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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Die russische Armee als Gegner

Das trifft um so mehr zu, wenn wir uns vergegenwärtigen, wie das
Offizierkorps des russischen Mandschurei-Heeres beschaffen war, eingedenk des
Rüchelschen Wortes: "Der Geist der Armee sitzt in ihren Offizieren." Kv.ro-
patkin hebt hervor, daß die Truppen viel zu schwach mit Offizieren versehen
gewesen seien. Den ostsibirischen Regimentern sehlte es ohnehin an solchen, so
daß manche Kompagnien mit nur einem Leutnant in das Gefecht gingen.
Obwohl zahlreiche Offiziere aus Nußland zur Armee kamen, blieb wegen der
vielen Abkommandierungen immer ein Mangel bestehen, um so mehr, als bei
den geschlossen aus Rußland eintreffenden großen mobilen Verbänden dort die
im Mobilmachungsfall zurückzulassenden Offiziere ausfielen. Da sehr viele
Offiziere erkrankten, und erhebliche Gefechtsverluste eintraten, mußten manche
Bataillone von Hauptleuten und Kompagnien von Leutnants oder gar von
Vizefeldwebeln der Reserve geführt werden. Viele Offiziere, die zur Wieder¬
herstellung von ihren Wunden oder Krankheiten nach Rußland beurlaubt waren,
verweilten dort länger als nötig. "Sie hielten sich Monate hindurch in den
Residenzen oder in den großen Städten auf, wiewohl sie längst gesund waren.
Weder die Gesellschaft noch die örtlichen Vorgesetzten fanden solches Verhalten
unwürdig. Auch sind die Ärzte und die Evakuierungskommissionen gegenüber
Offizieren, die nach Rußland zurückverlangten, offenbar zu nachsichtig gewesen. . . .
Es ist vorgekommen, daß Regimentskommandeure, die nach Rußland beurlaubt
waren, dort bis zur Dauer eines Jahres verweilten, ohne zur Armee zurück¬
zukehren. Dabei empfingen sie die Gebührnisse wie im Felde, da sie auf dem
Papier noch als Führer ihres Truppenteils galten." Als jede Gefahr vorüber
war, sind diese Helden dann plötzlich wieder wie aus der Versenkung erschienen,
und mancher im Felde bewährte Offizier hat später bei der Beförderung gegen
sie zurückstehen müssen. "Zur Ehre des Offizierkorps aber," sagt Kuropattin
weiter, "müsse er betonen, daß auch sehr viele verwundete Offiziere mit aller
Kraft dahin gestrebt hätten, sobald als irgend möglich in die Front zurück¬
zukehren, auch wenn sie noch nicht völlig hergestellt gewesen waren, darunter
auch solche, die zweimal, sogar dreimal verwundet gewesen waren." "Diese
schlichten Helden hätten den Stolz jeder beliebigen Armee der ganzen Welt
bilden können." Der unverhältnismäßig höhere Prozentsatz an gefallenen
Offizieren im Vergleich zu den Mannschaften ist dem General ein Beweis dafür,
daß der russische Offizier auch heute noch wie einst zu sterben weiß.

Da die zur Ausfüllung von Lücken des Mandschurei-Heeres bestimmten
Offiziere nicht nur aus dem europäischen Rußland, sondern auch aus Kaukasien
und Turkestan kamen, hat bei ihrer Auswahl nicht immer die nötige Sorgfalt
obgewaltet. Es befanden sich darunter vortreffliche Offiziere des aktiven Dienst¬
standes, die von Kriegslust und Vaterlandsliebe beseelt waren, aber auch recht
zweifelhafte Elemente, so frühere aktive Offiziere, die wegen irgendwelcher Ver¬
gehen aus der Armee hätten ausgeschlossen werden müssen, "infolge der bei
uns üblichen Weichherzigkeit aber zur Reserve übergeführt worden waren,"


Die russische Armee als Gegner

Das trifft um so mehr zu, wenn wir uns vergegenwärtigen, wie das
Offizierkorps des russischen Mandschurei-Heeres beschaffen war, eingedenk des
Rüchelschen Wortes: „Der Geist der Armee sitzt in ihren Offizieren." Kv.ro-
patkin hebt hervor, daß die Truppen viel zu schwach mit Offizieren versehen
gewesen seien. Den ostsibirischen Regimentern sehlte es ohnehin an solchen, so
daß manche Kompagnien mit nur einem Leutnant in das Gefecht gingen.
Obwohl zahlreiche Offiziere aus Nußland zur Armee kamen, blieb wegen der
vielen Abkommandierungen immer ein Mangel bestehen, um so mehr, als bei
den geschlossen aus Rußland eintreffenden großen mobilen Verbänden dort die
im Mobilmachungsfall zurückzulassenden Offiziere ausfielen. Da sehr viele
Offiziere erkrankten, und erhebliche Gefechtsverluste eintraten, mußten manche
Bataillone von Hauptleuten und Kompagnien von Leutnants oder gar von
Vizefeldwebeln der Reserve geführt werden. Viele Offiziere, die zur Wieder¬
herstellung von ihren Wunden oder Krankheiten nach Rußland beurlaubt waren,
verweilten dort länger als nötig. „Sie hielten sich Monate hindurch in den
Residenzen oder in den großen Städten auf, wiewohl sie längst gesund waren.
Weder die Gesellschaft noch die örtlichen Vorgesetzten fanden solches Verhalten
unwürdig. Auch sind die Ärzte und die Evakuierungskommissionen gegenüber
Offizieren, die nach Rußland zurückverlangten, offenbar zu nachsichtig gewesen. . . .
Es ist vorgekommen, daß Regimentskommandeure, die nach Rußland beurlaubt
waren, dort bis zur Dauer eines Jahres verweilten, ohne zur Armee zurück¬
zukehren. Dabei empfingen sie die Gebührnisse wie im Felde, da sie auf dem
Papier noch als Führer ihres Truppenteils galten." Als jede Gefahr vorüber
war, sind diese Helden dann plötzlich wieder wie aus der Versenkung erschienen,
und mancher im Felde bewährte Offizier hat später bei der Beförderung gegen
sie zurückstehen müssen. „Zur Ehre des Offizierkorps aber," sagt Kuropattin
weiter, „müsse er betonen, daß auch sehr viele verwundete Offiziere mit aller
Kraft dahin gestrebt hätten, sobald als irgend möglich in die Front zurück¬
zukehren, auch wenn sie noch nicht völlig hergestellt gewesen waren, darunter
auch solche, die zweimal, sogar dreimal verwundet gewesen waren." „Diese
schlichten Helden hätten den Stolz jeder beliebigen Armee der ganzen Welt
bilden können." Der unverhältnismäßig höhere Prozentsatz an gefallenen
Offizieren im Vergleich zu den Mannschaften ist dem General ein Beweis dafür,
daß der russische Offizier auch heute noch wie einst zu sterben weiß.

Da die zur Ausfüllung von Lücken des Mandschurei-Heeres bestimmten
Offiziere nicht nur aus dem europäischen Rußland, sondern auch aus Kaukasien
und Turkestan kamen, hat bei ihrer Auswahl nicht immer die nötige Sorgfalt
obgewaltet. Es befanden sich darunter vortreffliche Offiziere des aktiven Dienst¬
standes, die von Kriegslust und Vaterlandsliebe beseelt waren, aber auch recht
zweifelhafte Elemente, so frühere aktive Offiziere, die wegen irgendwelcher Ver¬
gehen aus der Armee hätten ausgeschlossen werden müssen, „infolge der bei
uns üblichen Weichherzigkeit aber zur Reserve übergeführt worden waren,"


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[0314] Die russische Armee als Gegner Das trifft um so mehr zu, wenn wir uns vergegenwärtigen, wie das Offizierkorps des russischen Mandschurei-Heeres beschaffen war, eingedenk des Rüchelschen Wortes: „Der Geist der Armee sitzt in ihren Offizieren." Kv.ro- patkin hebt hervor, daß die Truppen viel zu schwach mit Offizieren versehen gewesen seien. Den ostsibirischen Regimentern sehlte es ohnehin an solchen, so daß manche Kompagnien mit nur einem Leutnant in das Gefecht gingen. Obwohl zahlreiche Offiziere aus Nußland zur Armee kamen, blieb wegen der vielen Abkommandierungen immer ein Mangel bestehen, um so mehr, als bei den geschlossen aus Rußland eintreffenden großen mobilen Verbänden dort die im Mobilmachungsfall zurückzulassenden Offiziere ausfielen. Da sehr viele Offiziere erkrankten, und erhebliche Gefechtsverluste eintraten, mußten manche Bataillone von Hauptleuten und Kompagnien von Leutnants oder gar von Vizefeldwebeln der Reserve geführt werden. Viele Offiziere, die zur Wieder¬ herstellung von ihren Wunden oder Krankheiten nach Rußland beurlaubt waren, verweilten dort länger als nötig. „Sie hielten sich Monate hindurch in den Residenzen oder in den großen Städten auf, wiewohl sie längst gesund waren. Weder die Gesellschaft noch die örtlichen Vorgesetzten fanden solches Verhalten unwürdig. Auch sind die Ärzte und die Evakuierungskommissionen gegenüber Offizieren, die nach Rußland zurückverlangten, offenbar zu nachsichtig gewesen. . . . Es ist vorgekommen, daß Regimentskommandeure, die nach Rußland beurlaubt waren, dort bis zur Dauer eines Jahres verweilten, ohne zur Armee zurück¬ zukehren. Dabei empfingen sie die Gebührnisse wie im Felde, da sie auf dem Papier noch als Führer ihres Truppenteils galten." Als jede Gefahr vorüber war, sind diese Helden dann plötzlich wieder wie aus der Versenkung erschienen, und mancher im Felde bewährte Offizier hat später bei der Beförderung gegen sie zurückstehen müssen. „Zur Ehre des Offizierkorps aber," sagt Kuropattin weiter, „müsse er betonen, daß auch sehr viele verwundete Offiziere mit aller Kraft dahin gestrebt hätten, sobald als irgend möglich in die Front zurück¬ zukehren, auch wenn sie noch nicht völlig hergestellt gewesen waren, darunter auch solche, die zweimal, sogar dreimal verwundet gewesen waren." „Diese schlichten Helden hätten den Stolz jeder beliebigen Armee der ganzen Welt bilden können." Der unverhältnismäßig höhere Prozentsatz an gefallenen Offizieren im Vergleich zu den Mannschaften ist dem General ein Beweis dafür, daß der russische Offizier auch heute noch wie einst zu sterben weiß. Da die zur Ausfüllung von Lücken des Mandschurei-Heeres bestimmten Offiziere nicht nur aus dem europäischen Rußland, sondern auch aus Kaukasien und Turkestan kamen, hat bei ihrer Auswahl nicht immer die nötige Sorgfalt obgewaltet. Es befanden sich darunter vortreffliche Offiziere des aktiven Dienst¬ standes, die von Kriegslust und Vaterlandsliebe beseelt waren, aber auch recht zweifelhafte Elemente, so frühere aktive Offiziere, die wegen irgendwelcher Ver¬ gehen aus der Armee hätten ausgeschlossen werden müssen, „infolge der bei uns üblichen Weichherzigkeit aber zur Reserve übergeführt worden waren,"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/314>, abgerufen am 28.07.2024.