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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Der große Krieg

entstand gegen den Willen Hartwigs und trotz ernsten Abratens des Zaren.
Er bedeutete eine glatte Niederlage, eine weitere Schlappe für Rußland, da die
Balkanstaaten sich als unbotmäßig erwiesen hatten. Der Bukarester Frieden
schließlich trug Nußland die dritte Schlappe ein. Alles mittelbar sichtliche Er¬
folge der. deutschen Einigkeit mit Österreich-Ungarn, an der alle Intrigen
machtlos abprallten.

Die erwähnten diplomatischen Niederlagen erregten naturgemäß die Wut
der betroffenen russischen Kreise in hervorragendem Maße, und als gar Deutsch-
land die Heeresorganisation der Türkei durch Liman-Sanders fest in die Hand
nahm, wurde dies in Petersburg als direkte Herausforderung Rußlands hin¬
gestellt. Die Russen fühlten sich in allen ihren Gefühlen, unter denen die
Eitelkeit eine hervorragende Rolle spielt, verletzt. Das war im Herbst 1913.
Damals setzte denn auch die scharfe Propaganda in der Petersburger Presse
und Diplomatie ein, die sich nicht mehr begnügte, den Zerfall Österreichs zu
betreiben, sondern nun auch direkt gegen Deutschland hetzte. Um ein Haar hätte
Herr Ssasonow seine Stellung verloren, weil er es nicht fertig bekommen hatte,
die deutsche Militärmission unter Liman - Sanders aus Konstantin opel zu ver¬
drängen. Es scheint nun so, daß er der Wut der sogenannten Panslawisten, das ist
eine Klique von Militärs, Zeitungsschreibern und Diplomaten, deren Väter oder
Großväter einmal zu den Slawjanophilen Beziehungen gehabt hatten, nur des¬
halb nicht zum Opfer gefallen ist, weil er sich, entgegen allen seinen dem
deutschen Botschafter zu Se. Petersburg gegebenen Versicherungen, schließlich
selbst zum Werkzeug der gefährlichen antideutschen Intrige hergab.

Nachdem man in Petersburg erkannt hatte, daß die deutsche Negierung sich
durch keinerlei Mittel werde von Österreich-Ungarn abdrängen lassen, begann
man jene Kleinarbeit, in der die russischen Diplomaten so überaus geschickt sind,
deren Ziel es war, Habsburg und Hohenzollern dennoch auseinander zu bringen.
Alle Persönlichkeiten in Berlin und Wien, die als Vertreter der Dreibuudsidee
galten, wurden heimlich und offen befehdet und mit Intrigen umsponnen.
Jeder von den deutschen Diplomaten, der das russische Spiel durchschaut hatte
und dementsprechend Widerstand leisten konnte, wurde persönlich verunglimpft
und angeschwärzt als Hetzer und Nichtskönner oder als brutaler Kriegstreibcr.
Ssasonow selbst scheute sich nicht, mir gegenüber bestimmte deutsche Diplomaten,
die sich bei uns besonderer Wertschätzung erfreuen, als unfähig und für die
Zukunft des deutsch-russischen Verhältnisses gefährlich hinzustellen. In der
russischen Presse tauchten Memoiren und Denkschriften des Vaters der Lüge,
Jgnatjew, auf, die besonders in dem Teil, wo sie Äußerungen Bismarcks
wiedergeben, dazu bestimmt waren, in Wien Mißtrauen gegen die deutsche
Politik zu säen.

Es war schließlich eine allgemeine diplomatische Mobilmachung, die von
Petersburg aus an allen Orten der Erde gegen das deutsch-österreichische Bünd¬
nis unternommen ward, und wir wissen aus den Darlegungen im vorigen


Der große Krieg

entstand gegen den Willen Hartwigs und trotz ernsten Abratens des Zaren.
Er bedeutete eine glatte Niederlage, eine weitere Schlappe für Rußland, da die
Balkanstaaten sich als unbotmäßig erwiesen hatten. Der Bukarester Frieden
schließlich trug Nußland die dritte Schlappe ein. Alles mittelbar sichtliche Er¬
folge der. deutschen Einigkeit mit Österreich-Ungarn, an der alle Intrigen
machtlos abprallten.

Die erwähnten diplomatischen Niederlagen erregten naturgemäß die Wut
der betroffenen russischen Kreise in hervorragendem Maße, und als gar Deutsch-
land die Heeresorganisation der Türkei durch Liman-Sanders fest in die Hand
nahm, wurde dies in Petersburg als direkte Herausforderung Rußlands hin¬
gestellt. Die Russen fühlten sich in allen ihren Gefühlen, unter denen die
Eitelkeit eine hervorragende Rolle spielt, verletzt. Das war im Herbst 1913.
Damals setzte denn auch die scharfe Propaganda in der Petersburger Presse
und Diplomatie ein, die sich nicht mehr begnügte, den Zerfall Österreichs zu
betreiben, sondern nun auch direkt gegen Deutschland hetzte. Um ein Haar hätte
Herr Ssasonow seine Stellung verloren, weil er es nicht fertig bekommen hatte,
die deutsche Militärmission unter Liman - Sanders aus Konstantin opel zu ver¬
drängen. Es scheint nun so, daß er der Wut der sogenannten Panslawisten, das ist
eine Klique von Militärs, Zeitungsschreibern und Diplomaten, deren Väter oder
Großväter einmal zu den Slawjanophilen Beziehungen gehabt hatten, nur des¬
halb nicht zum Opfer gefallen ist, weil er sich, entgegen allen seinen dem
deutschen Botschafter zu Se. Petersburg gegebenen Versicherungen, schließlich
selbst zum Werkzeug der gefährlichen antideutschen Intrige hergab.

Nachdem man in Petersburg erkannt hatte, daß die deutsche Negierung sich
durch keinerlei Mittel werde von Österreich-Ungarn abdrängen lassen, begann
man jene Kleinarbeit, in der die russischen Diplomaten so überaus geschickt sind,
deren Ziel es war, Habsburg und Hohenzollern dennoch auseinander zu bringen.
Alle Persönlichkeiten in Berlin und Wien, die als Vertreter der Dreibuudsidee
galten, wurden heimlich und offen befehdet und mit Intrigen umsponnen.
Jeder von den deutschen Diplomaten, der das russische Spiel durchschaut hatte
und dementsprechend Widerstand leisten konnte, wurde persönlich verunglimpft
und angeschwärzt als Hetzer und Nichtskönner oder als brutaler Kriegstreibcr.
Ssasonow selbst scheute sich nicht, mir gegenüber bestimmte deutsche Diplomaten,
die sich bei uns besonderer Wertschätzung erfreuen, als unfähig und für die
Zukunft des deutsch-russischen Verhältnisses gefährlich hinzustellen. In der
russischen Presse tauchten Memoiren und Denkschriften des Vaters der Lüge,
Jgnatjew, auf, die besonders in dem Teil, wo sie Äußerungen Bismarcks
wiedergeben, dazu bestimmt waren, in Wien Mißtrauen gegen die deutsche
Politik zu säen.

Es war schließlich eine allgemeine diplomatische Mobilmachung, die von
Petersburg aus an allen Orten der Erde gegen das deutsch-österreichische Bünd¬
nis unternommen ward, und wir wissen aus den Darlegungen im vorigen


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[0328] Der große Krieg entstand gegen den Willen Hartwigs und trotz ernsten Abratens des Zaren. Er bedeutete eine glatte Niederlage, eine weitere Schlappe für Rußland, da die Balkanstaaten sich als unbotmäßig erwiesen hatten. Der Bukarester Frieden schließlich trug Nußland die dritte Schlappe ein. Alles mittelbar sichtliche Er¬ folge der. deutschen Einigkeit mit Österreich-Ungarn, an der alle Intrigen machtlos abprallten. Die erwähnten diplomatischen Niederlagen erregten naturgemäß die Wut der betroffenen russischen Kreise in hervorragendem Maße, und als gar Deutsch- land die Heeresorganisation der Türkei durch Liman-Sanders fest in die Hand nahm, wurde dies in Petersburg als direkte Herausforderung Rußlands hin¬ gestellt. Die Russen fühlten sich in allen ihren Gefühlen, unter denen die Eitelkeit eine hervorragende Rolle spielt, verletzt. Das war im Herbst 1913. Damals setzte denn auch die scharfe Propaganda in der Petersburger Presse und Diplomatie ein, die sich nicht mehr begnügte, den Zerfall Österreichs zu betreiben, sondern nun auch direkt gegen Deutschland hetzte. Um ein Haar hätte Herr Ssasonow seine Stellung verloren, weil er es nicht fertig bekommen hatte, die deutsche Militärmission unter Liman - Sanders aus Konstantin opel zu ver¬ drängen. Es scheint nun so, daß er der Wut der sogenannten Panslawisten, das ist eine Klique von Militärs, Zeitungsschreibern und Diplomaten, deren Väter oder Großväter einmal zu den Slawjanophilen Beziehungen gehabt hatten, nur des¬ halb nicht zum Opfer gefallen ist, weil er sich, entgegen allen seinen dem deutschen Botschafter zu Se. Petersburg gegebenen Versicherungen, schließlich selbst zum Werkzeug der gefährlichen antideutschen Intrige hergab. Nachdem man in Petersburg erkannt hatte, daß die deutsche Negierung sich durch keinerlei Mittel werde von Österreich-Ungarn abdrängen lassen, begann man jene Kleinarbeit, in der die russischen Diplomaten so überaus geschickt sind, deren Ziel es war, Habsburg und Hohenzollern dennoch auseinander zu bringen. Alle Persönlichkeiten in Berlin und Wien, die als Vertreter der Dreibuudsidee galten, wurden heimlich und offen befehdet und mit Intrigen umsponnen. Jeder von den deutschen Diplomaten, der das russische Spiel durchschaut hatte und dementsprechend Widerstand leisten konnte, wurde persönlich verunglimpft und angeschwärzt als Hetzer und Nichtskönner oder als brutaler Kriegstreibcr. Ssasonow selbst scheute sich nicht, mir gegenüber bestimmte deutsche Diplomaten, die sich bei uns besonderer Wertschätzung erfreuen, als unfähig und für die Zukunft des deutsch-russischen Verhältnisses gefährlich hinzustellen. In der russischen Presse tauchten Memoiren und Denkschriften des Vaters der Lüge, Jgnatjew, auf, die besonders in dem Teil, wo sie Äußerungen Bismarcks wiedergeben, dazu bestimmt waren, in Wien Mißtrauen gegen die deutsche Politik zu säen. Es war schließlich eine allgemeine diplomatische Mobilmachung, die von Petersburg aus an allen Orten der Erde gegen das deutsch-österreichische Bünd¬ nis unternommen ward, und wir wissen aus den Darlegungen im vorigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/328>, abgerufen am 01.09.2024.