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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Der große Arieg

marschieren lassen, die nächst der Mobilmachung zweite Probe auf die Fähig¬
keit der Heerführer! das eiserne Schachspiel! -- Die Hauptmacht des Gegners
richtig stellen, ist schon halber Sieg. Halber! Größte Verschwiegenheit bedeutet
dabei höchste Menschenökonomie. Darum erfahren wir Zurückgebliebenen nichts!
Und den marschierenden, kämpfenden, erkundenden Truppen im Felde geht es nicht
besser. Übrigens ist es heute nicht anders wie bei Ausbruch des Krieges im
Jahres 1870. Die nachfolgenden Zeilen, die am 11. August 1870 im Reichs¬
anzeiger veröffentlicht wurden, stellen die heutige Lage vollkommen dar. Das
amtliche Blatt sagte damals:

"Es hat in der gesamten Presse wie im größeren Publikum Aufsehen erregt,
daß bisher die Nachrichten vom Kriegsschauplatz in spärlicher Weise eingegangen
sind und selbst die wenigen gegebenen Nachrichten nicht volle Klarheit über das
spezielle Faktum geboten haben. In den leitenden Kreisen der Armee ist man
sich in vollem Grade bewußt, welche Pflichten man der Öffentlichkeit gegenüber
hat, und wird man stets mit großer Freude dieselben zu erfüllen suchen; indes
gibt es Momente, wo die Erfüllung an und für sich berechtigter Wünsche der
Sache selbst zum größten Schaden gereichen kann.

Speziell war dies mit den in Saarbrücken bisher sich abspielenden Ereig¬
nissen der Fall. In demselben Moment, wo unsere Kolonnenteten daselbst auf
französischen Boden übergehen, fallen die Rücksichten, welche bisher bestanden."

Was hier von Saarbrücken gesagt ist, können wir ohne weiteres auf die
Kämpfe in Belgien, bei Mülhausen, westlich Colmar, Schlettstadt und Metz
anwenden. Solange unsere Armeen nicht fest auf feindlichem Boden stehn, solange
nicht die wichtigen Stützpunkte des Feindes umklammert und zur Untätigkeit
verurteilt sind, solange müssen wir uns das Schweigen unseres Generalstabes
gefallen lassen und die Lügenmeldungen der Gegner ertragen. Der Reichskanzler
hat ganz recht: nur durch Taten können wir die Lügen der Gegner bekämpfen!




Vielleicht bilden diese Tage die letzte Zeit, in denen wir für die Dauer
des ganzen Krieges Muße gewinnen, um uns in aller Deutlichkeit den Umfang
der Katastrophe, die Europa mit diesem Kriege heimsucht, zu vergegenwärtigen
und aus dem bisher Erlebten Kräfte zu schöpfen für die ganze lange Zeit der
Prüfung, die uns bevorsteht.

Ganz lohnend und gar nicht etwa leicht ist in dieser Stunde die Feststellung
und Benennung allein unserer offnen Gegner, d. h. jener Staaten, die uns und
den verbündeten Österreichern und Ungarn den Krieg erklärt haben. Im ganzen
sind bisher zwölf Kriegserklärungen abgegeben worden:

1. Österreich-Ungarn an Serbien.....am 28. Juli
2. Das Deutsche Reich an Rußland . . . . " 1. August
3. Das Deutsche Reich an Frankreich . . . . " 3.
4. England an das Deutsche Reich....." 4. "
ö. Belgien an das Deutsche Reich....."4.

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Der große Arieg

marschieren lassen, die nächst der Mobilmachung zweite Probe auf die Fähig¬
keit der Heerführer! das eiserne Schachspiel! — Die Hauptmacht des Gegners
richtig stellen, ist schon halber Sieg. Halber! Größte Verschwiegenheit bedeutet
dabei höchste Menschenökonomie. Darum erfahren wir Zurückgebliebenen nichts!
Und den marschierenden, kämpfenden, erkundenden Truppen im Felde geht es nicht
besser. Übrigens ist es heute nicht anders wie bei Ausbruch des Krieges im
Jahres 1870. Die nachfolgenden Zeilen, die am 11. August 1870 im Reichs¬
anzeiger veröffentlicht wurden, stellen die heutige Lage vollkommen dar. Das
amtliche Blatt sagte damals:

„Es hat in der gesamten Presse wie im größeren Publikum Aufsehen erregt,
daß bisher die Nachrichten vom Kriegsschauplatz in spärlicher Weise eingegangen
sind und selbst die wenigen gegebenen Nachrichten nicht volle Klarheit über das
spezielle Faktum geboten haben. In den leitenden Kreisen der Armee ist man
sich in vollem Grade bewußt, welche Pflichten man der Öffentlichkeit gegenüber
hat, und wird man stets mit großer Freude dieselben zu erfüllen suchen; indes
gibt es Momente, wo die Erfüllung an und für sich berechtigter Wünsche der
Sache selbst zum größten Schaden gereichen kann.

Speziell war dies mit den in Saarbrücken bisher sich abspielenden Ereig¬
nissen der Fall. In demselben Moment, wo unsere Kolonnenteten daselbst auf
französischen Boden übergehen, fallen die Rücksichten, welche bisher bestanden."

Was hier von Saarbrücken gesagt ist, können wir ohne weiteres auf die
Kämpfe in Belgien, bei Mülhausen, westlich Colmar, Schlettstadt und Metz
anwenden. Solange unsere Armeen nicht fest auf feindlichem Boden stehn, solange
nicht die wichtigen Stützpunkte des Feindes umklammert und zur Untätigkeit
verurteilt sind, solange müssen wir uns das Schweigen unseres Generalstabes
gefallen lassen und die Lügenmeldungen der Gegner ertragen. Der Reichskanzler
hat ganz recht: nur durch Taten können wir die Lügen der Gegner bekämpfen!




Vielleicht bilden diese Tage die letzte Zeit, in denen wir für die Dauer
des ganzen Krieges Muße gewinnen, um uns in aller Deutlichkeit den Umfang
der Katastrophe, die Europa mit diesem Kriege heimsucht, zu vergegenwärtigen
und aus dem bisher Erlebten Kräfte zu schöpfen für die ganze lange Zeit der
Prüfung, die uns bevorsteht.

Ganz lohnend und gar nicht etwa leicht ist in dieser Stunde die Feststellung
und Benennung allein unserer offnen Gegner, d. h. jener Staaten, die uns und
den verbündeten Österreichern und Ungarn den Krieg erklärt haben. Im ganzen
sind bisher zwölf Kriegserklärungen abgegeben worden:

1. Österreich-Ungarn an Serbien.....am 28. Juli
2. Das Deutsche Reich an Rußland . . . . „ 1. August
3. Das Deutsche Reich an Frankreich . . . . „ 3.
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ö. Belgien an das Deutsche Reich.....„4.

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[0303] Der große Arieg marschieren lassen, die nächst der Mobilmachung zweite Probe auf die Fähig¬ keit der Heerführer! das eiserne Schachspiel! — Die Hauptmacht des Gegners richtig stellen, ist schon halber Sieg. Halber! Größte Verschwiegenheit bedeutet dabei höchste Menschenökonomie. Darum erfahren wir Zurückgebliebenen nichts! Und den marschierenden, kämpfenden, erkundenden Truppen im Felde geht es nicht besser. Übrigens ist es heute nicht anders wie bei Ausbruch des Krieges im Jahres 1870. Die nachfolgenden Zeilen, die am 11. August 1870 im Reichs¬ anzeiger veröffentlicht wurden, stellen die heutige Lage vollkommen dar. Das amtliche Blatt sagte damals: „Es hat in der gesamten Presse wie im größeren Publikum Aufsehen erregt, daß bisher die Nachrichten vom Kriegsschauplatz in spärlicher Weise eingegangen sind und selbst die wenigen gegebenen Nachrichten nicht volle Klarheit über das spezielle Faktum geboten haben. In den leitenden Kreisen der Armee ist man sich in vollem Grade bewußt, welche Pflichten man der Öffentlichkeit gegenüber hat, und wird man stets mit großer Freude dieselben zu erfüllen suchen; indes gibt es Momente, wo die Erfüllung an und für sich berechtigter Wünsche der Sache selbst zum größten Schaden gereichen kann. Speziell war dies mit den in Saarbrücken bisher sich abspielenden Ereig¬ nissen der Fall. In demselben Moment, wo unsere Kolonnenteten daselbst auf französischen Boden übergehen, fallen die Rücksichten, welche bisher bestanden." Was hier von Saarbrücken gesagt ist, können wir ohne weiteres auf die Kämpfe in Belgien, bei Mülhausen, westlich Colmar, Schlettstadt und Metz anwenden. Solange unsere Armeen nicht fest auf feindlichem Boden stehn, solange nicht die wichtigen Stützpunkte des Feindes umklammert und zur Untätigkeit verurteilt sind, solange müssen wir uns das Schweigen unseres Generalstabes gefallen lassen und die Lügenmeldungen der Gegner ertragen. Der Reichskanzler hat ganz recht: nur durch Taten können wir die Lügen der Gegner bekämpfen! Vielleicht bilden diese Tage die letzte Zeit, in denen wir für die Dauer des ganzen Krieges Muße gewinnen, um uns in aller Deutlichkeit den Umfang der Katastrophe, die Europa mit diesem Kriege heimsucht, zu vergegenwärtigen und aus dem bisher Erlebten Kräfte zu schöpfen für die ganze lange Zeit der Prüfung, die uns bevorsteht. Ganz lohnend und gar nicht etwa leicht ist in dieser Stunde die Feststellung und Benennung allein unserer offnen Gegner, d. h. jener Staaten, die uns und den verbündeten Österreichern und Ungarn den Krieg erklärt haben. Im ganzen sind bisher zwölf Kriegserklärungen abgegeben worden: 1. Österreich-Ungarn an Serbien.....am 28. Juli 2. Das Deutsche Reich an Rußland . . . . „ 1. August 3. Das Deutsche Reich an Frankreich . . . . „ 3. 4. England an das Deutsche Reich.....„ 4. „ ö. Belgien an das Deutsche Reich.....„4. 20»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/303>, abgerufen am 28.07.2024.