren, wie unzählige Skandal¬
affären nur allzudeutlich gezeigt haben?

Was die Welt noch immer über den wahren. Charakter der Franzosen
täuscht, sind gewisse äußere Formsn, die noch von den früheren aristokratisch
durchgebildeten Zeiten her bestehen, und ist vor allem die Sprache, die in
tausend Redewendungen noch heute den alten Geist konserviert, auch dort noch,
wo sie im Bourgeois- und Apachenmunde weiterlebt. Diese Sprache, die von
allen Sprachen noch heute am meisten in anderen Ländern studiert wird, ist es
in der Tat, die die alte Gloriole der Vornehmheit den Franzosen noch heute
erhalten hat. Dieses wundervoll geschliffene Kunstwerk, das vielleicht nicht die
sinnfällig klangvollste und reichste, aber die durchgeistigste und bis zum höchsten
Raffinement verfeinerte Ausdrucksform ist, welche die heutige Welt kennt, ist
geschaffen und veredelt worden in den Thronsälen der Bourbonenkönige und
den Salons ihres Adels; sie hat auch noch heute etwas von dem alten Glanz
bewahrt, wie ein kostbarer Gobelin aus Fontainebleau, den ein Börsenwucherer in
seinem Hause aufhängt, dorthin noch etwas von der alten Vornehmheit mitbringt.

Diese Sprache mit ihrer einschmeichelnden Melodie ist es vor allem, die
noch heute den Franzosen den Ruhm der unnachahmlich feinen Sitte erhält.
Es sind tausend kleine Feinheiten, die an sich ganz unwesentlich sind und gar
keine Rückschlüsse auf die dahinter stehenden Gefühle zulassen, die aber den
Fremden immer bezaubern. Das beständig eingestreute, fast in keinem Satze
fehlende „Monsieur" oder „Madame" scheint immer sosort eine persönliche
Beziehung zwischen dem Sprecher und dem Angeredeten herzustellen und gibt
der Rede etwas sehr Verbindliches. Manche stereotypen, höflichen Übertreibungen
bezaubern den Fremden und sagen doch gar nichts. So wird der Fremde,
dem mau bei einer persönlichen Vorstellung versichert: „enLliimtö Ze kairo votro
Lorm-üsLmice", dann, wenn ihm bloß die Lexikonbedeutung von „encliantö"
im Ohre liegt, selber wirklich sehr entzückt sein, obwohl der Franzose in Wirk-
lichkeit nicht mehr gesagt hat als der Deutsche, der in solchem Falle in den
Bart murmelt: „Sehr erfreut..."

Auch außerhalb der Sprache gibt es eine ganze Reihe von Sitten, die,
aus früherer Zeit überliefert, noch heute den Anschein erwecken, als seien die
Franzosen ein höfliches Volk. Vieles geht aber auch hier nur auf ein Muß
zurück. Man nehme das höfliche Stehenbleiben, wenn man sich auf der Treppe
begegnet; gewiß, das wird viel konsequenter geübt als in Deutschland, aber
das ist nicht auf größere innere Höflichkeit zurückzuführen, sondern nur darauf,
daß drüben die Treppen viel schlechter und enger sind.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/339>, abgerufen am 27.07.2024.