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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Der große Arieg

was sie allem tun konnte, um die Katastrophe abzuwenden: sie versicherte
wahrheitsgemäß nach wie vor, daß sie ausschließlich von friedlichen Absichten
geleitet werde und bereitete sich darauf vor, angegriffen zu werden, was den
Gegnern den Vorwand gab, uns, besonders den Kaiser in Person, der Doppel¬
züngigkeit zu zeihen und als angriffslustig hinzustellen.

Inzwischen gestalteten sich die innerrussischen Verhältnisse immer schwieriger.
Die Ermordung Stolypins hatte den Zaren seiner stärksten Stütze beraubt;
die Schlappe, die die russische auswärtige Politik durch den zweiten Balkankrieg
und die darauf folgenden diplomatischen Aktionen erlitten hatte, nahm den russischen
Nationalisten und Absolutisten die Besinnung, und sie glaubten nun den Funken
erhalten zu haben, mit dessen Glut sie die russische Volksseele würden überkochen
lassen. Der Krieg gegen Deutschland war in den entsprechenden Kreisen
Se. Petersburgs bereits im Dezember 1913 beschlossene Sache; es handelte
sich nur darum, den Zeitpunkt zu bestimmen, an dem er ausbrechen sollte.
In der Kölnischen Zeitung hat Dr. Ullrich ihn in seinem berühmten Artikel
richtig angegeben: 1916.

Eine wunderbare Vorsehung hatte jedoch anders beschlossen und den
Feinden Deutschlands die Bestimmung über den Zeitpunkt des Ausbruchs des
Krieges aus der Hand genommen. Am 28. Juni schleuderten von der serbischen
Negierung gedungene Meuchelmörder jene Bomben, deren Knall die eintretende
Weltkatastrophe begrüßen sollte. Die österreichisch-ungarische Regierung vermochte
nicht nur die Mitschuld Serbiens an diesem Morde, sondern auch die indirekte
der russischen Regierung festzustellen und ging nun unbekümmert um die Haltung
seiner Verbündeten und die Mienen seiner Feinde ans Werk, die serbischen
Meuchelmörder zu strafen, nicht ahnend, daß sich auch nur ein zivilisiertes Volk,
nicht voraussehend, daß sich Zar Nikolaus der Zweite, der von Mördern dauernd
bedrohte, von den Deutschen so oft geschützte, auf die Seite der Mörder stellen könnte.

In dieser Voraussetzung hat sich nun die Wiener Negierung gründlich
getäuscht. Als sich nach Eingang des österreich ° ungarischen Ultimatums
der den König vertretende Thronfolger von Serbien an den Zaren um Hilfe
gewandt hatte, erhielt er folgendes Telegramm mit dem Datum vom 14./27. Juli:

"Ew. Königl. Hoheit haben, als Sie sich an mich in einem ausnehmend
schweren Moment wandten, sich nicht in den Gefühlen geirrt, die ich zu Ihnen
hege, und in meiner herzlichen Gewogenheit für das serbische Volk. Die jetzige
Lage der Dinge erweckt meine allerernsteste Aufmerksamkeit, und meine Re¬
gierung macht alle Anstrengungen, um die gegenwärtigen Schwierigkeiten zu
beseitigen. Ich zweifle nicht daran, daß Ew. Hoheit und die königliche Re¬
gierung von dem Wunsche durchdrungen find, diese Aufgabe zu erleichtern, indem
sie nichts außer acht läßt, um zu einer Entscheidung zu kommen, die die Würde
Serbiens wahre und die Greuel eines neuen Krieges vermeide.

Solange die geringste Hoffnung vorhanden ist, Blutvergießen zu vermeiden,
müssen alle unsere Bemühungen auf dieses Ziel gerichtet sein. Sollten wir


Der große Arieg

was sie allem tun konnte, um die Katastrophe abzuwenden: sie versicherte
wahrheitsgemäß nach wie vor, daß sie ausschließlich von friedlichen Absichten
geleitet werde und bereitete sich darauf vor, angegriffen zu werden, was den
Gegnern den Vorwand gab, uns, besonders den Kaiser in Person, der Doppel¬
züngigkeit zu zeihen und als angriffslustig hinzustellen.

Inzwischen gestalteten sich die innerrussischen Verhältnisse immer schwieriger.
Die Ermordung Stolypins hatte den Zaren seiner stärksten Stütze beraubt;
die Schlappe, die die russische auswärtige Politik durch den zweiten Balkankrieg
und die darauf folgenden diplomatischen Aktionen erlitten hatte, nahm den russischen
Nationalisten und Absolutisten die Besinnung, und sie glaubten nun den Funken
erhalten zu haben, mit dessen Glut sie die russische Volksseele würden überkochen
lassen. Der Krieg gegen Deutschland war in den entsprechenden Kreisen
Se. Petersburgs bereits im Dezember 1913 beschlossene Sache; es handelte
sich nur darum, den Zeitpunkt zu bestimmen, an dem er ausbrechen sollte.
In der Kölnischen Zeitung hat Dr. Ullrich ihn in seinem berühmten Artikel
richtig angegeben: 1916.

Eine wunderbare Vorsehung hatte jedoch anders beschlossen und den
Feinden Deutschlands die Bestimmung über den Zeitpunkt des Ausbruchs des
Krieges aus der Hand genommen. Am 28. Juni schleuderten von der serbischen
Negierung gedungene Meuchelmörder jene Bomben, deren Knall die eintretende
Weltkatastrophe begrüßen sollte. Die österreichisch-ungarische Regierung vermochte
nicht nur die Mitschuld Serbiens an diesem Morde, sondern auch die indirekte
der russischen Regierung festzustellen und ging nun unbekümmert um die Haltung
seiner Verbündeten und die Mienen seiner Feinde ans Werk, die serbischen
Meuchelmörder zu strafen, nicht ahnend, daß sich auch nur ein zivilisiertes Volk,
nicht voraussehend, daß sich Zar Nikolaus der Zweite, der von Mördern dauernd
bedrohte, von den Deutschen so oft geschützte, auf die Seite der Mörder stellen könnte.

In dieser Voraussetzung hat sich nun die Wiener Negierung gründlich
getäuscht. Als sich nach Eingang des österreich ° ungarischen Ultimatums
der den König vertretende Thronfolger von Serbien an den Zaren um Hilfe
gewandt hatte, erhielt er folgendes Telegramm mit dem Datum vom 14./27. Juli:

„Ew. Königl. Hoheit haben, als Sie sich an mich in einem ausnehmend
schweren Moment wandten, sich nicht in den Gefühlen geirrt, die ich zu Ihnen
hege, und in meiner herzlichen Gewogenheit für das serbische Volk. Die jetzige
Lage der Dinge erweckt meine allerernsteste Aufmerksamkeit, und meine Re¬
gierung macht alle Anstrengungen, um die gegenwärtigen Schwierigkeiten zu
beseitigen. Ich zweifle nicht daran, daß Ew. Hoheit und die königliche Re¬
gierung von dem Wunsche durchdrungen find, diese Aufgabe zu erleichtern, indem
sie nichts außer acht läßt, um zu einer Entscheidung zu kommen, die die Würde
Serbiens wahre und die Greuel eines neuen Krieges vermeide.

Solange die geringste Hoffnung vorhanden ist, Blutvergießen zu vermeiden,
müssen alle unsere Bemühungen auf dieses Ziel gerichtet sein. Sollten wir


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[0307] Der große Arieg was sie allem tun konnte, um die Katastrophe abzuwenden: sie versicherte wahrheitsgemäß nach wie vor, daß sie ausschließlich von friedlichen Absichten geleitet werde und bereitete sich darauf vor, angegriffen zu werden, was den Gegnern den Vorwand gab, uns, besonders den Kaiser in Person, der Doppel¬ züngigkeit zu zeihen und als angriffslustig hinzustellen. Inzwischen gestalteten sich die innerrussischen Verhältnisse immer schwieriger. Die Ermordung Stolypins hatte den Zaren seiner stärksten Stütze beraubt; die Schlappe, die die russische auswärtige Politik durch den zweiten Balkankrieg und die darauf folgenden diplomatischen Aktionen erlitten hatte, nahm den russischen Nationalisten und Absolutisten die Besinnung, und sie glaubten nun den Funken erhalten zu haben, mit dessen Glut sie die russische Volksseele würden überkochen lassen. Der Krieg gegen Deutschland war in den entsprechenden Kreisen Se. Petersburgs bereits im Dezember 1913 beschlossene Sache; es handelte sich nur darum, den Zeitpunkt zu bestimmen, an dem er ausbrechen sollte. In der Kölnischen Zeitung hat Dr. Ullrich ihn in seinem berühmten Artikel richtig angegeben: 1916. Eine wunderbare Vorsehung hatte jedoch anders beschlossen und den Feinden Deutschlands die Bestimmung über den Zeitpunkt des Ausbruchs des Krieges aus der Hand genommen. Am 28. Juni schleuderten von der serbischen Negierung gedungene Meuchelmörder jene Bomben, deren Knall die eintretende Weltkatastrophe begrüßen sollte. Die österreichisch-ungarische Regierung vermochte nicht nur die Mitschuld Serbiens an diesem Morde, sondern auch die indirekte der russischen Regierung festzustellen und ging nun unbekümmert um die Haltung seiner Verbündeten und die Mienen seiner Feinde ans Werk, die serbischen Meuchelmörder zu strafen, nicht ahnend, daß sich auch nur ein zivilisiertes Volk, nicht voraussehend, daß sich Zar Nikolaus der Zweite, der von Mördern dauernd bedrohte, von den Deutschen so oft geschützte, auf die Seite der Mörder stellen könnte. In dieser Voraussetzung hat sich nun die Wiener Negierung gründlich getäuscht. Als sich nach Eingang des österreich ° ungarischen Ultimatums der den König vertretende Thronfolger von Serbien an den Zaren um Hilfe gewandt hatte, erhielt er folgendes Telegramm mit dem Datum vom 14./27. Juli: „Ew. Königl. Hoheit haben, als Sie sich an mich in einem ausnehmend schweren Moment wandten, sich nicht in den Gefühlen geirrt, die ich zu Ihnen hege, und in meiner herzlichen Gewogenheit für das serbische Volk. Die jetzige Lage der Dinge erweckt meine allerernsteste Aufmerksamkeit, und meine Re¬ gierung macht alle Anstrengungen, um die gegenwärtigen Schwierigkeiten zu beseitigen. Ich zweifle nicht daran, daß Ew. Hoheit und die königliche Re¬ gierung von dem Wunsche durchdrungen find, diese Aufgabe zu erleichtern, indem sie nichts außer acht läßt, um zu einer Entscheidung zu kommen, die die Würde Serbiens wahre und die Greuel eines neuen Krieges vermeide. Solange die geringste Hoffnung vorhanden ist, Blutvergießen zu vermeiden, müssen alle unsere Bemühungen auf dieses Ziel gerichtet sein. Sollten wir

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/307>, abgerufen am 01.09.2024.