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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Die russische Armee als Gegner
von Generalleutnant Freiherr Freytag-Loringhoven (Schluß)

Der russisch-japanische Krieg war der erste, den Rußland mit einer Armee
zu führen hatte, die sich auf Grund der allgemeinen Wehrpflicht ergänzte, da
diese 1877 sich noch nicht hatte wirksam machen können. Über ihren Einfluß
sagt Kuropatkin: "Unzweifelhaft hat die allgemeine Wehrpflicht unser Soldaten¬
material der Masse nach in moralischer Hinsicht verbessert und gehoben, aber
bei dem niedrigen Kulturzustand des gemeinen Mannes bei uns fällt es schwer,
ihm einen Begriff von der Disziplin zu geben. Der Glaube an Gott, die
Hingebung an den Zaren, die Liebe zum Vaterlande tragen auch heute noch
dazu bei, den Soldaten fest in seine Truppe einzufügen und ihn zu einem
tapferen und gehorsamen Krieger zu machen; aber diese Gefühle sind in der
letzten Zeit stark erschüttert und gewaltsam aus dem Herzen des russischen Mannes
herausgerissen worden. Die Folgen sind im Kriege nicht ausgeblieben. Sie
zeigten sich an dem unbotmäßigen Betragen mancher Leute, die alles bekrittelten
und ihre Kameraden in schlechtem Sinne beeinflußten. Sie konnten nur mit
Strenge in der Gewalt behalten werden und gehorchten nur aus Furcht."
Kuropatkin bedauert, daß die Abschaffung der Körperstrafe auch für die Kriegszeit
verfügt worden sei. Er sieht in der Furcht vor körperlicher Züchtigung das
einzige Mittel, solche Elemente im Zaum zu halten, weil andernfalls zahlreiche
Vergehen gegen Vorgesetzte nicht schnell und nachhaltig genug bestraft werden
können. Die Disziplin in der Front unter den Augen der Vorgesetzten bezeichnet
er während des Krieges immer noch als ausreichend, nicht so jedoch die hinter
der Front.

Daß die vom Oberkommandierenden getadelte Nachsicht der Vorgesetzten
hinsichtlich des Anschwellens der Bagage und die Abkommandierung zahlreicher
Mannschaften zu dieser in disziplinarer Hinsicht nicht günstig wirken konnten,
liegt auf der Hand. Aber auch in der Front wurde manches geduldet, was
nicht gerade zur Hebung der Disziplin beitrug. Daß der Soldat in einem
Winterfeldzuge in Ostasien nicht einen parademäßigen Eindruck machen konnte,
liegt auf der Hand. Indem ihm aber erlaubt wurde, über die vorschriftsmäßige
Bepackung hinaus sich nach Belieben wollene Decken, Filzstiefel, Lederstiefel,
Teekannen, Teebecher und sonstiges Eigentum anzuhängen, beeinträchtigte man




Die russische Armee als Gegner
von Generalleutnant Freiherr Freytag-Loringhoven (Schluß)

Der russisch-japanische Krieg war der erste, den Rußland mit einer Armee
zu führen hatte, die sich auf Grund der allgemeinen Wehrpflicht ergänzte, da
diese 1877 sich noch nicht hatte wirksam machen können. Über ihren Einfluß
sagt Kuropatkin: „Unzweifelhaft hat die allgemeine Wehrpflicht unser Soldaten¬
material der Masse nach in moralischer Hinsicht verbessert und gehoben, aber
bei dem niedrigen Kulturzustand des gemeinen Mannes bei uns fällt es schwer,
ihm einen Begriff von der Disziplin zu geben. Der Glaube an Gott, die
Hingebung an den Zaren, die Liebe zum Vaterlande tragen auch heute noch
dazu bei, den Soldaten fest in seine Truppe einzufügen und ihn zu einem
tapferen und gehorsamen Krieger zu machen; aber diese Gefühle sind in der
letzten Zeit stark erschüttert und gewaltsam aus dem Herzen des russischen Mannes
herausgerissen worden. Die Folgen sind im Kriege nicht ausgeblieben. Sie
zeigten sich an dem unbotmäßigen Betragen mancher Leute, die alles bekrittelten
und ihre Kameraden in schlechtem Sinne beeinflußten. Sie konnten nur mit
Strenge in der Gewalt behalten werden und gehorchten nur aus Furcht."
Kuropatkin bedauert, daß die Abschaffung der Körperstrafe auch für die Kriegszeit
verfügt worden sei. Er sieht in der Furcht vor körperlicher Züchtigung das
einzige Mittel, solche Elemente im Zaum zu halten, weil andernfalls zahlreiche
Vergehen gegen Vorgesetzte nicht schnell und nachhaltig genug bestraft werden
können. Die Disziplin in der Front unter den Augen der Vorgesetzten bezeichnet
er während des Krieges immer noch als ausreichend, nicht so jedoch die hinter
der Front.

Daß die vom Oberkommandierenden getadelte Nachsicht der Vorgesetzten
hinsichtlich des Anschwellens der Bagage und die Abkommandierung zahlreicher
Mannschaften zu dieser in disziplinarer Hinsicht nicht günstig wirken konnten,
liegt auf der Hand. Aber auch in der Front wurde manches geduldet, was
nicht gerade zur Hebung der Disziplin beitrug. Daß der Soldat in einem
Winterfeldzuge in Ostasien nicht einen parademäßigen Eindruck machen konnte,
liegt auf der Hand. Indem ihm aber erlaubt wurde, über die vorschriftsmäßige
Bepackung hinaus sich nach Belieben wollene Decken, Filzstiefel, Lederstiefel,
Teekannen, Teebecher und sonstiges Eigentum anzuhängen, beeinträchtigte man


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[0311] [Abbildung] Die russische Armee als Gegner von Generalleutnant Freiherr Freytag-Loringhoven (Schluß) Der russisch-japanische Krieg war der erste, den Rußland mit einer Armee zu führen hatte, die sich auf Grund der allgemeinen Wehrpflicht ergänzte, da diese 1877 sich noch nicht hatte wirksam machen können. Über ihren Einfluß sagt Kuropatkin: „Unzweifelhaft hat die allgemeine Wehrpflicht unser Soldaten¬ material der Masse nach in moralischer Hinsicht verbessert und gehoben, aber bei dem niedrigen Kulturzustand des gemeinen Mannes bei uns fällt es schwer, ihm einen Begriff von der Disziplin zu geben. Der Glaube an Gott, die Hingebung an den Zaren, die Liebe zum Vaterlande tragen auch heute noch dazu bei, den Soldaten fest in seine Truppe einzufügen und ihn zu einem tapferen und gehorsamen Krieger zu machen; aber diese Gefühle sind in der letzten Zeit stark erschüttert und gewaltsam aus dem Herzen des russischen Mannes herausgerissen worden. Die Folgen sind im Kriege nicht ausgeblieben. Sie zeigten sich an dem unbotmäßigen Betragen mancher Leute, die alles bekrittelten und ihre Kameraden in schlechtem Sinne beeinflußten. Sie konnten nur mit Strenge in der Gewalt behalten werden und gehorchten nur aus Furcht." Kuropatkin bedauert, daß die Abschaffung der Körperstrafe auch für die Kriegszeit verfügt worden sei. Er sieht in der Furcht vor körperlicher Züchtigung das einzige Mittel, solche Elemente im Zaum zu halten, weil andernfalls zahlreiche Vergehen gegen Vorgesetzte nicht schnell und nachhaltig genug bestraft werden können. Die Disziplin in der Front unter den Augen der Vorgesetzten bezeichnet er während des Krieges immer noch als ausreichend, nicht so jedoch die hinter der Front. Daß die vom Oberkommandierenden getadelte Nachsicht der Vorgesetzten hinsichtlich des Anschwellens der Bagage und die Abkommandierung zahlreicher Mannschaften zu dieser in disziplinarer Hinsicht nicht günstig wirken konnten, liegt auf der Hand. Aber auch in der Front wurde manches geduldet, was nicht gerade zur Hebung der Disziplin beitrug. Daß der Soldat in einem Winterfeldzuge in Ostasien nicht einen parademäßigen Eindruck machen konnte, liegt auf der Hand. Indem ihm aber erlaubt wurde, über die vorschriftsmäßige Bepackung hinaus sich nach Belieben wollene Decken, Filzstiefel, Lederstiefel, Teekannen, Teebecher und sonstiges Eigentum anzuhängen, beeinträchtigte man

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/311>, abgerufen am 28.07.2024.