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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Österreich-Nngcirn -- Rumänien -- Rußland

Wie sich die Zeiten ändern! Anvo siebzig schrieb der Pester Lloyd auf
die ersten täuschenden Pariser Siegesnachrichten hin: "Frankreichs Siege sind
unsere Siege!" Heute prangt es am Kopf der magyarischen Blätter in dicken
Lettern: "Der Deutsche siegt!" oder "Deutsche Heldentaten!" Auf den Straßen
in Pest aber ruft man stürmisch: Es lebe Deutschland! Heute fühlt es, wie
ein siebenbürger Blatt treffend bemerkt, in Ungarn jeder Gassenjunge: "Deutsch¬
lands Siege sind unsere Siege!" . . . Und die Freude des Magyaren von
heute ist so ehrlich wie damals. Die Geschichte hat ihn nur eines Besseren
belehrt, und wir hoffen, daß diese Lektion sitzt, auch wenn der Rausch des
Krieges vorbei ist. Das sei nicht gesagt in bitterer Erinnerung an vergangene
Unbill, die den Deutschen in Ungarn widerfahren, sondern in aufrichtiger
Überzeugung, daß auch dem Magyaren wohler sei" wird, wenn er auch im
eigenen Land mit dem Deutschen in Freundschaft lebt und Achtung hegt vor
seiner Art.

Noch im Monat Juli war der Präsident der Kossuthpartei, Graf Michael
Karolyi, in Amerika, um dort bei den ausgewanderten Landsleuten Riesen¬
summen zu sammeln zur Unterstützung einer rußlandfreuudlichcn Politik in
Ungarn. Das Ergebnis war: ein paar Tausend Dollar, durch die wohl kaum
die Reise- und Regiekosten gedeckt wurden. Die ganze Unternehmung wie der
geplante Massenausflug der Kossuthisten nach Petersburg war, genau besehen,
nur eine Art Sport, die ungarische Regierung zu ärgern. Man weiß übrigens
bis zur Stunde nicht, wo die Abordnung jetzt steckt. Nußland und Frankreich
hatten die dreibundfeindliche Unternehmung des Grafen Karolyi wahrscheinlich
ernster genommen, haben vielleicht mit derselben kindlichen Zuversicht auf eine
magyarische Revolte gerechnet wie auf Massenstreik und Fahnenflucht
der reichsdeutschen Sozialdemokratie. Sie wußten nicht den Unterschied zu
machen zwischen vergänglicher Parteitaktik, die sich, wenn die Waffen schweigen,
auch eine Extratour erlauben darf, und den Imponderabilien der Vaterlands¬
liebe und Staatstreue im Ernstfall; ihren Rechenfehler bezahlen sie, wills Gott,
recht teuer, die Sanguiniker an der Seine und Newa.

"Der Krieg ist des Menschen natürlicher Zustand; wen er nicht umbringt,
den macht er gesunder", -- dies Bismarckwort ist in einem Aufsatz des
Siebenbürgisch - Deutschen Tageblattes, worin die verblüffenden Wandlungen
der letzten Zeit registriert wurden, als Leitmotiv für das Ringen Österreich-
Ungarns in diesen Tagen und sür das Wiederfinden längst verloren geglaubter
Kraft aufgestellt worden. In der Tat, wenn diese Monarchie die gewaltige
Erschütterung des Weltkrieges überdauert und wenn nachher die leitenden
Staatsmänner beider Reichshülften die Zeichen der Zeit nur halbwegs verstehen,
so muß mit Naturnotwendigkeit eine neue Epoche für dies Reich anbrechen.
Schwarzseher in allen Lagern Deutschlands gaben vor dem Krieg immer der
Befürchtung Ausdruck, daß große Teile der k. u. k. Armee im Kriegsfall ver¬
sagen würden. Wer die Verhältnisse drüben genauer kannte, mußte gegenüber


Österreich-Nngcirn — Rumänien — Rußland

Wie sich die Zeiten ändern! Anvo siebzig schrieb der Pester Lloyd auf
die ersten täuschenden Pariser Siegesnachrichten hin: „Frankreichs Siege sind
unsere Siege!" Heute prangt es am Kopf der magyarischen Blätter in dicken
Lettern: „Der Deutsche siegt!" oder „Deutsche Heldentaten!" Auf den Straßen
in Pest aber ruft man stürmisch: Es lebe Deutschland! Heute fühlt es, wie
ein siebenbürger Blatt treffend bemerkt, in Ungarn jeder Gassenjunge: „Deutsch¬
lands Siege sind unsere Siege!" . . . Und die Freude des Magyaren von
heute ist so ehrlich wie damals. Die Geschichte hat ihn nur eines Besseren
belehrt, und wir hoffen, daß diese Lektion sitzt, auch wenn der Rausch des
Krieges vorbei ist. Das sei nicht gesagt in bitterer Erinnerung an vergangene
Unbill, die den Deutschen in Ungarn widerfahren, sondern in aufrichtiger
Überzeugung, daß auch dem Magyaren wohler sei» wird, wenn er auch im
eigenen Land mit dem Deutschen in Freundschaft lebt und Achtung hegt vor
seiner Art.

Noch im Monat Juli war der Präsident der Kossuthpartei, Graf Michael
Karolyi, in Amerika, um dort bei den ausgewanderten Landsleuten Riesen¬
summen zu sammeln zur Unterstützung einer rußlandfreuudlichcn Politik in
Ungarn. Das Ergebnis war: ein paar Tausend Dollar, durch die wohl kaum
die Reise- und Regiekosten gedeckt wurden. Die ganze Unternehmung wie der
geplante Massenausflug der Kossuthisten nach Petersburg war, genau besehen,
nur eine Art Sport, die ungarische Regierung zu ärgern. Man weiß übrigens
bis zur Stunde nicht, wo die Abordnung jetzt steckt. Nußland und Frankreich
hatten die dreibundfeindliche Unternehmung des Grafen Karolyi wahrscheinlich
ernster genommen, haben vielleicht mit derselben kindlichen Zuversicht auf eine
magyarische Revolte gerechnet wie auf Massenstreik und Fahnenflucht
der reichsdeutschen Sozialdemokratie. Sie wußten nicht den Unterschied zu
machen zwischen vergänglicher Parteitaktik, die sich, wenn die Waffen schweigen,
auch eine Extratour erlauben darf, und den Imponderabilien der Vaterlands¬
liebe und Staatstreue im Ernstfall; ihren Rechenfehler bezahlen sie, wills Gott,
recht teuer, die Sanguiniker an der Seine und Newa.

„Der Krieg ist des Menschen natürlicher Zustand; wen er nicht umbringt,
den macht er gesunder", — dies Bismarckwort ist in einem Aufsatz des
Siebenbürgisch - Deutschen Tageblattes, worin die verblüffenden Wandlungen
der letzten Zeit registriert wurden, als Leitmotiv für das Ringen Österreich-
Ungarns in diesen Tagen und sür das Wiederfinden längst verloren geglaubter
Kraft aufgestellt worden. In der Tat, wenn diese Monarchie die gewaltige
Erschütterung des Weltkrieges überdauert und wenn nachher die leitenden
Staatsmänner beider Reichshülften die Zeichen der Zeit nur halbwegs verstehen,
so muß mit Naturnotwendigkeit eine neue Epoche für dies Reich anbrechen.
Schwarzseher in allen Lagern Deutschlands gaben vor dem Krieg immer der
Befürchtung Ausdruck, daß große Teile der k. u. k. Armee im Kriegsfall ver¬
sagen würden. Wer die Verhältnisse drüben genauer kannte, mußte gegenüber


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/331>, abgerufen am 01.09.2024.