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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Der große Krieg
6. Montenegro an Österreich-Ungarn .... am 5. August
7. Österreich-Ungarn an Rußland..... "6. "
8. Serbien an das Deutsche Reich..... "6. "
9. Frankreich an Österreich-Ungarn . . . . " 11. "
10. Montenegro an das Deutsche Reich . . . " 11. "
11. England an Österreich-Ungarn..... "13. "
12. Marokko an das Deutsche Reich..... "19.

Japan hat an Deutschland bisher den Krieg nicht erklärt, sondern nur ein
Ansinnen gestellt, das einer Kriegserklärung gleichkommt und dessen Beantwortung
am 23. August abgelehnt worden ist. Übrigens fallen die Japaner mit ihrem
Vorgehen durchaus nicht aus dem Rahmen des bei unseren Gegnern üblichen:
wenn England, dem bekanntlich die Reorganisation der türkischen Flotte anver¬
traut war, sich nicht scheut, das Vertrauen der Türken zu mißbrauchen indem
es einfach türkische Schiffe durch von der Türkei besoldete Offiziere stehlen läßt,
so muß der Vorstoß der Japaner gegen unser Kiautschau, so schmerzlich er uns
trifft, in "milderem" Lichte erscheinen.

Vom Auftreten unserer Armee in Frankreich und der österreichisch-
ungarischen in Rußland wird es abhängen, ob noch weitere Kriegserklärungen
folgen und auf welche Seite die noch immer Zögernden treten. Einstweilen
werden Italien, Dänemark, Rumänien und Bulgarien von unseren Gegnern
liebevoll gelockt, während man sich gegen die Türkei in Erpressungen übt.

Abgesehen von den einzelnen Staaten flößen auch einige unfreie Völkerschaften,
vorwiegend unseren Gegnern, Besorgnis ein: Finnen, Letten, Juden, Litauer,
Polen, Ukrainer werden nicht säumen, sich gegen das Joch der zarischen Re¬
gierung, gegen den zentralistischen russischen Staat mit revolutionären Mitteln
aufzubäumen, sofern die Wahrscheinlichkeit dafür eintritt, daß die verbündeten
Armeen gewisse Gebiete Westrußlands zu besetzen und nach dem Friedensschluß
zu halten vermögen. Ob sie freilich zur Zertrümmerung Rußlands, wie hier
und da geglaubt wird, ihre Hand bieten würden, diese Hoffnung sollte nicht
mit absoluter Sicherheit ins politische Rechenexempel eingestellt werden.




Wie ist nun dieser Krieg entstanden, wie ist dieser Paroxismus eines
Kontinents, des zivilisiertesten Kontinents entstanden? Über die zweite Frage
werden Jahrhunderte nachdenken, werden hunderttausend Bände vollge¬
schrieben werden; die Bewunderer der französischen und englischen Kultur,
das aber sind bis auf den heutigen Tag die meisten gebildeten Menschen auf
dem Erdball, werden sich scheuen, die Ursache auf die einfache Formel: Neid
und Lüge, gemischt mit Faulheit und Furcht, zurückzuführen. Die Frage nach
der diplomatischen Vorgeschichte können wir heute schon ziemlich einwandfrei an
der Hand der Tatsachen beantworten.

In einem Punkte haben unsere Gegner recht: zu diesem Kriege wäre es
nicht gekommen, wenn Deutschland, wenn die Deutschen nicht wären. Sie ver-


Der große Krieg
6. Montenegro an Österreich-Ungarn .... am 5. August
7. Österreich-Ungarn an Rußland..... »6. „
8. Serbien an das Deutsche Reich..... „6. „
9. Frankreich an Österreich-Ungarn . . . . „ 11. „
10. Montenegro an das Deutsche Reich . . . „ 11. „
11. England an Österreich-Ungarn..... „13. „
12. Marokko an das Deutsche Reich..... „19.

Japan hat an Deutschland bisher den Krieg nicht erklärt, sondern nur ein
Ansinnen gestellt, das einer Kriegserklärung gleichkommt und dessen Beantwortung
am 23. August abgelehnt worden ist. Übrigens fallen die Japaner mit ihrem
Vorgehen durchaus nicht aus dem Rahmen des bei unseren Gegnern üblichen:
wenn England, dem bekanntlich die Reorganisation der türkischen Flotte anver¬
traut war, sich nicht scheut, das Vertrauen der Türken zu mißbrauchen indem
es einfach türkische Schiffe durch von der Türkei besoldete Offiziere stehlen läßt,
so muß der Vorstoß der Japaner gegen unser Kiautschau, so schmerzlich er uns
trifft, in „milderem" Lichte erscheinen.

Vom Auftreten unserer Armee in Frankreich und der österreichisch-
ungarischen in Rußland wird es abhängen, ob noch weitere Kriegserklärungen
folgen und auf welche Seite die noch immer Zögernden treten. Einstweilen
werden Italien, Dänemark, Rumänien und Bulgarien von unseren Gegnern
liebevoll gelockt, während man sich gegen die Türkei in Erpressungen übt.

Abgesehen von den einzelnen Staaten flößen auch einige unfreie Völkerschaften,
vorwiegend unseren Gegnern, Besorgnis ein: Finnen, Letten, Juden, Litauer,
Polen, Ukrainer werden nicht säumen, sich gegen das Joch der zarischen Re¬
gierung, gegen den zentralistischen russischen Staat mit revolutionären Mitteln
aufzubäumen, sofern die Wahrscheinlichkeit dafür eintritt, daß die verbündeten
Armeen gewisse Gebiete Westrußlands zu besetzen und nach dem Friedensschluß
zu halten vermögen. Ob sie freilich zur Zertrümmerung Rußlands, wie hier
und da geglaubt wird, ihre Hand bieten würden, diese Hoffnung sollte nicht
mit absoluter Sicherheit ins politische Rechenexempel eingestellt werden.




Wie ist nun dieser Krieg entstanden, wie ist dieser Paroxismus eines
Kontinents, des zivilisiertesten Kontinents entstanden? Über die zweite Frage
werden Jahrhunderte nachdenken, werden hunderttausend Bände vollge¬
schrieben werden; die Bewunderer der französischen und englischen Kultur,
das aber sind bis auf den heutigen Tag die meisten gebildeten Menschen auf
dem Erdball, werden sich scheuen, die Ursache auf die einfache Formel: Neid
und Lüge, gemischt mit Faulheit und Furcht, zurückzuführen. Die Frage nach
der diplomatischen Vorgeschichte können wir heute schon ziemlich einwandfrei an
der Hand der Tatsachen beantworten.

In einem Punkte haben unsere Gegner recht: zu diesem Kriege wäre es
nicht gekommen, wenn Deutschland, wenn die Deutschen nicht wären. Sie ver-


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[0304] Der große Krieg 6. Montenegro an Österreich-Ungarn .... am 5. August 7. Österreich-Ungarn an Rußland..... »6. „ 8. Serbien an das Deutsche Reich..... „6. „ 9. Frankreich an Österreich-Ungarn . . . . „ 11. „ 10. Montenegro an das Deutsche Reich . . . „ 11. „ 11. England an Österreich-Ungarn..... „13. „ 12. Marokko an das Deutsche Reich..... „19. Japan hat an Deutschland bisher den Krieg nicht erklärt, sondern nur ein Ansinnen gestellt, das einer Kriegserklärung gleichkommt und dessen Beantwortung am 23. August abgelehnt worden ist. Übrigens fallen die Japaner mit ihrem Vorgehen durchaus nicht aus dem Rahmen des bei unseren Gegnern üblichen: wenn England, dem bekanntlich die Reorganisation der türkischen Flotte anver¬ traut war, sich nicht scheut, das Vertrauen der Türken zu mißbrauchen indem es einfach türkische Schiffe durch von der Türkei besoldete Offiziere stehlen läßt, so muß der Vorstoß der Japaner gegen unser Kiautschau, so schmerzlich er uns trifft, in „milderem" Lichte erscheinen. Vom Auftreten unserer Armee in Frankreich und der österreichisch- ungarischen in Rußland wird es abhängen, ob noch weitere Kriegserklärungen folgen und auf welche Seite die noch immer Zögernden treten. Einstweilen werden Italien, Dänemark, Rumänien und Bulgarien von unseren Gegnern liebevoll gelockt, während man sich gegen die Türkei in Erpressungen übt. Abgesehen von den einzelnen Staaten flößen auch einige unfreie Völkerschaften, vorwiegend unseren Gegnern, Besorgnis ein: Finnen, Letten, Juden, Litauer, Polen, Ukrainer werden nicht säumen, sich gegen das Joch der zarischen Re¬ gierung, gegen den zentralistischen russischen Staat mit revolutionären Mitteln aufzubäumen, sofern die Wahrscheinlichkeit dafür eintritt, daß die verbündeten Armeen gewisse Gebiete Westrußlands zu besetzen und nach dem Friedensschluß zu halten vermögen. Ob sie freilich zur Zertrümmerung Rußlands, wie hier und da geglaubt wird, ihre Hand bieten würden, diese Hoffnung sollte nicht mit absoluter Sicherheit ins politische Rechenexempel eingestellt werden. Wie ist nun dieser Krieg entstanden, wie ist dieser Paroxismus eines Kontinents, des zivilisiertesten Kontinents entstanden? Über die zweite Frage werden Jahrhunderte nachdenken, werden hunderttausend Bände vollge¬ schrieben werden; die Bewunderer der französischen und englischen Kultur, das aber sind bis auf den heutigen Tag die meisten gebildeten Menschen auf dem Erdball, werden sich scheuen, die Ursache auf die einfache Formel: Neid und Lüge, gemischt mit Faulheit und Furcht, zurückzuführen. Die Frage nach der diplomatischen Vorgeschichte können wir heute schon ziemlich einwandfrei an der Hand der Tatsachen beantworten. In einem Punkte haben unsere Gegner recht: zu diesem Kriege wäre es nicht gekommen, wenn Deutschland, wenn die Deutschen nicht wären. Sie ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/304>, abgerufen am 28.07.2024.