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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Die russische Armee als Gegner

risches Feuer entfachen, woher sollte der Antrieb zu Heldentaten kommen, wenn
das Vaterland in Gleichgültigkeit verharrte?

"Und wenn es nur Gleichgültigkeit gewesen wäre. Die Führer der
Revolutionspartei strengten vielmehr alles an, unsere Niederlagen noch zu ver¬
größern, um sie für ihre dunklen Machenschaften auszunutzen. Es entstand eine
ganze Literatur, bestimmt, das Vertrauen des Offiziers zu seinen Vorgesetzten,
das des Soldaten zum Offizier, das der ganzen Armee zur Regierung zu
untergraben. . . . Aber damit nicht genug. Männer, die nichts gemein hatten
mit der sozialen Revolution und die von einer warmen Liebe für Rußland
beseelt waren, leisteten den Feinden des Vaterlandes Beihilfe, indem sie
in der Presse die Vorstellung von der Sinnlosigkeit dieses Krieges verbreiten
halsen......Die Revolutionsparteien fanden in diesen vermeintlichen
Freunden Stützen bei ihrer auf Untergrabung der Disziplin im Heere gerichteten
Arbeit."

An anderer Stelle heißt es: "Die Unbeliebtheit des Krieges gegen Japan
beeinflußte natürlich auch die Haltung der Truppen im Gefecht. Neben Be¬
weisen echten Heldentums finden sich Fälle geringer Standhaftigkeit einzelner
und selbst ganzer Truppenteile. Es kam häufig vor, daß nicht nur Mannschaften,
sondern auch Offiziere unverwundet in Gefangenschaft fielen. Gegen diese ist
leider nicht die volle Strenge des Gesetzes angewendet worden."

Bereits am 21. Juni 1904 berichtet Kuropatkin vom Kriegsschauplatze an
den Kaiser: "Unsere Mißerfolge haben klargelegt, daß der Krieg mit Japan in
der Armee unpopulär ist, daß er eine Hebung des Geistes, daß er Enthusiasmus
bisher nicht hervorgerufen hat. Eine Menge von Leuten erfüllt einfach ihre
Pflicht, aber ohne jene Begeisterung, mit der die Japaner den Kampf führen.
In einem Teil der anonymen Briefe, die ich von Mannschaften erhalten habe,
die über ihre Vorgesetzten Klagen vorbringen, findet sich bereits die Forderung:
,Wir wollen wissen, wohin man uns führt, wofür wir sterben sollen/ In
schweren Prüfungen haben wir unseren Feind kennen und achten gelernt, aber,
was nicht gut ist: es gibt schwache Naturen, die anfangen, seine Kraft zu
überschätzen und ihn zu fürchten. . . ." Den anonymen Klagebriefen haben
sich gegen Ende des Krieges anonyme Drohbriefe angeschlossen gegen solche
Vorgesetzte, von denen bekannt war, daß sie für eine Fortsetzung des Krieges
eingenommen waren.

Kuropatkin war kein großer General. Er selbst gibt es zu. Eines solchen
aber hätte es bedurft, um mit dieser Armee, in der so unendlich vieles brüchig
war, in deren Rücken die Hydra der Revolution lauerte, zu siegen. Die
fehlenden Feldherrneigenschaften des russischen Oberbefehlshabers dürfen darum
die Achtung nicht beeinträchtigen, die wir dem Manne schulden, der unter den
widrigsten Verhältnissen den Kampf nicht minder gegen die Japaner wie gegen
den Feind im eigenen Lager zu führen gehabt hat, von dem mit Recht gesagt
ist, daß er einer der besten und klügsten Söhne seiner Nation sei.


Die russische Armee als Gegner

risches Feuer entfachen, woher sollte der Antrieb zu Heldentaten kommen, wenn
das Vaterland in Gleichgültigkeit verharrte?

„Und wenn es nur Gleichgültigkeit gewesen wäre. Die Führer der
Revolutionspartei strengten vielmehr alles an, unsere Niederlagen noch zu ver¬
größern, um sie für ihre dunklen Machenschaften auszunutzen. Es entstand eine
ganze Literatur, bestimmt, das Vertrauen des Offiziers zu seinen Vorgesetzten,
das des Soldaten zum Offizier, das der ganzen Armee zur Regierung zu
untergraben. . . . Aber damit nicht genug. Männer, die nichts gemein hatten
mit der sozialen Revolution und die von einer warmen Liebe für Rußland
beseelt waren, leisteten den Feinden des Vaterlandes Beihilfe, indem sie
in der Presse die Vorstellung von der Sinnlosigkeit dieses Krieges verbreiten
halsen......Die Revolutionsparteien fanden in diesen vermeintlichen
Freunden Stützen bei ihrer auf Untergrabung der Disziplin im Heere gerichteten
Arbeit."

An anderer Stelle heißt es: „Die Unbeliebtheit des Krieges gegen Japan
beeinflußte natürlich auch die Haltung der Truppen im Gefecht. Neben Be¬
weisen echten Heldentums finden sich Fälle geringer Standhaftigkeit einzelner
und selbst ganzer Truppenteile. Es kam häufig vor, daß nicht nur Mannschaften,
sondern auch Offiziere unverwundet in Gefangenschaft fielen. Gegen diese ist
leider nicht die volle Strenge des Gesetzes angewendet worden."

Bereits am 21. Juni 1904 berichtet Kuropatkin vom Kriegsschauplatze an
den Kaiser: „Unsere Mißerfolge haben klargelegt, daß der Krieg mit Japan in
der Armee unpopulär ist, daß er eine Hebung des Geistes, daß er Enthusiasmus
bisher nicht hervorgerufen hat. Eine Menge von Leuten erfüllt einfach ihre
Pflicht, aber ohne jene Begeisterung, mit der die Japaner den Kampf führen.
In einem Teil der anonymen Briefe, die ich von Mannschaften erhalten habe,
die über ihre Vorgesetzten Klagen vorbringen, findet sich bereits die Forderung:
,Wir wollen wissen, wohin man uns führt, wofür wir sterben sollen/ In
schweren Prüfungen haben wir unseren Feind kennen und achten gelernt, aber,
was nicht gut ist: es gibt schwache Naturen, die anfangen, seine Kraft zu
überschätzen und ihn zu fürchten. . . ." Den anonymen Klagebriefen haben
sich gegen Ende des Krieges anonyme Drohbriefe angeschlossen gegen solche
Vorgesetzte, von denen bekannt war, daß sie für eine Fortsetzung des Krieges
eingenommen waren.

Kuropatkin war kein großer General. Er selbst gibt es zu. Eines solchen
aber hätte es bedurft, um mit dieser Armee, in der so unendlich vieles brüchig
war, in deren Rücken die Hydra der Revolution lauerte, zu siegen. Die
fehlenden Feldherrneigenschaften des russischen Oberbefehlshabers dürfen darum
die Achtung nicht beeinträchtigen, die wir dem Manne schulden, der unter den
widrigsten Verhältnissen den Kampf nicht minder gegen die Japaner wie gegen
den Feind im eigenen Lager zu führen gehabt hat, von dem mit Recht gesagt
ist, daß er einer der besten und klügsten Söhne seiner Nation sei.


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[0313] Die russische Armee als Gegner risches Feuer entfachen, woher sollte der Antrieb zu Heldentaten kommen, wenn das Vaterland in Gleichgültigkeit verharrte? „Und wenn es nur Gleichgültigkeit gewesen wäre. Die Führer der Revolutionspartei strengten vielmehr alles an, unsere Niederlagen noch zu ver¬ größern, um sie für ihre dunklen Machenschaften auszunutzen. Es entstand eine ganze Literatur, bestimmt, das Vertrauen des Offiziers zu seinen Vorgesetzten, das des Soldaten zum Offizier, das der ganzen Armee zur Regierung zu untergraben. . . . Aber damit nicht genug. Männer, die nichts gemein hatten mit der sozialen Revolution und die von einer warmen Liebe für Rußland beseelt waren, leisteten den Feinden des Vaterlandes Beihilfe, indem sie in der Presse die Vorstellung von der Sinnlosigkeit dieses Krieges verbreiten halsen......Die Revolutionsparteien fanden in diesen vermeintlichen Freunden Stützen bei ihrer auf Untergrabung der Disziplin im Heere gerichteten Arbeit." An anderer Stelle heißt es: „Die Unbeliebtheit des Krieges gegen Japan beeinflußte natürlich auch die Haltung der Truppen im Gefecht. Neben Be¬ weisen echten Heldentums finden sich Fälle geringer Standhaftigkeit einzelner und selbst ganzer Truppenteile. Es kam häufig vor, daß nicht nur Mannschaften, sondern auch Offiziere unverwundet in Gefangenschaft fielen. Gegen diese ist leider nicht die volle Strenge des Gesetzes angewendet worden." Bereits am 21. Juni 1904 berichtet Kuropatkin vom Kriegsschauplatze an den Kaiser: „Unsere Mißerfolge haben klargelegt, daß der Krieg mit Japan in der Armee unpopulär ist, daß er eine Hebung des Geistes, daß er Enthusiasmus bisher nicht hervorgerufen hat. Eine Menge von Leuten erfüllt einfach ihre Pflicht, aber ohne jene Begeisterung, mit der die Japaner den Kampf führen. In einem Teil der anonymen Briefe, die ich von Mannschaften erhalten habe, die über ihre Vorgesetzten Klagen vorbringen, findet sich bereits die Forderung: ,Wir wollen wissen, wohin man uns führt, wofür wir sterben sollen/ In schweren Prüfungen haben wir unseren Feind kennen und achten gelernt, aber, was nicht gut ist: es gibt schwache Naturen, die anfangen, seine Kraft zu überschätzen und ihn zu fürchten. . . ." Den anonymen Klagebriefen haben sich gegen Ende des Krieges anonyme Drohbriefe angeschlossen gegen solche Vorgesetzte, von denen bekannt war, daß sie für eine Fortsetzung des Krieges eingenommen waren. Kuropatkin war kein großer General. Er selbst gibt es zu. Eines solchen aber hätte es bedurft, um mit dieser Armee, in der so unendlich vieles brüchig war, in deren Rücken die Hydra der Revolution lauerte, zu siegen. Die fehlenden Feldherrneigenschaften des russischen Oberbefehlshabers dürfen darum die Achtung nicht beeinträchtigen, die wir dem Manne schulden, der unter den widrigsten Verhältnissen den Kampf nicht minder gegen die Japaner wie gegen den Feind im eigenen Lager zu führen gehabt hat, von dem mit Recht gesagt ist, daß er einer der besten und klügsten Söhne seiner Nation sei.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/313>, abgerufen am 28.07.2024.