Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.Frankreichs Provinzen im Kampf gegen Paris Toten, das Nationalgefühl ist nicht von außen in uns hineingetragen worden, Barros hat von sich selbst als Schriftsteller einmal gesagt: in seinen Büchern Auch ein anderer regionalistischer Schriftsteller, Reus Bazin, sieht die Pariser *) Vgl. das Interview im Paris-Journal vom 23. Februar 1912.
Frankreichs Provinzen im Kampf gegen Paris Toten, das Nationalgefühl ist nicht von außen in uns hineingetragen worden, Barros hat von sich selbst als Schriftsteller einmal gesagt: in seinen Büchern Auch ein anderer regionalistischer Schriftsteller, Reus Bazin, sieht die Pariser *) Vgl. das Interview im Paris-Journal vom 23. Februar 1912.
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Frankreichs Provinzen im Kampf gegen Paris
Toten, das Nationalgefühl ist nicht von außen in uns hineingetragen worden,
noch auf einmal entstanden."
Barros hat von sich selbst als Schriftsteller einmal gesagt: in seinen Büchern
lebe kein klarer Wille; er höre auf eine innere Stimme in sich und übertrage
mehr als er verfasse*). So strömt auch aus seinen Werken wirklich Empfundenes,
selbst aus den tendenziösen. Und wenn er richtig „übertragen" hat, muß das
regionalistische Gefühl in seinem Sinne, das Gefühl der Gebundenheit in Denken
und Trachten, bewußt oder unbewußt in den Menschen wirklich vorhanden sein.
Der Roman, der ihn am meisten als Regionalisten charakterisiert, ist das vorhin
erwähnte Werk „I^Sö OöraLinöZ". Die Entwurzelten sind die aus der Heimat
des Geistes und des Herzens Herausgerissenen, die im Treibhause der Systeme
und allgemeinen Begriffe früchteleer verdorren müssen. Rasse und Humanität
stehen sich gegenüber; hier die Provinz, das volle Leben, das unaussprechliche
Gemeinsamkeitsgefühl, das uns Kraft und Vollbringen gibt; dort Paris und
die leere Formel, die Abstraktion, die das Wesen loslöst von der gegebenen
Mutter Natur.
Auch ein anderer regionalistischer Schriftsteller, Reus Bazin, sieht die Pariser
Gefahr in der gleichmachenden und demoralisierenden Kraft der Hauptstadt.
Allerdings sind seine Gestalten einfache Bauern, nicht so komplizierte Charaktere
wie die in den Romanen Barros. In zwei Büchern „Donatienne" und
„I^s, terre c>ni meurt" veranschaulicht er die Folgen der Landflucht. „Dona-
tienne" macht uns mit einem Ehepaar von einheimischer Nasse bekannt.
Beide müssen tüchtig arbeiten, um mit der dürftigen Ackerwirtschaft sich und
ihre drei Kinder vor dem größten Elend zu bewahren. Um mehr zu verdienen,
geht Donatienne, die Frau, nach Paris. Nach ihrem Weggang löst sich die
Ordnung im Hause bald auf; die Wirtschaft geht herunter; die Briefe aus
Paris werden immer seltener; Geld kommt gar nicht mehr. Schließlich wird
der Mann von seiner Pacht gejagt. Er verläßt mit seinen Kindern die Bretagne
und zieht mit ihnen als Tagelöhner durchs Land. Donatienne verkehrt als
Amme in Paris mit den Dienstboten, hört ihre schlüpfrigen Reden. Ihre
moralische Widerstandskraft wird durch den täglichen Anblick von Geld und
Luxus geschwächt, ihre Eitelkeit erhöht. Sie 'wird die Geliebte eines Kammer¬
dieners und fällt nach Krankheit und Not einem Kneipenwirt in die Arme, der
ihre Arbeit ausnutzt. Erst nach langen trüben Erfahrungen kehrt Donatienne
zu ihrer Familie zurück. In „I^a terre qui meurt" schildert Bazin den Verfall
einer Bauernfamilie der Vendöe. Die Familie zerfällt, weil von den Kindern
eins nach dem andern das Land verläßt, um im Einerlei des Beamtentums
oder in der haftenden Sorge um das tägliche Brot seines sittlichen Haltes und
seines Selbstbewußtseins verlustig zu gehen. Das Losreißen von der Scholle,
von dem Lebensnerv, will der Verfasser sagen, ist ein Wagnis, das uns den
Verlust des geistigen und moralischen Ichs kosten kann.
*) Vgl. das Interview im Paris-Journal vom 23. Februar 1912.
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