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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Die russische Armee als Gegner

noch später Regimenter und Kompagnien. Infolgedessen wurde es ihm immer
schwerer, die allgemeine Lage zu übersehen, zu beurteilen und die Absichten des
Gegners zu ergründen." Oberstleutnant von Tettau setzt hinzu: "Für die Plan¬
losigkeit seiner Anordnungen ist auch das Zerreißen aller bestehenden Truppen¬
verbände kennzeichnend." Diese Neigung steht in engem Zusammenhange mit
dem Sichverlieren in Einzelheiten. Der Oberkommandierende schreibt: "Das
XVII. Armeekorps verfügte über sechs Generale, der Kampf wurde jedoch am
12. Oktober, mit Ausnahme eines einzigen Generals, von fünf Obersten geleitet.
Die Tätigkeit der beiden Divisionskommandeure trat wenig hervor und zeitigte
keine Folgen. Was die Brigadekommandeure taten, weiß ich nicht." Kuropatkin
vergißt dabei, daß die Anordnungen zum Zerreißen der Verbände und der
damit verbundenen Neutralisierung der Generale in erster Linie von ihm selbst
ausgingen. Daß er in die traurige Lage geriet, nach den ersten Zusammen¬
stößen mit dem Feinde die Armee von ungeeigneten Generalen und Stabs¬
offizieren befreien zu müssen, erscheint nach allem Angeführten durchaus glaub¬
haft, nicht minder, daß er es wie eine persönliche Kränkung empfand, daß er
beim Kriegsministerium nur selten mit seinen in dieser Beziehung gestellten
Anträgen und mit den Vorschlägen zu schnellerer Beförderung von höheren
Offizieren, die sich ausgezeichnet hatten, durchdrang. Die Einmischung der
Petersburger Behörden in die Personalangelegenheiten der Feldarmee wünscht
er für die Zukunft ferngehalten zu sehen. Sie scheint in der Tat schädlich
gewirkt zu haben, doch ist es anderseits nicht wohl angängig, nach Mißerfolgen
im Kriege sofort in ausgedehntem Maße einen Wechsel der Führer eintreten
zu lassen.

Auch nach der ersten Niederlage bei Plewna war seinerzeit der Gedanke
aufgekommen, sowohl den Kommandierenden des IX. Korps, General Baron
Krüdner, als denjenigen der fünften Division, General Schilder-Schuldner, des
Kommandos zu entheben. General von Hasenkampf äußert hierzu: "Wenn
wir erst wegen jeden Mißgeschicks die höheren Führer wechseln, so werden sie
künftig ohne ausdrücklichen Befehl überhaupt nichts tun. Ohnehin fehlt es der
Mehrzahl von ihnen an Selbständigkeit, Unternehmungslust und Verantwortungs¬
freudigkeit." Man sieht, es war damals nicht anders als 1904 in der russischen
Armee.

Weit günstiger als über die Generale und Stabsoffiziere im allgemeinen
lautet das Urteil des Oberkommandierenden über die Offiziere des General¬
stabes. Ihrem Pflichtgefühl, ihrer Ehrenhaftigkeit und ihrer Ausdauer zollt er
volle Anerkennung. Übereinstimmend mit der Ansicht fremdländischer Offiziere,
sagt er jedoch: "Das Urteil der höheren Führer ging übereinstimmend dahin,
daß bei sehr guter theoretischer Vorbildung und unleugbar vorhandener geistiger
Höhe die Generalstabsoffiziere der Truppe zu sehr entfremdet seien. Sie ver¬
fügen nicht über hinreichende praktische Kenntnisse, um ein sicheres Urteil zu
haben, was sie von den Truppen verlangen können, und inwieweit ein gegebener


Grenzboten III 1S14 2t
Die russische Armee als Gegner

noch später Regimenter und Kompagnien. Infolgedessen wurde es ihm immer
schwerer, die allgemeine Lage zu übersehen, zu beurteilen und die Absichten des
Gegners zu ergründen." Oberstleutnant von Tettau setzt hinzu: „Für die Plan¬
losigkeit seiner Anordnungen ist auch das Zerreißen aller bestehenden Truppen¬
verbände kennzeichnend." Diese Neigung steht in engem Zusammenhange mit
dem Sichverlieren in Einzelheiten. Der Oberkommandierende schreibt: „Das
XVII. Armeekorps verfügte über sechs Generale, der Kampf wurde jedoch am
12. Oktober, mit Ausnahme eines einzigen Generals, von fünf Obersten geleitet.
Die Tätigkeit der beiden Divisionskommandeure trat wenig hervor und zeitigte
keine Folgen. Was die Brigadekommandeure taten, weiß ich nicht." Kuropatkin
vergißt dabei, daß die Anordnungen zum Zerreißen der Verbände und der
damit verbundenen Neutralisierung der Generale in erster Linie von ihm selbst
ausgingen. Daß er in die traurige Lage geriet, nach den ersten Zusammen¬
stößen mit dem Feinde die Armee von ungeeigneten Generalen und Stabs¬
offizieren befreien zu müssen, erscheint nach allem Angeführten durchaus glaub¬
haft, nicht minder, daß er es wie eine persönliche Kränkung empfand, daß er
beim Kriegsministerium nur selten mit seinen in dieser Beziehung gestellten
Anträgen und mit den Vorschlägen zu schnellerer Beförderung von höheren
Offizieren, die sich ausgezeichnet hatten, durchdrang. Die Einmischung der
Petersburger Behörden in die Personalangelegenheiten der Feldarmee wünscht
er für die Zukunft ferngehalten zu sehen. Sie scheint in der Tat schädlich
gewirkt zu haben, doch ist es anderseits nicht wohl angängig, nach Mißerfolgen
im Kriege sofort in ausgedehntem Maße einen Wechsel der Führer eintreten
zu lassen.

Auch nach der ersten Niederlage bei Plewna war seinerzeit der Gedanke
aufgekommen, sowohl den Kommandierenden des IX. Korps, General Baron
Krüdner, als denjenigen der fünften Division, General Schilder-Schuldner, des
Kommandos zu entheben. General von Hasenkampf äußert hierzu: „Wenn
wir erst wegen jeden Mißgeschicks die höheren Führer wechseln, so werden sie
künftig ohne ausdrücklichen Befehl überhaupt nichts tun. Ohnehin fehlt es der
Mehrzahl von ihnen an Selbständigkeit, Unternehmungslust und Verantwortungs¬
freudigkeit." Man sieht, es war damals nicht anders als 1904 in der russischen
Armee.

Weit günstiger als über die Generale und Stabsoffiziere im allgemeinen
lautet das Urteil des Oberkommandierenden über die Offiziere des General¬
stabes. Ihrem Pflichtgefühl, ihrer Ehrenhaftigkeit und ihrer Ausdauer zollt er
volle Anerkennung. Übereinstimmend mit der Ansicht fremdländischer Offiziere,
sagt er jedoch: „Das Urteil der höheren Führer ging übereinstimmend dahin,
daß bei sehr guter theoretischer Vorbildung und unleugbar vorhandener geistiger
Höhe die Generalstabsoffiziere der Truppe zu sehr entfremdet seien. Sie ver¬
fügen nicht über hinreichende praktische Kenntnisse, um ein sicheres Urteil zu
haben, was sie von den Truppen verlangen können, und inwieweit ein gegebener


Grenzboten III 1S14 2t
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/317>, abgerufen am 22.12.2024.