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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Österreich-Ungarn -- Rumänien -- Rußland

Ganz ohne Wirkung auf das Volk bleiben nun freilich solche Versprechungen
einer Großmacht nicht. Auch Österreich-Ungarn hat doch an die russischen
Polen seine Proklamation erlassen, worin es ihnen, wenn auch mit etwas mehr
Recht und Aussicht auf Erfolg, die Befreiung von der russischen Knute verspricht.
Rußland wieder antwortete mit dem Versprechen der polnischen Autonomie.
So sehr würde Ungarn sich gar nicht in Unkosten zu stürzen brauchen, um das
schenklustige Nußland zu überbieten. Es würde ja vollständig genügen, wenn
die ungarische Negierung die restlose Durchführung des Nationalitätengesetzes
vom Jahre 1868 sicherte. Das Magvarentum würde dadurch keinen Verlust
erleiden; im Gegenteil, die Magyaren würden von allen Völkern des Staates
als Befreier im eigenen Land bejubelt werden! Und diese Völker haben doch
eben in ihrem glänzenden politischen und militärischen Aufmarsch bewiesen, daß
sie des Vertrauens würdig sind, als vollbürtige Mitarbeiter im Staatsleben
honoriert zu werden. Die Deutschen im außersiebenbürgischen Ungarn dürften
dabei natürlich nicht unter dem Vorwand vergessen werden, daß man ihrer
ohnehin sicher ist. Wenn man ihnen jetzt, im Hochgefühl patriotischer Überein¬
stimmung, etwa ein Dutzend höhere Schulen anbote, -- für zwei Millionen
bildungsfreudige Menschen wahrlich nicht zu viel! -- worauf sie von Gesetzes
wegen ohnehin ein volles Recht haben, würden sie das als ein wahrhaft könig¬
liches Geschenk hinnehmen, das den Magyaren politisch und kulturell Wucher¬
zinsen trüge.

Seit dem Abschluß des Bukarester Friedens ist Rumänien unstreitig die
entscheidende Vormacht auf dem Balkan geworden. Die Rumänen dies- und
jenseits der Karpathen sind sich dessen auch voll bewußt und betonen es bei
jeder passenden Gelegenheit. Durch den Besuch des Kaisers Nikolaus in Kon-
stanza unmittelbar vor dem Krieg ist diese Sachlage auch von Rußland in der
denkbar feierlichsten Form anerkannt worden. Rumänien ist mit Rußland, da
es im Besitz der Donaumündung und eines Teiles der Küste am Schwarzen
Meer ist, durch mancherlei Interessengemeinschaft verbunden. Rußland kann
Rumänien, wenn es sich die Herrschaft über das Schwarze Meer sichert, wirt¬
schaftlich ungeheuer schädigen; anderseits ist dem Königreich Rumänien nur durch
den Anschluß an den Dreibund der Weg auf den Eisenbahnoerkehrslinien nach
dem Westen volkswirtschaftlich offen. Die Entscheidung ist also für Rumänien
wirklich nicht leicht. Darum hat auch der rumänische Kronrat die Haltung
Rumäniens während des europäischen Krieges vorsichtigerweise von der Ent¬
wicklung der Umstände abhängig gemacht. Die Bukarester Zeitung Opinia,
die von zuständiger Seite ermächtigt worden war. über das Ergebnis der Ver¬
handlungen im Krönrate zu berichten, schloß ihre Mitteilung mit dem viel¬
sagenden Satz: "Auf alle Fälle bildet das Abwarten mit den Waffen in der
Hand bloß eine Etappe, die nur von sehr kurzer Dauer fein kann." Wenn
nun die Rumänen in Ungarn und Siebenbürgen andauernd auf dein Stand¬
punkt verharren, den ihre Führer jetzt einnehmen, so wird den Rumänen


Österreich-Ungarn — Rumänien — Rußland

Ganz ohne Wirkung auf das Volk bleiben nun freilich solche Versprechungen
einer Großmacht nicht. Auch Österreich-Ungarn hat doch an die russischen
Polen seine Proklamation erlassen, worin es ihnen, wenn auch mit etwas mehr
Recht und Aussicht auf Erfolg, die Befreiung von der russischen Knute verspricht.
Rußland wieder antwortete mit dem Versprechen der polnischen Autonomie.
So sehr würde Ungarn sich gar nicht in Unkosten zu stürzen brauchen, um das
schenklustige Nußland zu überbieten. Es würde ja vollständig genügen, wenn
die ungarische Negierung die restlose Durchführung des Nationalitätengesetzes
vom Jahre 1868 sicherte. Das Magvarentum würde dadurch keinen Verlust
erleiden; im Gegenteil, die Magyaren würden von allen Völkern des Staates
als Befreier im eigenen Land bejubelt werden! Und diese Völker haben doch
eben in ihrem glänzenden politischen und militärischen Aufmarsch bewiesen, daß
sie des Vertrauens würdig sind, als vollbürtige Mitarbeiter im Staatsleben
honoriert zu werden. Die Deutschen im außersiebenbürgischen Ungarn dürften
dabei natürlich nicht unter dem Vorwand vergessen werden, daß man ihrer
ohnehin sicher ist. Wenn man ihnen jetzt, im Hochgefühl patriotischer Überein¬
stimmung, etwa ein Dutzend höhere Schulen anbote, — für zwei Millionen
bildungsfreudige Menschen wahrlich nicht zu viel! — worauf sie von Gesetzes
wegen ohnehin ein volles Recht haben, würden sie das als ein wahrhaft könig¬
liches Geschenk hinnehmen, das den Magyaren politisch und kulturell Wucher¬
zinsen trüge.

Seit dem Abschluß des Bukarester Friedens ist Rumänien unstreitig die
entscheidende Vormacht auf dem Balkan geworden. Die Rumänen dies- und
jenseits der Karpathen sind sich dessen auch voll bewußt und betonen es bei
jeder passenden Gelegenheit. Durch den Besuch des Kaisers Nikolaus in Kon-
stanza unmittelbar vor dem Krieg ist diese Sachlage auch von Rußland in der
denkbar feierlichsten Form anerkannt worden. Rumänien ist mit Rußland, da
es im Besitz der Donaumündung und eines Teiles der Küste am Schwarzen
Meer ist, durch mancherlei Interessengemeinschaft verbunden. Rußland kann
Rumänien, wenn es sich die Herrschaft über das Schwarze Meer sichert, wirt¬
schaftlich ungeheuer schädigen; anderseits ist dem Königreich Rumänien nur durch
den Anschluß an den Dreibund der Weg auf den Eisenbahnoerkehrslinien nach
dem Westen volkswirtschaftlich offen. Die Entscheidung ist also für Rumänien
wirklich nicht leicht. Darum hat auch der rumänische Kronrat die Haltung
Rumäniens während des europäischen Krieges vorsichtigerweise von der Ent¬
wicklung der Umstände abhängig gemacht. Die Bukarester Zeitung Opinia,
die von zuständiger Seite ermächtigt worden war. über das Ergebnis der Ver¬
handlungen im Krönrate zu berichten, schloß ihre Mitteilung mit dem viel¬
sagenden Satz: „Auf alle Fälle bildet das Abwarten mit den Waffen in der
Hand bloß eine Etappe, die nur von sehr kurzer Dauer fein kann." Wenn
nun die Rumänen in Ungarn und Siebenbürgen andauernd auf dein Stand¬
punkt verharren, den ihre Führer jetzt einnehmen, so wird den Rumänen


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[0335] Österreich-Ungarn — Rumänien — Rußland Ganz ohne Wirkung auf das Volk bleiben nun freilich solche Versprechungen einer Großmacht nicht. Auch Österreich-Ungarn hat doch an die russischen Polen seine Proklamation erlassen, worin es ihnen, wenn auch mit etwas mehr Recht und Aussicht auf Erfolg, die Befreiung von der russischen Knute verspricht. Rußland wieder antwortete mit dem Versprechen der polnischen Autonomie. So sehr würde Ungarn sich gar nicht in Unkosten zu stürzen brauchen, um das schenklustige Nußland zu überbieten. Es würde ja vollständig genügen, wenn die ungarische Negierung die restlose Durchführung des Nationalitätengesetzes vom Jahre 1868 sicherte. Das Magvarentum würde dadurch keinen Verlust erleiden; im Gegenteil, die Magyaren würden von allen Völkern des Staates als Befreier im eigenen Land bejubelt werden! Und diese Völker haben doch eben in ihrem glänzenden politischen und militärischen Aufmarsch bewiesen, daß sie des Vertrauens würdig sind, als vollbürtige Mitarbeiter im Staatsleben honoriert zu werden. Die Deutschen im außersiebenbürgischen Ungarn dürften dabei natürlich nicht unter dem Vorwand vergessen werden, daß man ihrer ohnehin sicher ist. Wenn man ihnen jetzt, im Hochgefühl patriotischer Überein¬ stimmung, etwa ein Dutzend höhere Schulen anbote, — für zwei Millionen bildungsfreudige Menschen wahrlich nicht zu viel! — worauf sie von Gesetzes wegen ohnehin ein volles Recht haben, würden sie das als ein wahrhaft könig¬ liches Geschenk hinnehmen, das den Magyaren politisch und kulturell Wucher¬ zinsen trüge. Seit dem Abschluß des Bukarester Friedens ist Rumänien unstreitig die entscheidende Vormacht auf dem Balkan geworden. Die Rumänen dies- und jenseits der Karpathen sind sich dessen auch voll bewußt und betonen es bei jeder passenden Gelegenheit. Durch den Besuch des Kaisers Nikolaus in Kon- stanza unmittelbar vor dem Krieg ist diese Sachlage auch von Rußland in der denkbar feierlichsten Form anerkannt worden. Rumänien ist mit Rußland, da es im Besitz der Donaumündung und eines Teiles der Küste am Schwarzen Meer ist, durch mancherlei Interessengemeinschaft verbunden. Rußland kann Rumänien, wenn es sich die Herrschaft über das Schwarze Meer sichert, wirt¬ schaftlich ungeheuer schädigen; anderseits ist dem Königreich Rumänien nur durch den Anschluß an den Dreibund der Weg auf den Eisenbahnoerkehrslinien nach dem Westen volkswirtschaftlich offen. Die Entscheidung ist also für Rumänien wirklich nicht leicht. Darum hat auch der rumänische Kronrat die Haltung Rumäniens während des europäischen Krieges vorsichtigerweise von der Ent¬ wicklung der Umstände abhängig gemacht. Die Bukarester Zeitung Opinia, die von zuständiger Seite ermächtigt worden war. über das Ergebnis der Ver¬ handlungen im Krönrate zu berichten, schloß ihre Mitteilung mit dem viel¬ sagenden Satz: „Auf alle Fälle bildet das Abwarten mit den Waffen in der Hand bloß eine Etappe, die nur von sehr kurzer Dauer fein kann." Wenn nun die Rumänen in Ungarn und Siebenbürgen andauernd auf dein Stand¬ punkt verharren, den ihre Führer jetzt einnehmen, so wird den Rumänen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/335>, abgerufen am 28.07.2024.